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Je suis Michel

An dem Tag, als der neue Roman „Soumission“ von Michel Houellebecq (56) in Frankreich erschien, haben zwei radikale Attentäter muslimischen Glaubens in der Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris zwölf Menschen ermordet. Die Zeitung hatte eine Karikatur auf der Titelseite, die Houellebecq in Feierlaune zeigt. Der Autor zog sich nach dem Massaker aus Paris zurück.

BÖRSE am Sonntag

An dem Tag, als der neue Roman „Soumission“ von Michel Houellebecq (56) in Frankreich erschien, haben zwei radikale Attentäter muslimischen Glaubens in der Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris zwölf Menschen ermordet. Die Zeitung hatte eine Karikatur auf der Titelseite, die Houellebecq in Feierlaune zeigt. Der Autor zog sich nach dem Massaker aus Paris zurück.

Sein Verlag Flammarion teilte mit, er trauere um Bernard Maris, der bei dem Anschlag, einen Freund, der beim von Al-Qaida gesteuerten Massaker in den Redaktionsräumen von „Charlie Hebdo“ getötet wurde. Während Houellebecq untergetaucht war, trafen sich in Paris 50 Staatschefs zu einer Solidaritätsveranstaltung, einem „Marsch der Millionen“. In einem Interview mit dem Mailänder „Corriere della Sera“ sagte Houellebecq aber, er glaube nicht, dass dieser Marsch der Millionen am vergangenen Sonntag Folgen haben werde: „Die Situation wird sich nicht tiefgehend verändern, sie werden mit den Füßen auf den Boden zurückkehren.“ Das bedeutet: die Wandlung des Landes, in dem vor 1.500 Jahren der fränkische König Chlodwig getauft wurde, was als Grundstein des Abendlandes gelten kann, wird nach den Prognosen von Houellebecq weitergehen.

„Welches Buch würde besser in die heutige Zeit passen als dieses?“, fragt der Dumont-Verlag, bei dem die deutsche Ausgabe von „Soumission“ – zu deutsch „Unterwerfung“ – erschienen ist. Es ist jedoch völlig klar, dass es sich hier nicht um ein Buch gegen den Islam, sondern um eine zugespitzte Offenlegung der Krise der westlichen Demokratie handelt. Die fiktive Handlung beschreibt ein Szenario, in dem sich die französischen Sozialisten und die konservative UMP zusammentun, um einen Wahlsieg von Marine Le Pen (Front National) zu verhindern. Doch während sie etwas gegen die extreme Rechte tun, rühren sie zugleich an den Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens, denn sie unterstützen einen muslimischen Kandidaten, den charismatischen Kandidaten der Bruderschaft der Muslime. Gewaltige Proteste sind die Folge, die islamische Vielehe wird eingeführt, ein Hochschullehrer muss Moslem werden, wenn er weiter seiner Lehrtätigkeit nachgehen möchte – Alltag in manchem Land der Welt, im Frankreich des Jahres 2015 natürlich noch nicht.

Doch die Protagonisten eines fiktiven Frankreich von 2022 kollaborieren bei Houellebecq nur allzu gerne mit den neuen Machthaberm die zielsicher ein muslimisches Frankreich erschaffen – und derartige Verhaltensmuster sind sicherlich keine Fiktion. Soweit die Handlung, in der die sehr weitblickende Botschaft verwoben ist, dass der Islam zu Europa gehören mag, dass sich aber ohne das Christentum der Boden unter Europa auftun wird – die gesamte Finanzbranche übrigens eingeschlossen, denn die islamischen Regeln für Geldgeschäfte sind so verschieden von dem, was heute in der westlichen Welt praktiziert wird, dass sie sich kaum einer vorstellen kann. Das Wort „Unterwerfung“ bedeutet in seiner Ursprungssprache: Islam.

Houellebecq präsentiert sich einmal mehr als furchtloser Gesellschaftsdenker, der die bestimmenden Spannungsverhältnisse unserer Epoche mit großer Ernsthaftigkeit ausdeutet. Dass er zugleich mit virtuos-ironischer Meisterschaft zu erzählen versteht, macht ihn zu einem der wichtigsten Autoren der Gegenwart. Sein Verlag, DuMont in Köln, liefert in diesem Tagen die erste Auflage von 100 000 Exemplaren aus. Weitere 50.000 Exemplare werden parallel dazu gedruckt, sie sollen am Montag fertig sein – gerade rechtzeitig für die einzige Lesung, die Houellebecq in Deutschland halten wird: in Köln, am morgigen Montag. Wahrscheinlich wird es keinen radikal-muslimischen Anschlag auf diese Veranstaltung geben. Sicher sein kann man aber nicht mehr. Das belgische Städtchen Verviers ist keine hundert Kilometer vom Kölner Stadtrand entfernt.