Finanzkrise und kein Ende
Die Schuldenkrise verschärft sich weiter. Nachdem Anfang des Jahres auch Portugal unter den Rettungsschirm schlüpfte, machten zuletzt Gerüchte über einen „Default“ Griechenlands die Runde. Doch horrende Staatsschulden sind keineswegs nur ein europäisches Phänomen. Auch die USA stehen mit dem Rücken zur Wand. Sowohl die Anleihe- als auch die Devisenmärkte sind bereits betroffen.
Es ist nur wenige Wochen her, dass die Euro-Länder ein historisches Hilfspaket für klamme Mitgliedsstaaten auf den Weg brachten. Die Maßnahmen umfassen neben einer deutlichen Aufstockung des bereits bestehenden Rettungsschirms und schärferen Regelungen auch die Schaffung eines milliardenschweren weiteren Krisenfonds.
Finanzbranche erneut vor dem Kollaps
Der bisherige Rettungsschirm, die European Financial Stability Facility (EFSF), hatte einen Umfang von 250 Mrd. Euro und war als vorübergehendes Stabilisierungselement mit einer befristeten Laufzeit bis 2013 aufgesetzt worden. Ende März wurde dieses Instrument nun auf 440 Mrd. Euro aufgestockt und gleichzeitig eine dauerhafte Hilfsinstitution, der sogenannte European Stability Mechanism (ESM), geschaffen. Letzterer kann Beträge von bis zu 500 Mrd. Euro ausreichen und ist für die Zeit nach dem Auslaufen der bisherigen Hilfsprogramme konzipiert. Zusätzlich wurde der Einsatzspielraum erweitert: Die beiden Fonds können in bestimmten Fällen zukünftig auch direkt Staatsanleihen einzelner Mitgliedsstaaten aufkaufen. Im Gegenzug wurden die Auflagen und Strafen, die im Falle einer Überschreitung der Defizitgrenzen zum Tragen kommen sollen, verschärft und auch private Gläubiger an einer Umstrukturierung beteiligt (ab 2013). Der ESM selbst soll nur noch bei Liquiditätsproblemen einspringen. Der Umfang und die langfristige Anlage der Hilfsmaßnahmen sind ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es längst nicht mehr nur um die Solvenz einzelner, kleinerer EU-Mitgliedsstaaten geht. Vielmehr will man vermeiden, dass es erneut zu einem Kollaps des Systems wie nach der Lehman-Pleite kommt.
Verschuldung der Industriestaaten auf Rekordniveau
Und erneut spielen die Banken eine zentrale Rolle. Denn die Furcht davor, dass die noch immer nicht vollständig genesenen Finanzinstitute erneut gerettet werden müssen, ist groß. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn griechische Schuldner ihre Verbindlichkeiten bei europäischen Instituten nicht mehr bedienen könnten: „Die Tatsache, dass bislang nicht gewagt wurde, in Griechenland oder Irland einen Schuldenschnitt durchzuführen, hat auch damit zu tun, dass der Bankensektor nicht solide genug ist, um die Verluste zu absorbieren“, so Clemens Fuest, Forschungsdirektor der Oxford University am Centre for Business Taxation, in einem FAZ-Interview Anfang März. Die Börsenkurse der Branche kamen daher in den letzten Wochen bereits unter die Räder. Der entsprechende Subindex verlor allein in den letzten drei Monaten über 15%. Anlegern, die aufgrund der ungelösten strukturellen Probleme mit einer weiteren Verschärfung der Lage rechnen, bieten Put-Optionen bzw. Short-Zertifikate z. B. auf den EURO STOXX Banks-Subindex eine Möglichkeit, die Risiken zu hedgen. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass selbst große Staaten nicht mehr in der Lage sein dürften, ähnlich hohe Beträge wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise in das System zu pumpen. Die Verschuldung Japans, Großbritanniens, Frankreichs, aber auch der USA ist dafür schlichtweg zu hoch.
Bond-Markt im Umbruch
Apropos Vereinigte Staaten: Auch wenn sich die hiesigen Medien gerne mit den Problemen von Portugal & Co. beschäftigen, kommen Anleger nicht mehr umhin, die existenzielle Schieflage wahrzunehmen, in die Uncle Sam geraten ist. Selbst die Rating-Agentur S&P zweifelte jüngst öffentlich an der Kreditwürdigkeit der führenden Volkswirtschaft und droht mit einer Herabstufung des Ratings. Wie ernst es tatsächlich steht, zeigt der Schritt des weltgrößten Anleihe-Investors PIMCO: Die Gesellschaft verkündete kürzlich, dass sie sich aus US-Staatsanleihen verabschiedet. Statt auf lang laufende Bonds der USA will man zukünftig vor allem auf „hochwertige Emerging-Markets-Anleihen, teils auch in lokaler Währung, ausgewählte Unternehmensanleihen sowie Covered Bonds, aber auch ausgewählte High-Yield-Anleihen mit positivem fundamentalem Ausblick“ setzen, so Andrew Bosomworth, Leiter des deutschen Portfoliomanagements von PIMCO.
