Kaesers Vision muss sich jetzt beweisen
Es ist eine mutige Prognose von Joe Kaeser. Mit den nun verkündeten weiteren Einschnitten – es werden zusätzlich nochmals weltweit 4.500 Jobs gestrichen – sei der Umbau des Unternehmens in der Hauptsache abgeschlossen, verkündete der Siemens-Chef.

Es ist eine mutige Prognose von Joe Kaeser. Mit den nun verkündeten weiteren Einschnitten – es werden zusätzlich nochmals weltweit 4.500 Jobs gestrichen – sei der Umbau des Unternehmens in der Hauptsache abgeschlossen, verkündete der Siemens-Chef.
Im Mülheimer Siemens-Werk sollen nach Angaben des Betriebsrats im Zuge der Stellenabbau-Pläne des Konzerns insgesamt rund 950 von 4.800 Stellen gestrichen werden. Mülheim dürfte nach Einschätzung aus Arbeitnehmerkreisen mit am stärksten von den Streichplänen betroffen sein. Die Pläne für weitere Standorte sollen in den kommenden Tagen folgen, die Sparte „Generatoren“ soll möglicherweise ganz in die USA ausgelagert werden. Die Siemens-Standorte in Erlangen und Nürnberg sind dagegen nach Angaben aus Betriebsratskreisen vom jüngsten Stellenabbau nicht so stark betroffen. In der dort ansässigen Sparte „Power and Gas“ soll es um weniger als 100 Stellen gehen, hieß es am Freitag.
Die Einschnitte sind heftig, sie schmerzen die betroffenen Beschäftigten. Doch das soll es nun gewesen sein – Joe Kaeser erklärt den Umbau bei Siemens für beendet. Dass tatsächlich alle Baustellen abgearbeitet wurden, ist möglich. Dass indes nicht bald neue Probleme auftauchen, darf füglich bezweifelt werden. Wer Siemens in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten beobachtet hat, weiß: Wirklich abgeschlossen war der Umbau nie. Immer, wenn es gut lief, tauchten irgendwo in dem komplexen Konzern überraschend neue Baustellen auf. Kaesers Vorgänger Peter Löscher wähnte Siemens nach einem guten Geschäftsjahr einst in der „Champions League“. Umbauprogramme seien fortan nicht mehr notwendig. Danach gingen die Probleme erst so richtig los.
Ob Kaeser die perfekte Organisationsform gefunden hat und ihm die Sanierung der Problemsparten gelingt, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Er hat dem Konzern mit dem größten Umbau seit 25 Jahren viel zugemutet. Die Organisation war zuletzt intensiv mit sich selbst beschäftigt. Die Neuorganisation verlief nicht ohne Reibungsverluste. Es ist wichtig, dass der Apparat jetzt zur Ruhe kommen und sich auf Innovation und Wachstum konzentrieren kann.
Denn während Kaeser an seiner „Vision 2020“ arbeitete, war auch die Konkurrenz nicht tatenlos. Bislang ist der Abstand zu General Electric & Co nicht sichtbar kleiner geworden. Die Zahlen, die Kaeser am Donnerstag vorlegte, sind in der Substanz größtenteils nicht besser als zu Löschers Zeiten. Zwar sieht der Nettogewinn mit 3,9 Milliarden Euro im Quartal üppig aus. Das liegt allerdings daran, dass Kaeser – wie einst auch Löscher mit der Veräußerung von VDO – Tafelsilber verkauft hat. Bald aber wird der Blick auf die Zahlen klarer sein. Ab 2016 muss Siemens wieder wachsen, ein Jahr später zu den besten Konkurrenten auch in Sachen Profitabilität aufschließen. Wenn das nicht gelingt, wird der nächste Umbau ins Haus stehen. Denn der Konzernumbau bei Siemens kostet weitere Arbeitsplätze - alleine in Deutschland will der Konzern 2.200 Stellen streichen. Auch der weltgrößte Produktionsstandort Berlin ist betroffen.
Wegen anhaltender Probleme im größten Geschäftsfeld Energietechnik stehen die genannten 4.500 Stellen dort zur Disposition. Mit den Maßnahmen will Kaeser vor allem die Ertragskraft im Stromerzeugungsgeschäft der Division Power and Gas verbessern. Auch margenschwache Geschäfte dürften betroffen sein. Die neuen Kürzungspläne betreffen nach Gewerkschaftsangaben auch den weltweit größten Produktionsstandort des Konzerns Berlin. Es seien weitere 400 Stellen im Berliner Gasturbinenwerk bedroht. „Es sind nun insgesamt 800 Arbeitsplätze, die hier wegfallen sollen“, sagte der Erste Bevollmächtigte der IG-Metall Berlin, Klaus Abel, am Mittwoch der Nachrichetnagentur dpa. Im dem Werk in Siemensstadt arbeiten 3800 Menschen. Insgesamt beschäftigt der Konzern an seinem Gründungsort rund 12.000 Menschen. Siemens wollte sich zu einzelnen Standorten nicht äußern.
