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Kultivierte Geschenke für den Gabentisch

Ein Fotobuch verschwindet nicht im digitalen Nirwana und kann auch nicht aufgegessen werden. Es ist aber schnell zu beschaffen und wird manchmal sogar ein Sammlerstück. Ein Blick auf ausgewählte Neuerscheinungen.Wer die Landschaften des Nordpolarmeers fotografiert, spürt ihre Vergänglichkeit noch in jenem kurzen Moment, in dem der Finger auf dem Auslöser ruht.

BÖRSE am Sonntag

Ein Fotobuch verschwindet nicht im digitalen Nirwana und kann auch nicht aufgegessen werden. Es ist aber schnell zu beschaffen und wird manchmal sogar ein Sammlerstück. Ein Blick auf ausgewählte Neuerscheinungen.
Wer die Landschaften des Nordpolarmeers fotografiert, spürt ihre Vergänglichkeit noch in jenem kurzen Moment, in dem der Finger auf dem Auslöser ruht.

Schneller als andere Erdregionen verändert der Klimawandel ihr Gesicht und das Leben ihrer Bewohner. Tiina Itkonen, Jahrgang 1968 und seit 1995 immer wieder länger auf Grönland unterwegs, hat über zwei Jahrzehnte beides in den Blick genommen, Landschaft und Kultur. Das jüngste Buch der finnischen Fotokünstlerin, das im Kehrer Verlag erschienen ist, versammelt Aufnahmen aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Es sind stille, überwiegend panoramaartige Farbfotografien, auf denen die Zeit gefroren scheint. Dabei funktioniert jedes einzelne Bild wie das Denkmal eines Ist-Zustandes. Die weiten Landschaften sind nicht nur schön und erhaben.

Sie können einiges erzählen. So zeigt das Bild auf dem Cover eine einsame Spaziergängerin mit Hund auf felsigem Untergrund, der von Eis und Schnee freigegeben wurde. Ihr Blick fällt stellvertretend für den Betrachter auf einen von der Witterung bereits bizarr zugerichteten Eisberg, den vom Land eine mit unzähligen Eisbröckchen übersäte Wasserfläche trennt. Hier sind die Relikte eines offenbar erheblichen Gletscherabbruchs zu besichtigen. Kleine, konzentrisch auseinander strebende Wellen künden von einem kleineren Abbruch, der sich wenige Momente vor der Aufnahme ereignet haben muss. Vermutlich wird es nicht mehr lange dauern, und Grönland wird ein Land eher für Spaziergänger sein als für Bewohner, die dick vermummelt mit ihren Huskies auf die traditionsreiche Robbenjagd gehen. Doch so geartete Überlegungen überlässt Itkonen dem Betrachter ihrer Bücher.

Olaf Otto Becker: „Reading the Landscape“

Ganz anders Olaf Otto Becker, der sich für seinen jüngsten, im Hatje Cantz Verlag erschienenen Band „Reading the Landscape“ mit den Tropenwäldern Malaysias beschäftigt hat. Er bezieht unmissverständlich Position, wenn er den intakten Urwald dem rücksichtlosen Kahlschlag und künstlichen Kompensationsversuchen gegenüberstellt. Der Gegensatz könnte nicht schockierender sein: Im ersten Teil die atemberaubenden, von Grün nur so strotzenden Aufnahmen aus den Urwäldern, im zweiten Teil mit Tot-Holz übersäte braune Schlammlandschaften und in einem dritten Teil schließlich künstlich begrünte, urbane Räume, die sich Architekten ausgedacht haben.

Vivian Maier: Das Meisterwerk der unbekannten Photographin 1926-2009, Die sensationelle Entdeckung von John Maloof

Vivian Maier (1926 – 2009) gehörte nicht zu den privilegierten Menschen, die sich ihre Ausbildung selbst aussuchen konnten. Aber die Entscheidung, wie sie ihren Lebensunterhalt verdiente, traf sie mit Kalkül. Als Kindermädchen sah sie genügend Freiräume für ihre wahre Leidenschaft, die Fotografie. Von dem, was dabei herauskam, wenn sie mit den ihr anvertrauten Kindern durchaus grenzwertige Exkursionen unternahm, ließ sie jedoch nur in selteneren Fällen Abzüge machen. Und vor allem: sie zeigte es niemanden. Bis nach ihrem Tod der Immobilienmakler John Maloof und zwei weitere Amerikaner Kisten mit ihren Negativen in einem kleinen Auktionshaus ersteigerten.

Maloof begann zu recherchieren und erkannte, was für ein großartiges, den besten Fotografen Amerikas ebenbürtiges Werk in den Kisten schlummerte. Nun hat er zusammen mit dem New Yorker Galeristen Howard Greenberg bei Schirmer / Mosel eine erste umfassende Monographie mit 233 Fotografien von Vivian Maier herausgegeben. Es ist nicht das erste Buch, das ihrer Entdeckung im Jahr 2007 erschienen ist. Aber es gehört wohl zu den umfangreichsten und wartet erstmals mit ihren Selbstporträts und Farbaufnahmen aus den 1960er- und 1970er-Jahren auf.

Tiina Itkonen: Avannaa. 104 Seiten, 45 Farbabbildungen, engl., Festeinband, Heidelberg / Berlin 2014, ISBN 978-3-86828-512-3, 39,90 Euro.

Olaf Otto Becker: Reading the Landscape. Text von William Ewing, Gestaltung von Olaf Otto Becker, dt., engl. 160 Seiten, 85 Farbabbildungen, gebunden, Hamburg 2014, ISBN 978-3-7757-3854-5, 68 Euro.

Vivian Maier: Das Meisterwerk der unbekannten Photographin 1926 – 2009, Die sensationelle Entdeckung von John Maloof. Hg. Howard Greenberg, mit Texten von Marvin Heiferman und Laura Lippman, 288 Seiten, 233 Tafeln in Duotone und Farbe, München 2014, ISBN 978-3-8296-0686-8, 58 Euro.