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Märkte > Anleihezinsen steigen rasant

Amerikas wahre Finanz-Sorgen sind steigende Anleiherenditen

Achten Sie auf die Wall Street, nicht auf Washington. Denn während sich die Politik mit Theaterdonner um einen drohenden Shutdown kümmert, der am Ende doch nicht kommt, steigen die Anleihezinsen rasant und signalisieren: Die Schuldenpolitik Bidens birgt ein gewaltiges Risiko.

(Bild: Shutterstock)

Achten Sie auf die Wall Street, nicht auf Washington. Denn während sich die Politik mit Theaterdonner um einen drohenden Shutdown kümmert, der am Ende doch nicht kommt, steigen die Anleihezinsen rasant und signalisieren: Die Schuldenpolitik Bidens birgt ein gewaltiges Risiko.
 
Der amerikanische Kongress ist wieder einmal in einen Kampf verwickelt, der die Regierung zum Stillstand bringen könnte - und wieder einmal ist der Kampf eine kostspielige Ergänzung zu den wirtschaftlichen Problemen des Landes. Wenn der Kongress und die Regierung Biden keine Einigung über die Finanzierung der Bundesregierung erzielen, muss sie ab dem 1. Oktober möglicherweise Mitarbeiter beurlauben und nicht lebensnotwendige Zahlungen einfrieren. Die Republikaner im Repräsentantenhaus können sich nicht einmal untereinander darüber einigen, welche Ausgabenkürzungen sie vom Senat und vom Weißen Haus fordern sollen, und die Hardliner versuchen, eine im Sommer erzielte Einigung zwischen den Parteien zu sabotieren.
 
Doch die rücksichtslose Politik in Washington ist nicht einmal die größte Bedrohung für Amerika. Es geht nur um die rund 25 Prozent des amerikanischen Haushalts, die übrig bleiben, wenn man die „obligatorischen" Ausgaben wie die öffentlichen Renten und die Gesundheitsfürsorge abzieht. Die Haushaltsprobleme des Landes sind viel weitreichender - und sie werden von Monat zu Monat schlimmer. Um zu erkennen, warum das so ist, muss man nicht nach Washington schauen, sondern auf die besorgniserregenden Bewegungen an den Anleihemärkten.
 
Die jährlichen Kosten der amerikanischen Regierung für die Kreditaufnahme über zehn Jahre sind auf 4,6 Prozent gestiegen, den höchsten Stand seit 2007. Die Anleiherenditen tendieren seit dem Frühjahr nach oben, da die Anleger zu erwarten beginnen, dass die Federal Reserve die Zinsen „länger hoch" halten wird, um die Inflation niedrig zu halten - das Gegenteil des geldpolitischen Paradigmas, das vor der Pandemie vorherrschte. Doch während die Bundesregierung beim letzten Mal, als die Zinsen so hoch waren, eine Verschuldung von 35 Prozent  des BIP hatte, liegt das Verhältnis heute bei 98 Prozent. Steigende Zinssätze sind daher fast dreimal so schmerzhaft für den Haushalt.
 
Die jüngsten offiziellen Prognosen zeigen, dass die Bundesregierung in diesem Jahr 2,5 Prozent des BIP für den Schuldendienst aufwenden wird, was einer Verdoppelung innerhalb eines Jahrzehnts entspricht. Im Jahr 2030 werden es 3,2 Prozent sein, was einem historischen Höchststand entspricht und die Kosten für die Verteidigung übersteigt. Selbst diese Schätzung ist zu optimistisch, da sie vor den jüngsten Bewegungen auf den Anleihemärkten erstellt wurde und daher davon ausging, dass die zehnjährigen Renditen unter 4 % bleiben würden. Eine frühere Schätzung des Manhattan Institute, einer Denkfabrik, zeigt, dass die Zinsen auf dem heutigen Niveau bis 2051 fast die Hälfte der Steuereinnahmen des Bundes aufzehren würden, wenn nicht die Steuern erhöht oder die Ausgaben gekürzt werden.
 
