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Muskelspiele für das Management

Diese S-Klasse ist der Tiger unter den Raubkatzen. Kurz nach der Premiere bringen die Schwaben ihr Flaggschiff auch wieder als AMG-Modell. Das Tigerbrüllen dieses automobilen Flaggschiffs ist geeignet, Ihren Frieden in der Nachbarschaft auf eine harte Probe zu stellen.

BÖRSE am Sonntag

Läuft er oder läuft er nicht? Bei einer Mercedes S-Klasse muss man schon genau hinhören, wenn man was vom Motor mitbekommen möchte. Doch sobald AMG die Finger im Spiel hat, lässt sich diese Frage deutlich einfacher beantworten: Selbst der sonst so vornehme Luxusliner brüllt dann zumindest einmal kurz auf und meldet sich mit Nachdruck zum Dienst, nachdem er beim Bodybuilding in Affalterbach war. Deshalb könnte es in den Vorstandsgaragen der Welt künftig wieder ein wenig lauter werden. Denn nur wenige Monate nach der Premiere legt die schnelle Schwester von Mercedes das Flaggschiff jetzt auch wieder als S 63 AMG auf. Unter der mächtigen Haube steckt dann statt des 4,7 Liter großen V8 aus der Serie der bekannte AMG-Achtzylinder. Wer auf die 104.601 Euro für den S500 noch einmal fast 50 Prozent aufschlägt und mindestens 149.881 Euro überweist, darf sich auf 5,5 Liter Hubraum und 430 kW/585 PS freuen, mit denen man sogar den Frieden in der Nachbarschaft aufs Spiel setzten kann. Denn zum ersten Mal baut AMG Schallklappen in den Auspuff: Im C-Modus gleich nach dem Anlassen wieder dezent und zurückhaltend wird der Benz mit dem dicken Bizeps in den Fahrprogrammen Sport und Manuell plötzlich zu einem echten Brüller.
Aber ein bisschen Show darf ja auch sein, wenn man so dicke Muskeln spielen lässt und mit den Fahrleistungen eines Supersportwagens protzt. Schließlich schafft die S-Klasse den Standardsprint im besten Fall in 4,0 Sekunden und ist bei 250 km/h mit ihrer Kraft noch längst nicht am Ende. Nicht minder imposant wie der Motor und die Fahrleistungen ist der Verbrauch: Zwischen 10,1 und 10,3 Liter gönnt sich die Luxuslimousine je nach Konfiguration. Nicht dass es die Kunden in diesen Kreisen wirklich interessieren würde. Außerdem braucht es nur ein paar Gassstöße, um das Datenblatt Lügen zu strafen und diesen Wert glatt zu verdoppeln. Doch immerhin haben die Schwaben so trotz gestiegener Leistung und üppigerem Luxus noch einmal rund einen halben Liter eingespart und sich dafür sogar ordentlich ins Zeug gelegt.
Denn im Kofferraumboden gibt es jetzt erstmals ein großes Bauteil aus Karbon, die Batterie arbeitet mit Lithium-Ionen-Technik und wiegt nur noch 20 Kilo und die Schmiederäder sind Serie: In der Summe speckt die S-Klasse so gegenüber dem Vorgänger bis zu zwei Zentner ab. Das merkt man allerdings nicht nur beim Tanken, sondern vor allem beim Sprint und in den Kurven.

Schneller als der Porsche 911

Doch damit hier keine falschen Erwartungen geweckt werden: Zwar beschleunigt die S-Klasse aus dem Fitnessstudio im Ernstfall besser als ein Porsche 911 und stürmt bei einer entsprechenden Freischaltung – Aufpreis etwa 3.200 Euro – ungerührt weiter bis 300 km/h. Aber ein Sportwagen kann und will die S-Klasse nicht sein: „Fahrdynamik ohne jeden Kompromiss beim Komfort“, nennt AMG-Chef Ola Källenius als Entwicklungsrichtlinie, weil der Kunde schließlich auch im S 63 AMG mal hinten rechts statt vorne links sitzen könnte. Deshalb wahrt der Luxusliner selbst bei verschärfter Gangart stets die Contenance: Das Getriebe schaltet sanft und seidig, das Fahrwerk verdient ein Gütesiegel der Orthopäden-Innung und die Lenkung kann man stets auch mit dem kleinen Finger führen – selbst wenn man sich da manchmal etwas mehr Rückmeldung wünschen würde, wenn gute zwei Tonnen durch enge Kehren stürmen. Wer die Version mit kurzem Radstand bestellt, kann außerdem auf die Magic Body Control bauen, die mit ihrer Stereokamera die Straße scannt, Unebenheiten im Voraus erkennt und die Federung so programmiert, dass man tatsächlich wie auf einem fliegenden Teppich über Buckel und Bodenwellen schwebt. Das ist zwar auch in der AMG-Version ein  Vergnügen. Aber die bessere Wahl trifft man trotz des schlichteren aber keineswegs schlechteren Fahrwerks mit dem langen Radstand.
Denn für nicht einmal 3.000 Euro Aufpreis bietet der naturgemäß nicht nur mehr Platz, sondern vor allem den serienmäßigen Allradantrieb. Und der kann bei bis zu 900 Nm Drehmoment nicht schaden.
Denn jetzt bringt die S-Klasse ihre gewaltige Kraft auch dann auf die Straße, wenn die Superreichen mal nicht auf der Sonnenseite des Lebens fahren. Nasse Passstraßen, Kreisverkehre im Herbstnebel oder der erste Schnee in den Niederungen – davon lässt sich der S 63 AMG nicht mehr so sehr beeindrucken. Und weil zumindest zwei Drittel der Kraft nach hinten gelangen, wird einem am Steuer deshalb noch nicht langweilig. Denn eine Spaßbremse mit Hang zum Untersteuern sollte auch der Allradler nicht werden, sagt Källenius.
So imposant der Sound des Achtzylinders im richtigen Fahrprogramm auch ist und so vehement die S-Klasse bei Vollgas voran stürmt – auch als Sportler legt sie ihren Smoking nicht ab. Innen sind es deshalb nur dezente Details wie die etwas stärker ausgeformten Sitze, die neue Grafik für die Instrumente, die Einstiegsleisten und natürlich das ins Leder geprägte AMG-Wappen und außen die weiter aufgerissene Front sowie die vier prägnanten Endrohre unter der neuen Heckschürze, die den Bodybuilder vom Serienmodell unterscheiden.
Vor allem in Europa schätzen die Kunden diesen dezenten Auftritt, schließlich steht auch der S 63 AMG meist auf irgendeinem Firmenparkplatz, sagt der oberste AMG-Produktmanager Thomas Rappel. Und für alle, die doch noch mehr wollen, haben die schnellen Schwaben eine passende Lösung: Beim Design hilft das AMG Performance Studio mit jeder Menge muskulösem Zierrat nach individuellem Geschmack und unter der Haube die Entwicklungsabteilung. Denn die hat den S 65 AMG mit V12-Motor schon in Arbeit. Handelsblatt / Spotpress