Kley macht Merck zur Hightech-Perle
Die Erfolgsgeschichte des Darmstädter Merck-Konzerns gleicht gewissermaßen der völligen Wandel im Markenauftritt: Während die Lage bei Amtsantritt des scheidenden Vorsitzenden der Geschäftsleitung Karl-Ludwig Kley eher grau in grau war, sieht die Zukunft nun überaus rosig aus. Und das nicht nur beim Blick auf das Logo. Die Bilanz, die Kley vorlegen kann, krönt seine außerordentliche Lebensleistung.
Die Erfolgsgeschichte des Darmstädter Merck-Konzerns gleicht gewissermaßen der völligen Wandel im Markenauftritt: Während die Lage bei Amtsantritt des scheidenden Vorsitzenden der Geschäftsleitung Karl-Ludwig Kley eher grau in grau war, sieht die Zukunft nun überaus rosig aus.
Warum schaut Merck, eine Firma, die so viele facettenreiche Geschichten zu erzählen hat, so langweilig aus? Das hatte sich Karl-Ludwig Kley schon lange, bevor er seinen Posten an der Spitze der Unternehmensleitung des Pharma- und Chemieunternehmens antrat, immer wieder gefragt. Doch halt! Merck ist längst kein Pharma- und Chemieunternehmen mehr, sondern ein Wissenschafts- und Technologieunternehmen. Das war aber kaum bekannt, und es wurde so gut wie gar nicht kommuniziert.
Diese Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und „inneren Werten“ war der Grund, warum sich die Geschäftsleitung unter Vorsitz von Karl-Ludwig Kley zu einer völligen Neugestaltung des Markenauftritts entschlossen hat. Die farbenfrohe Kampagne, die so entstand, fand sehr positive Resonanz. Altgediente Merckianer mussten allerdings erst eine gewisse Gewöhnungsphase durchlaufen und kritisierten die Gestaltung zunächst als „Kindermalerei“, um sich danach umso mehr für die neue Marke zu begeistern.
Mit der neuen Kampagne setzte Kley einen der letzten Paukenschläge seiner neunjährigen Amtszeit bei Merck. Sie war sozusagen der Schlusspunkt einer Entwicklung, die im April 2007 begann. Im Rückblick scheinen die Stationen der Unternehmensentwicklung wie die Elemente einer bewusst gewählten Strategiereise, die jedoch über einen Zeitraum von knapp einem Jahrzehnt kaum so exakt planbar gewesen wäre. Denn neben tiefer Marktkenntnis und fundierter Managementexpertise gehört – wie überall – auch ein wenig Glück dazu, dass sich der „Manager des Jahres 2015“ mit Rekordzahlen verabschieden kann.
2007 war die Lage des Unternehmens nicht einfach. Zwei Hauptprobleme hatte das Unternehmen: Die Geschäftsbereiche waren zu klein und die Forschungs- und Entwicklungsabteilung brachte keine Medikamente zur Marktreife. In dieser Situation schien Kley der Merck-Familie als der richtige Mann. „Krempeln Sie die Firma um, stellen Sie das Geschäft auf gesündere Beine und richten Sie die Firma auf die Zukunft aus“, so lautete der Auftrag an Kley – eine Herkulesaufgabe. Immerhin hatte der gebürtige Münchner bis dahin bereits Erfahrung in der zweiten Reihe namhafter Konzerne gesammelt, unter anderem bei Lufthansa und bei Bayer. „In der ersten Phase haben wir die Grundpfeiler gesetzt, Prozesse geändert, viele interne Dinge angepasst, erste Portfoliomaßnahmen umgesetzt und Personalentscheidungen getroffen“, sagte Kley auf seiner letzten Bilanzpressekonferenz im März dieses Jahres, auf der er trocken noch einmal den Weg rekapitulierte, „den wir gegangen sind“.
Technologisch besser aufgestellt
In der zweiten Phase ging es um die Vollendung des Portfolioumbaus mit Desinvestitionen und Zukäufen. Ziel war es, die Marktposition in allen drei Unternehmensbereichen, nämlich Healthcare, Life Science und Performance Materials, durch Effizienzerhöhung und Wachstumsmaßnahmen zu stärken. „Heute verfügen wir in allen drei Bereichen über die kritische Masse, sind technologisch viel besser aufgestellt und haben deswegen mehr Optionen in der Geschäftsentwicklung“, resümiert Kley.In Zahlen sieht das so aus: Der Umsatz des Gesamtkonzerns hat sich unter Kleys Führung auf 12,8 Milliarden Euro verdoppelt. Die Zahl der Mitarbeiter stieg um 67 Prozent auf etwa 50 000. Gleichzeitig ist das Unternehmen finanziell stärker geworden und hat die durch die großen Akquisitionen Serono, Millipore und AZ Electronic Materials entstandene Verschuldung gut verkraftet. Regional gesehen hat sich der Umsatz in Nordamerika auf 2,7 Milliarden Euro verdreifacht.