Kaeser will den Münchner Technologieriesen, der von Kraftwerken über Industrieanlagen und Züge bis hin zum Ultraschallgerät ein breites Portfolio bietet, auf die Felder Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung konzentrieren und profitabler machen. Im Geschäftsjahr 2016 soll eine Milliarde Euro gespart werden. Kaeser hatte kurz nach seinem Antritt im Sommer 2013 zwei Organisationsebenen gestrichen, für die bis dato Tausende Menschen arbeiteten. Zum Ende des zweiten Geschäftsquartals (per Ende März) zählte Siemens weltweit 342.000 Beschäftigte, davon 114.000 in Deutschland.
Die jüngsten Runden des Stellenabbaus summieren sich auf 13.100 Arbeitsplätze, wovon 5.100 im Heimatland betroffen sind. In der Energietechnik war bereits die Streichung von 1.200 Jobs beschlossene Sache. Im Februar kündigte der Konzern an, 7.800 Stellen zu kürzen, davon 3300 in Deutschland. Nach Verhandlungen mit den Arbeitnehmern reduzierte sich diese Zahl nach Unternehmensangaben auf etwa 2.900 Stellen in Deutschland. Gewerkschafter Abel kündigte für nächste Woche bundesweite Aktionstage gegen die Pläne des Vorstands an. „Aus unserer Sicht verspielen sie die Zukunft von Siemens für kurzfristige Gewinne und steigende Aktienkurse.“ Das Management in München habe die Marktentwicklung ausgesessen, kritisierte Abel. „Die Energiewende kommt nicht überraschend.“ Gestrichen werden soll in Berlin nach Gewerkschaftsangaben vor allem in Verwaltung und Qualitätsmanagement. Zudem wolle Siemens viele Komponenten nicht mehr selbst herstellen, sondern einkaufen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es aber nicht geben.
Der Siemens-Konzern, für den einst fast eine halbe Million Menschen rund um die Welt arbeiteten, sorgte in der Vergangenheit immer wieder mit massenhaftem Arbeitsplatzabbau für Schlagzeilen. Bei der Rendite hinken die Münchner allerdings Rivalen wie GE oder ABB hinterher. Wegen der Flaut im Geschäft mit Öl- und Gastechnik hatte ABB vor kurzem ebenfalls Stellenstreichungen angekündigt. Der schwache Ölpreis setzt den Ausrüstern der Förderbranche immer stärker zu. Die Ölfirmen nehmen weniger ein und drosseln deshalb ihre Ausgaben für neue Technik, die Erschließung von Schiefergas und -öl rechnet sich immer weniger.
Im weltweiten Stromerzeugungsmarkt bleibe das Marktumfeld schwierig, betonte Siemens. Die Energietechniksparte kämpfe mit „einem massivem Preisverfall, aggressiven Wettbewerbern und regionalen Überkapazitäten“. Im zweiten Quartal schrumpfte das Ergebnis um 34 Prozent, die Marge sackte auf 12,9 (20,3) Prozent ab. In der „Division Power and Gas“ soll der Vertrieb gebündelt und das Portfolio gestrafft werden, die Kosten sollen sinken.
Insgesamt 13 ertragsschwache Geschäftsfelder will Siemens weitgehend in Eigenregie auf Vordermann bringen, statt sie zu verkaufen. Allenfalls kleine Randgeschäfte wie die Industrieabwasseraufbereitungstechnik stehen laut Insidern zur Disposition. Der Konzern lege einen Schwerpunkt darauf, „diese Geschäfte überwiegend selbst wirtschaftlich und nachhaltig in Ordnung zu bringen“, teilte Siemens mit. Handlungsbedarf sehen Experten etwa im Transformatorengeschäft. Für 2015 bekräftigte Kaeser die Prognose, wonach die operative Marge im industriellen Geschäft zwischen zehn und elf Prozent liegen soll. Im zweiten Quartal waren es glatt neun Prozent nach 10,3 Prozent vor Jahresfrist. Vom Volumen her habe sich Siemens auf den Märkten gut behauptet, sagte der Konzernchef. Allerdings profitierte der Umsatz in Höhe von 18 Milliarden Euro stark von Währungseffekten; auf vergleichbarer Basis stagnierte er. „Die Profitabilität des industriellen Geschäfts zeigt, dass wir uns in einigen Geschäften noch verbessern müssen.“
Das Ergebnis aus dem industriellen Geschäft schrumpfte um fünf Prozent, vor allem wegen der Probleme in der Energietechnik. Die Restrukturierung samt Stellenabbau schlug im zweiten Quartal mit 140 Millionen Euro zu Buche, wobei der größte Anteil auf Power and Gas entfiel. Unterm Strich konnte Siemens mit einem mehr als dreimal so hohen Gewinn glänzen: 3,9 Milliarden Euro. 3,2 Milliarden Euro davon stammen allerdings aus dem Verkauf der Hörgerätesparte und des Anteils an der Hausgerätetochter BSH.
Handelsblatt / Axel Hörner