Die steigenden Zinskosten tragen bereits jetzt zu einem klaffenden jährlichen Loch in den Büchern bei. Erstaunlicherweise hat die ausgabenfreudige Biden-Regierung im vergangenen Jahr ein Defizit von mehr als 7 Prozent zu verantworten - ein Wert, der normalerweise mit Krieg oder Rezession einhergeht. Diese Sauferei erklärt, warum die Zinssätze voraussichtlich hoch bleiben werden. Die staatliche Kreditaufnahme regt die Wirtschaft an und erhöht das Inflationsrisiko, was die Federal Reserve dazu veranlasst, höhere Zinssätze festzusetzen. Eine Faustregel aus einer Literaturübersicht legt nahe, dass das amerikanische Defizit die Zinssätze um fast drei Prozentpunkte stützt. Unabhängig davon trägt das enorme Defizit dazu bei, sowohl zu erklären, warum sich die amerikanische Wirtschaft als überraschend widerstandsfähig gegenüber einer strafferen Geldpolitik erwiesen hat, als auch, warum die Anleiherenditen in Amerika stärker gestiegen sind als in der Eurozone, wo die Defizite geringer sind; die Rendite zehnjähriger Anleihen in Deutschland beträgt nur 2,9 Prozent.
 
Es wäre töricht zu erwarten, dass die Zinssätze stark sinken, während Uncle Sam weiterhin wahllos Kredite aufnimmt. Leider wird die rücksichtslose Finanzpolitik wahrscheinlich fortgesetzt. Eine gewisse Straffung findet in diesem Jahr statt, da die Rückzahlung von Studentenkrediten wieder aufgenommen wird. Dies ist jedoch nur darauf zurückzuführen, dass die Regierung Biden durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs dazu gezwungen wurde. Lassen Sie sich auch nicht von den lautstarken Forderungen der Republikaner nach Ausgabenkürzungen täuschen. Der größte Teil des langfristigen Drucks auf den amerikanischen Haushalt kommt von den steigenden obligatorischen Ausgaben, denen niemand entgegenzutreten bereit ist. So werden beispielsweise die Kosten für Medicare, die Gesundheitsversorgung für die über 65-Jährigen, in den nächsten zehn Jahren im Verhältnis zum BIP um 30 Prozent steigen, was zum Teil auf die alternde Bevölkerung zurückzuführen ist.
 
Die nächste große finanzpolitische Entscheidung wird sein, ob Donald Trumps Einkommensteuersenkungen, die 2017 verabschiedet wurden und 2025 auslaufen, verlängert werden sollen oder nicht - ein weiterer Faktor, der die offiziellen Prognosen für die Verschuldung schmälert. Die Republikaner werden sie verlängern wollen; selbst die Demokraten werden sich schwer tun, Steuererhöhungen durchzusetzen, die eine grobe Halbierung des Standardabzugs (des Betrags, der verdient werden kann, bevor Steuern gezahlt werden) und weniger großzügige Steuergutschriften für Eltern beinhalten. Sollte  Trump als Präsident wiedergewählt werden, wird er wahrscheinlich auch neue Steuersenkungen anstreben.
 
Vorerst spiegeln die steigenden Anleiherenditen in Amerika nur die steigenden Zinserwartungen wider, nicht aber das Risiko einer anhaltenden Inflation oder eines Zahlungsausfalls. Aber wenn Politiker aller Couleur weiterhin so tun, als ob Defizite keine Rolle spielen, selbst wenn die Kreditkosten steigen, werden sie irgendwann vor der unangenehmen Wahl stehen, entweder weiter zu sparen oder die Fed zu zwingen, die Geldpolitik mit einem Auge auf den Haushalt zu richten - was eine weitere Inflation auslösen und die Stabilität der Wirtschaft gefährden würde. Im Vergleich dazu erscheint das heutige Geplänkel um den Shutdown geradezu lächerlich.


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Aus The Economist, übersetzt von der Börse am Sonntag Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com