Deutschlands USP - die Industrie
In keinem anderen hoch entwickelten Land hat die Industrie eine solche Bedeutung wie in Deutschland. Lange Zeit galt dies als rückständig. Mittlerweile als vorbildlich. Das wird auch an den Börsen honoriert. In der Rangfolge der größten Industrieunternehmen gibt es aber auch Überraschungen. Nicht nur die ganz Großen sind einen Blick wert.
Deutschland ist eine der wichtigsten Industrienationen der Welt. Für ein hoch entwickeltes Land ist das untypisch. Tatsächlich ist die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes in den vergangenen Jahren hierzulande sogar wieder gestiegen.
Gegen den Trend
Der Anteil der Industrie ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr: Wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte, kletterte dieser 2011 auf 26,2%. „Der Mittelwert für die Jahre 2000 bis 2010 von 25,1% wird damit deutlich übertroffen“, heißt es dazu aus dem Ministerium. Einen höheren Industrieanteil gab es zuletzt 2007 mit 26,4%. Seit dem krisenbedingten Einbruch auf 23,3% im Jahr 2009 – dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung – konnte sich die Industrie also deutlich erholen. Die Schere zwischen Deutschland und den anderen führenden westlichen Volkswirtschaften öffnet sich damit immer weiter: So kommt Frankreich auf einen Anteil von 12,6%, Großbritannien auf 16,5%, Italien auf 18,6% und Spanien auf 16,9%. Im EU-Durchschnitt liegt dieser Wert bei 19,5%. Doch wie lässt sich dieser Erfolg erklären?
1.000 deutsche Weltmarktführer
Ob Auto- oder Chemieindustrie, Maschinen- oder Anlagebau: Die Deutsche Industrie nimmt in vielen Bereichen eine internationale Spitzenposition ein. Eine der größten Stärken ist dabei der gesunde Mix aus Konzernen von Weltrang und mittelständischen Spezialisten. Die Vielzahl von Mittelständlern, die sich in bestimmten Bereichen zu Weltmarktführern entwickelt haben, ist ein deutsches Phänomen. So identifizierte eine aktuelle Studie, die das „manager magazin“ gemeinsam mit dem Unternehmensberater Bernd Venohr durchführte, 1.000 deutsche Weltmarktführer. Davon sind fast 90% Industriebetriebe. Weil diese hoch spezialisierten Unternehmen besonders wettbewerbsfähig sind, kommen sie in der globalisierten Welt besonders gut zurecht: „Dort sind genau die Investitionsgüter gefragt, die zu unseren Exportschlagern gehören: also Maschinen, Elektronik und Fahrzeuge“, so DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle in einem Interview. In den genannten Branchen gehen deutlich mehr als die Hälfte des Umsatzes in den Export! Das heißt, der größte Teil des Umsatzes wird außerhalb Deutschlands erwirtschaftet, sichert aber Arbeitsplätze im Inland.
Die Mischung macht’s
Das verarbeitende Gewerbe beschäftigte im Jahr 2012 in rund 22.000 Unternehmen gut 5,2 Mio. Mitarbeiter und erzielte dabei einen Umsatz von mehr als 1,6 Bio. Euro. Damit ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie 2012 gegenüber dem Vorjahr um 2,4% gestiegen. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil die Zahl der Beschäftigten während der vorausgegangenen Krise nur vergleichsweise moderat zurückgegangen war. „Das deutsche Modell wurde lange Zeit belächelt“, so Scheuerle weiter. „Inzwischen gilt es als Vorbild. Auch andere Länder streben eine Re-Industrialisierung an.“ Entgegen der weitverbreiteten Meinung wird die deutsche Industrie also nicht von Großkonzernen dominiert. Vielmehr zeichnet sie sich durch eine gute Mischung aus international agierenden Konzernen und mittelständischen Unternehmen aus.
Wachsende Bedeutung auch an den Börsen
Die Hidden Champions aus dem Mittelstand sind für kapitalstarke Konzerne aus dem Ausland eine begehrte Beute. So verleibte sich der chinesische Baumaschinenkonzern Sany Heavy Industries beispielsweise im letzten Jahr den Betonpumpenspezialisten Putzmeister ein und der chinesische Maschinenbauer XCMG erwarb die Mehrheit am Baumaschinenhersteller Schwing. Größe bietet also auch einen gewissen Schutz. Im internationalen Vergleich brachten jedoch auch viele DAX-Werte vergleichsweise wenig auf die Waage. Doch gerade deren Entwicklung wird natürlich mit besonderem Interesse begleitet. Die Übernahme des größten deutschen Bauunternehmens Hochtief durch den spanischen Konkurrenten ACS ist dafür nur das jüngste Beispiel. Der Erfolg der deutschen Unternehmen wird aber mittlerweile auch an den Börsen stärker honoriert. Wie aus einer im Dezember 2012 veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young hervorgeht, gewinnen deutsche Konzerne international an Gewicht: Im vergangenen Jahr kamen fünf heimische Unternehmen unter die Top 100. Eines mehr als im Vorjahr. Wertvollstes deutsches Unternehmen ist demnach Volkswagen, gefolgt von SAP und Siemens.
