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Indische Aktien: Mehr Regen als Sonne?

Indische Aktien brachten in diesem Jahr eine negative Wertentwicklung für Euroanleger, vor allem die schwache Rupie belastet die Ergebnisse. Doch die Flaute wird vorübergehen. Warum der indische Aktienmarkt langfristig wieder Ertragspotential bieten dürfte, weiß Ulrich Stephan.

BÖRSE am Sonntag

Indische Aktien brachten in diesem Jahr eine negative Wertentwicklung für Euroanleger, vor allem die schwache Rupie belastet die Ergebnisse. Doch die Flaute wird vorübergehen. Warum der indische Aktienmarkt langfristig wieder Ertragspotential bieten dürfte.

Von Ulrich Stephan

Es scheint, als hätte die indische Wirtschaft die Turbulenzen infolge der Bargeldreform Ende 2016 sowie der Einführung einer landesweit einheitlichen Mehrwertsteuer ein halbes Jahr später endgültig überstanden: Zahlreiche Frühindikatoren – von den Autoverkäufen über die Industrieproduktion bis zur Kreditvergabe – sprechen für ein anziehendes Wirtschaftswachstum in der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens. Die Deutsche Bank rechnet für das 1. Quartal 2018 mit einem starken Konjunkturplus von 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Positive Unternehmensergebnisse

Diese positive wirtschaftliche Lage spiegelt sich auch in den Unternehmens-ergebnissen auf dem Subkontinent wider: Auf den ersten Blick scheint ein Gewinnwachstum von gerade einmal einem Prozent zwar durchwachsen – zumal in der aktuell laufenden Berichtssaison zum 1. Quartal 2018 bereits rund die Hälfte der Unternehmen aus dem Aktienleitindex Sensex ihre Geschäftszahlen veröffentlicht haben. Schaut man jedoch etwas genauer hin, relativiert sich das Bild: Lässt man den zuletzt stark unter Druck stehenden Finanzsektor unberücksichtigt, stiegen die Gewinne im Schnitt um ordentliche 10 Prozent, die Umsätze legten sogar um 14 Prozent zu. Entsprechend positiv sind die Aussichten für das Geschäftsjahr 2018: Die von der Analystengemeinde erwartete Erholung in der indischen Finanzbranche könnte das Gewinnwachstum im Vergleich zum Vorjahr im 31 Unternehmen umfassenden indischen Leitindex auf 20 Prozent nach oben treiben.

Mit den positiven Gewinnaussichten konnte die Wertentwicklung im Sensex nicht mithalten – zumindest nicht aus Sicht eines Euroanlegers. Der indische Leitindex bescherte ihnen seit Jahresbeginn eine negative Wertentwicklung von –1,8 Prozent, während der breite asiatische Schwellenländerindex MSCI Emerging Markets Asia in Euro gerechnet um 2,1 Prozent zulegen konnte. Der Grund für diese negative Entwicklung liegt auf der Währungsseite. Denn seit Beginn des Jahres verlor die indische Rupie gegenüber dem Euro 4,5 Prozent und gegenüber dem US-Dollar sogar 5,9 Prozent an Wert. Damit ist sie im bisherigen Jahresverlauf unter den schwächsten aller Schwellenländerwährungen.

Ölpreis als Risiko für die indische Wirtschaft

Druck auf die indische Währung übt insbesondere der in den vergangenen Monaten gestiegene Ölpreis aus, der zuletzt sogar die Marke von 80 US-Dollar für die Sorte Brent überschritten hat – schließlich ist Indiens Wirtschaft vergleichsweise stark von Ölimporten abhängig. Die indische Zentralbank rechnet für das von April 2018 bis April 2019 laufende Fiskaljahr mit einem Ölpreis von durchschnittlich 68 US-Dollar pro Barrel. Sollten die Notierungen anhaltend über dieser Schwelle liegen, könnte dies zu einem höheren Leistungsbilanzdefizit führen als erwartet: Statt 2,1 Prozent wären in diesem Fall 2,3 bis 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts denkbar. Gleichzeitig könnten die Treibstoffsubventionen steigen und zu einer stärkeren Ausweitung des indischen Haushaltsdefizits führen.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Entwicklung der indischen Volkswirtschaft ist die anziehende Inflation. Getrieben nicht nur durch höhere Ölpreise, sondern auch durch gestiegene Wohn- und Nahrungsmittelpreise lag die Teuerungsrate im April 2018 mit 4,6 Prozent bereits 0,3 Prozentpunkte höher als im Vormonat. Dementsprechend rechnet die Deutsche Bank damit, dass die indische Zentralbank ihren Leitzins im Juni um 0,25 Prozentpunkte auf 6,25 Prozent erhöhen wird.

Krankenversicherung für 100 Millionen Familien

Ein großes Beispiel für das Thema Reformen findet sich im Gesundheitswesen. Indien investiert gerade nur 1,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts in die öffentliche Gesundheitsversorgung. Das ist gemäß Weltbank einer der tiefsten Werte weltweit. Entsprechend wenden sich die meisten Patienten an private Anbieter – wenn sie es sich leisten können. Der Anteil der vom Patienten übernommenen Behandlungskosten ist in Indien mit 82 Prozent so hoch wie in kaum einem anderen Schwellenland. An diesem Punkt setzt die Regierung von Premierminister Modi an, die ebenfalls Handlungsbedarf erkannt hat.

Anfang Februar kündigte Finanzminister Arun Jaitley ein gewaltiges Versicherungsprogramm für die ärmsten 100 Millionen Familien an, gut eine halbe Milliarde Menschen. Die Regierung plant, eine Krankenversicherung zu finanzieren, die Behandlungskosten bis zu 500 000 Rupien pro Familie und Jahr deckt. In Indien reicht das für zwei oder drei operative Eingriffe. 110 Milliarden Rupien pro Jahr, umgerechnet rund 1,45 Milliarden Euro, soll das Vorhaben kosten. Das zumindest ist die Zahl, die Finanzminister Arun Jaitley bei der Vorstellung des nationalen Haushalts 2018 nannte. Dieses Beispiel verdeutlicht die Bestrebungen der indischen Regierung, das Land langfristig auf einen gesunden Wachstumspfad zu bringen, auch wenn wichtige Reformen reichlich Geld kosten können.

Deutsche Bank: Indische Aktien bleiben interessant

Insgesamt bleibt die Deutsche Bank jedoch optimistisch für die indische Wirtschaft und rechnet für 2018 mit einem Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent. Im Umfeld positiver Gewinnerwartungen dürfte sich auch der indische Aktienmarkt positiv entwickeln. Dabei gilt es jedoch, nicht nur die ökonomischen Herausforderungen im Blick zu behalten, sondern auch das Geschehen rund um die im kommenden
Jahr stattfindende Parlamentswahl zu beobachten. Für langfristig orientierte, entsprechend risikobereite Anleger dürfte der indische Aktienmarkt eine interessante Beimischung im Depot bleiben.

Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.