Gazprom-Aktie: Russisches Gasroulette
Die Gazprom-Aktie ist günstig bewertet. Nicht ohne Grund, angesichts der politischen Krise und der Währungsverluste stürzte der Titel regelrecht ab. Dennoch ist der russische Energiegigant noch nicht am Ende. Seit neuestem beliefert der Konzern auch das Rebellengebiet in der Ostukraine.
Die Gazprom-Aktie ist günstig bewertet. Nicht ohne Grund, angesichts der politischen Krise und der Währungsverluste stürzte der Titel regelrecht ab. Dennoch ist der russische Energiegigant noch nicht am Ende. Seit neuestem beliefert der Konzern auch das Rebellengebiet in der Ostukraine.
Eigentlich spricht alles gegen die Gazprom-Aktie. Der Energiepreisverfall, der Einbruch des Rubels und der andauernde Krieg in der Ostukraine sind schlechte Voraussetzungen für einen Aufwärtstrend des russischen Gasmultis. Vor vier Jahren war die Aktie des Gasmultis 17 US-Dollar wert, heute nur noch fünf Dollar – ein Einbruch von 70 Prozent. Doch die Talsohle scheint durchschritten, in den vergangenen Wochen ging es tüchtig bergauf: plus 14 Prozent stehen zu Buche. Ein naheliegender Grund dafür ist die Hoffnung, dass mit dem jüngsten durch Deutschland und Frankreich in die Wege geleiteten Friedensabkommen die Waffen in der Ostukraine wieder schweigen werden.
Rebellen werden beliefert – Ukraine soll zahlen
Was sorgt für den Aufwärtstrend bei Gazprom? Ist, ganz wie im Sprichwort, der Krieg die Mutter aller Dinge? Es drängt sich der Anschein auf, dass das Gazprom-Plus direkt mit dem von Putin lancierten Eroberungskrieg in der Ukraine zusammenhängt. Schließlich würden jetzt die Separatisten in der Ukraine mit russischem Gas beliefert. Letzteres ist tatsächlich der Fall, und „humanitäre Gründe“ dafür werden genannt. Angesichts dieser Argumentation bleibt der internationale Protest aus, denn wer will schon dafür verantwortlich sein, dass kleine Kinder vor Kälte weinen und dass ukrainische Rentnerinnen erfrieren? Doch die Sache hat einen Pferdefuß : Das Gas, das Gazprom seit Donnerstag das Rebellengebiet der Ostukraine liefert, muss nach Ansicht Moskaus die ukrainische Regierung bezahlen.
„Gemäß der Verträge muss Kiew für russisches Gas zahlen“, erklärte Ministerpräsident Dmitri Medwedew über Facebook. Denn es sind ja keine russischen Soldaten, die eine Blutspur durch die südliche Ukraine ziehen. Mitnichten! Zynisch fügt der Russe hinzu: Angesichts der Menge Gas, die auch nach Donezk und Lugansk geliefert werde, „reicht das ukrainische Geld nur für einige Tage“. Aus „humanitären Gründen“ werde Russland aber weiter Gas in die selbstproklamierten „Volksrepubliken“ liefern. Wahrscheinlich auf Kredit.
Klar ist, dass der Gewinn bei Gazprom in jüngster Vergangenheit stark eingebrochen ist. Aus Sicht der Anleger ist aber noch interessanter zu wissen, wie die Zukunft aussieht. Ein genauerer Blick zeigt, dass der russische Multi noch lange nicht am Ende ist. Der Konzern fällt nicht unter die Sanktionen der USA und Europas, sondern nur die Öl-Tochter Gazprom Neft. In den vergangenen Monaten hat Gazprom zudem Kredite von mehr als 700 Millionen Euro von italienischen Banken erhalten.
Und zur Not dürfte der Konzern jederzeit Kredite bei chinesischen Banken bekommen. Schließlich hat Russland jüngst einen 400-Milliarden-Dollar-Deal mit China zur Lieferung von Gas abgeschlossen. Gazprom selbst bezeichnet den Deal nur als „Spitze des Eisbergs“. Im Zeitraum 2015 bis 2030 will der Konzern im wichtigen Gasgeschäft konzernweit im Schnitt rund 24 Milliarden Dollar pro Jahr investieren. Der Konzern hat zudem die Option, die Investitionen strecken.
Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite:
|
Kostenbremse treibt Cashflow
Gazprom nagt also nicht gerade am Hungertuch. Der Börsenwert des Konzerns beträgt mehr als 60 Milliarden Dollar. Laut den Zahlen für das dritte Quartal 2014, die Gazprom Ende Januar 2015 vorgelegt hat, verfügt der Konzern über einen Cash-Bestand im Wert von 12,3 Milliarden. Dollar. Wegen der hohen Währungsverluste ist der Gewinn im dritten Quartal zwar um 62 Prozent auf 107,4 Milliarden Rubel (1,7 Mrd. Dollar) eingebrochen. Da der Konzern jedoch die Kosten und Investitionen stark reduziert hat, konnte er in den ersten drei Quartalen einen Free Cashflow von 12,9 Milliarden Dollar erzielen. Das liegt deutlich über dem Schnitt der Gesamtjahre 2006 bis 2013, der bei 7,8 Milliarden Dollar gelegen hatte.
Der zuletzt gestiegene Ölpreis konnte der Gazprom-Aktie etwas Rückenwind geben. Denn das Unternehmen hat Exportverträge an den Ölpreis gekoppelt. Sollte es mit dem Preis des schwarzen Goldes wieder deutlich nach oben gehen, wird auch Gazprom davon profitieren. Experten halten die Aktie des Energieriesen derzeit immer noch für extrem unterbewertet. Es besteht also noch Luft nach oben. Zugleich ist klar, dass der Titel nur etwas für risikobereite Anleger ist. Wer weiß schon, was demnächst in der Ukraine noch alles passiert und welche Maßnahmen Putins Reich dabei ergreifen wird.
Anleger, die die Gazprom-Aktie interessant finden, könnte im Übrigen auch das Papier von Rosneft in Frage kommen. Der Titel des russischen Mineralölkonzerns, das neben Gazprom das zweite Flaggschiff der russischen Rohstoffindustrie ist, legte in den vergangenen vier Wochen um knapp 30 Prozent zu. Jedoch dürfte der Rosneft-Titel noch riskanter sein als die Gazprom-Aktie. Rosneft, das vor zehn Jahren – unter skandalösen Umständen – den einst größten Ölkonzerns Yukos übernommen hatte, gehört mehrheitlich dem Staat und wird vom Westen aktuell mit Sanktionen belegt. Der Konzern ist hochverschuldet und muss allein in diesem Jahr noch rund zwölf Milliarden Dollar Schulden abzahlen. Dabei springt der Staat ein, weil Rosneft sich im Ausland nicht refinanzieren kann.
Während Rosneft also etwas für Börsenzocker ist, hat Gazprom deutlich mehr Substanz, als zuletzt angenommen werden konnte. Und die Geschäftsfelder im Süden der Ukraine dürften sich außerdem ausweiten. Ob im nächsten Winter bereits die ukrainische Schwarzmeer-Metropole Odessa über russische Separatisten mit Gazprom-Erdgas versorgt wird? Noch spricht das keiner aus, aber ein „Neurussland“, das nicht von Donezk bis nach Transnistrien reicht – das wäre den Eroberungskrieg, der schon heute geführt wird, nicht wert. Anleger, die auf Ares setzen wollen, den Gott des schrecklichen Krieges, des Blutbades und des Massakers – herzlich willkommen bei Gazprom!