Die größten deutschen Industrieunternehmen
Die Rangliste der größten Industrieunternehmen des Landes (nach Umsatz) hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Lange Jahre war der Daimler-Konzern das größte deutsche Unternehmen und Siemens stets unter den Top 3. Im Jahr 2012 rangiert jedoch Volkswagen mit einem Umsatz von 192,6 Mrd. Euro mit großem Abstand auf Platz 1. Dahinter folgt E.ON mit 132,0 Mrd. Euro, erst auf Platz 3 Daimler mit 114,3 Mrd. Euro, auf Platz 4 der Chemieriese BASF mit 78,7 Mrd. Euro und erst auf Platz 5 Siemens mit 78,3 Mrd. Euro. Selbst die Top 5 sind für den Münchener Konzern jedoch in Gefahr. Mit einem Umsatz von 76,8 Mrd. Euro ist der ehrgeizige Premium-Autohersteller BMW gefährlich nahe aufgerückt. Die Plätze 7 bis 10 gehen an RWE (53,2 Mrd. Euro), BP Europa (54,3 Mrd. Euro), Robert Bosch (52,3 Mrd. Euro) und Audi (48,7 Mrd. Euro). Der Erfolg der deutschen Autohersteller kommt in dieser Rangliste besonders gut zum Ausdruck. Die Umsatzzuwächse der Hersteller sind für die Konkurrenten unerreichbar.
Mittelstand stiehlt Konzernen die Show
Doch wer nur auf die Autoindustrie gesetzt hat, wurde in den vergangenen zwölf Monaten enttäuscht: Der FAZ-Index für den Sektor Auto und Zulieferer kam in diesem Zeitraum nur um gut 7% voran – der Zug war bereits vorher abgefahren. Der DAX lieferte im gleichen Zeitraum mit +15% eine mehr als doppelt so hohe Performance ab. Noch besser konnten sich jedoch die Nebenwerte entwickeln. Und das ist kein Zufall. Im MDAX und SDAX gibt es zahlreiche Industrieperlen, die auf ihrem jeweiligen Gebiet international eine Spitzenposition einnehmen. An Beispielen für diese Spezies mangelt es nicht: Dürr, Bauer, Jungheinrich, Schuler oder Brenntag, um nur einige Namen zu nennen. Trotz ihres Wachstums konnten sich viele von ihnen eine schlanke, mittelständisch geprägte Firmenkultur bewahren, die sie beweglich und flexibel macht. Eigenschaften, die sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Phasen auszahlen.
Nebenwerte zeigen den Großen die Rücklichter
Dennoch greifen Anleger in vielen Fällen ausschließlich zu Produkten, die sich ausschließlich auf den DAX beziehen. Ein teurer Fehler. Auf Sicht der letzten drei Jahre haben nämlich SDAX (+44,5%) und insbesondere der MDAX (+57,6%) deutlich besser abgeschnitten als der deutsche Leitindex (+25%). Neben entsprechenden Index-Zertifikaten, beispielsweise auf den MDAX von HSBC Trinkaus (WKN: 741907) oder den SDAX von der Deutschen Bank (WKN: DB0SDX), können sich Anleger den Mittelstand auch über ETFs bequem ins Depot holen. Eine interessante Option stellt aufgrund seiner Breite der FAZ-Index dar. Mit diesem Index decken Anleger neben den DAX-Werten auch gleich die zweite Reihe mit ab. Ganz einfach gelingt dies seit 2011 mit einem ETF (WKN: ETF006).
Fazit
Zwar befinden sich gerade in MDAX und SDAX besonders viele Industrieperlen, die angesichts ihres wirtschaftlichen Erfolges keineswegs überteuert sind, jedoch dürften zahlreiche DAX-Werte nun mehr Aufwärtspotenzial besitzen. Unter anderem die Versorger erscheinen auf dem aktuellen Niveau interessant. Dazu kommt, dass gerade die 1. Liga von einer Umschichtung in Aktien durch international tätige Investoren profitieren könnte. Weil Sektorindizes angesichts des immanenten Cluster-Risikos nur eingeschränkt zu empfehlen sind, dürfte der DAX für Anleger daher in Zukunft erste Wahl sein.