Mehr als verdoppelt hat sich auch der Umsatz in den für die Zukunft bedeutenden Schwellenländern, nämlich auf sechs Milliarden Euro. Um der Bedeutung dieser Regionen besser gerecht zu werden, ist Merck in diesem Jahr von einer kumulierten Betrachtung zu einer Auflistung nach Ländern übergegangen. „Unser Geschäftsmodell und unsere Produkte passen zur Entwicklung der Emerging Markets, und wir lassen uns durch zeitweise Verwerfungen nicht von unserer grundsätzlichen Strategie abbringen, das gilt auch für China“, sagte Kley.
Aus der Pharmasparte wird Healthcare
Heute stehen „wir auf drei starken Säulen“, sagte der scheidende Vorsitzende der Geschäftsleitung. Den Wandel des Unternehmens illustriert sehr gut die ehemalige Pharmasparte, die heute Healthcare heißt. Anders als viele Konkurrenten, die sich auf Generika konzentrieren, verkaufte Merck 2007 diese Aktivität und setzte auf eigene Entwicklungen – durchaus mit Erfolg. Der Anteil der biotechnologisch erzeugten Medikamente stieg von zehn Prozent im Jahr 2006 auf 60 Prozent 2015. Was Merck aber fehlt – und das ist eine der wenigen Schattenseiten der Erfolgsgeschichte –, sind neue Blockbuster. Ein zunächst interessantes Krebsmedikament musste Ende vergangenen Jahres nach anfänglich erfolgreichen Tests gestoppt werden. Doch die Wende könnte bevorstehen. Merck hat jedoch mehrere vielversprechende Neuentwicklungen in der Pipeline. Auf eines setzt das Unternehmen besonders große Hoffnungen: auf das Krebsimmuntherapeutikum Avelumab, das Merck zusammen mit Pfizer entwickelt.
Den zweitgrößten Bereich, Life Science, gab es 2007 bei Kleys Amtsantritt in dieser Form noch nicht. Der Unternehmensbereich bietet den Bedarf für biopharmazeutische Produktionen sowie Laborausrüstung an. „Wir betreiben die führende E-Commerce-Plattform der Welt und sind in der Lage, einen Großteil der 300 000 Produkte innerhalb von 24 Stunden an Labore weltweit zu schicken“, sagte Kley. Life Science wurde kürzlich durch eine Megaübernahme gestärkt: mit dem amerikanischen Laborausrüster Sigma-Aldrich, wodurch Merck zur Nummer zwei weltweit aufrückt und zugleich zu den 50 größten Onlinehändlern weltweit zählt.
Der dritte Unternehmensbereich, Performance Materials, steht kurz vor einem Quantensprung. Während sich die Chemikalien für Displays dank der weiter steigenden Zahl von Mobilgeräten sehr gut verkaufen, hat Merck noch ein weiteres Ass im Ärmel: die Oleds. Die organischen Leuchtdioden zeichnen sich durch brillantere Farben bei geringerem Energieverbrauch aus. Außerdem können Oled-Displays gebogen, gefaltet und gerollt werden. Noch sind die Umsätze relativ gering. Aber Merck hat große Erwartungen in diese Technologie. „Mich erinnert die Einführung an den Beginn des Vertriebs der konventionellen Displays“, meinte Kley. „Das begann auch relativ langsam und explodierte dann.“
Anleger können zufrieden sein
Die Aktie spiegelt die Unternehmensentwicklung: Der Wert erhöhte sich seit 2011 um knapp 200 Prozent, während der Dax nur um 54 Prozent zulegte. Allerdings ist die oberste Leitschnur für die Geschäftsleitung nicht große Gewinnsprünge, sondern der Erhalt beziehungsweise die behutsame Mehrung des Familienvermögens. Das ist auch für viele andere vermögende Familien das wichtigste Anliegen. Die Aktionäre haben davon insofern etwas, als sie eine stabile Entwicklung erwarten können.
Dem 64-Jährigen wird es vermutlich auch in Zukunft nicht langweilig, dafür hat er einfach zu viel zu tun. Er hat schon jetzt einige wichtige Aufsichtsratsmandate, darunter bei BMW und Bertelsmann. Demnächst übernimmt er einen weiteren Posten, er wird Aufsichtsratschef bei Eon, eine herausfordernde Aufgabe.
Vielleicht wird sich Kley auch stärker als bisher bei gesellschaftspolitischen Themen zu Wort melden. „Ich würde mir wünschen, dass alle Beteiligten, Politik, Ärzte, Kassen und auch die Pharmaindustrie, aus ihren Schützengräben herauskommen“, hatte er im März in einem Interview gesagt. „Wir müssen eine Debatte führen, wie wir weiter Innovationen ermöglichen, und da, wo keine sind, effizienter werden, um die Qualität der Versorgung insgesamt zu verbessern. Es darf nicht allein um Kostenaspekte gehen, sondern auch darum, Ärzten wieder Zeit zu geben, sich intensiv mit den Patienten auseinanderzusetzen. Nur auf die Kosten zu blicken ist so, als würde man beim Dreisprung nach dem ersten Satz abbrechen.“ Wirtschaftskurier