USA vor Entscheidung
Eine Konsequenz der Schuldenkrise ist auch, dass Anlegern Blue-Chip-Unternehmen zum Teil mehr Vertrauen entgegenbringen als hoch verschuldeten Staaten. Als Paradebeispiel wird der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestlé angeführt, der mehrere Währungsreformen überlebt hat, ohne pleitezugehen: „Wer vor 100 Jahren Geld in Aktien von Nestlé gesteckt hat, hat es heute immer noch. Wer vor 100 Jahren Geld in deutschen Staatsanleihen angelegt hat, hat es mindestens zweimal verloren“, so Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege des Vermögensverwalters Flossbach & von Storch. Diese Haltung spiegelt sich auch in den Spreads wider. Anleihen von Firmen mit sehr guter Bonitätseinstufung – dazu zählen unter anderem Chevron, Nestlé, Novartis, Pfizer, Shell, Total – rentieren im Durchschnitt nur noch rund 0,5% höher als Treasuries und Bundesanleihen.
US-Dollar unter Druck
Weil die USA im Rahmen der Krisenbekämpfung (Quantitative Easing) sprichwörtlich Geld drucken, verlieren immer mehr Großinvestoren den Glauben an die Stabilität des US-Dollar. Der Tropfen, der das Fass in den Augen vieler Marktteilnehmer zum Überlaufen brachte, ist jedoch die drohende Zahlungsunfähigkeit der Supermacht. Denn so unglaublich das klingen mag, so real ist die Gefahr: Weil die Amerikaner ein in ihrer gesetzlich verankerten Schuldenbremse festgelegtes maximales Verschuldungslevel erreicht haben, darf sich die Regierung kein frisches Geld mehr leihen und ist eigentlich nicht mehr in der Lage, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Der Bankrott konnte bislang durch Verschiebung von Vermögenswerten hinausgezögert werden. Doch die Zeit läuft, denn die so freigeschaufelten Mittel reichen nur bis Anfang August. Gelingt es bis dahin nicht, eine Erhöhung der Schuldenbremse im Kongress durchzusetzen, sind die USA zum ersten Mal in ihrer Geschichte zahlungsunfähig. Kein Wunder, dass der US-Dollar angesichts solcher Aussichten in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Flucht in sichere Häfen
Ablesen lässt sich das am Wechselkurs zum Schweizer Franken: Allein in den letzten zwölf Monaten verlor die Weltleitwährung gegenüber dem Franken 23,5% und markierte Anfang Mai ein neues Allzeittief. Eine Entwicklung, die zu erheblichen Spannungen im internationalen Währungssystem führt: „Die quantitative Lockerungspolitik der US-Notenbank Fed führt nicht zu einer monetären Inflation, veranlasst die Investoren jedoch dazu, anderswo Zuflucht zu suchen. Beweis dafür ist die Aufwertung von Währungen, die als Reservewährungen gelten wie der Schweizer Franken, oder die Höherbewertung des Goldes und der Währungen von Schwellenländern. Diese Aufwertung führt zu Spannungen; der brasilianische Finanzminister hat sogar von Währungskrieg gesprochen“, beschreibt Nicolas Pictet, Teilhaber der Privatbank Pictet & Cie., die Auswirkungen des Dollar-Verfalls. Eine Konsequenz daraus dürfte auch das Ende des Dollar als alleinige internationale Leitwährung sein. „Mit dem sinkenden ökonomischen Gewicht der USA steuert die Welt auf ein System mit mehreren internationalen Leitwährungen zu“, so der Währungsspezialist Barry Eichengreen in einem Interview mit der FTD. Der Übergang könnte jedoch holprig werden, zumal ein möglicher Kandidat im Reigen der zukünftigen Leitwährungen ebenfalls große Probleme hat. Das Vertrauen in den Euro dürfte erst zurückkehren, wenn die Probleme rund um die hoch verschuldeten EU-Staaten endgültig aus dem Weg geräumt wurden.
Fazit
Bis dahin dürfte Gold für die Veranlagung der Devisenreserven der Emerging Markets als sicherer Hafen weiterhin eine große Rolle spielen. Der in den letzten Jahren stark gestiegene Goldpreis ist letztlich ebenfalls ein Resultat der Vertrauens- und Schuldenkrise auf beiden Seiten des Atlantiks.