Gute Zahlen, schlechte Zahlen
Mehr denn je stehen die Finanzmärkte im Bann von Konjunkturindikatoren. Überraschende Veränderungen der Daten haben einen immensen Einfluss auf die Börsenkurse. Dennoch ist die Glaubwürdigkeit gerade der wichtigsten Indikatoren mit Vorsicht zu genießen.<br /><br />Die Konjunktur in marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaften verläuft in Phasen, die bei allen Besonderheiten dennoch gewisse Regelmäßigkeiten aufweisen. Aber wann genau eine Konjunktur nach einer Aufschwungphase in eine Boomphase übergeht und wann der Abschwung in eine Rezession oder gar Depression mündet, kann meist nicht mit Sicherheit angegeben werden. Besonders die Wendepunkte zwischen den verschiedenen Phasen sind oft von widersprüchlichen Signalen und Daten geprägt. Eine Fülle von makroökonomischen Kennzahlen bzw. Konjunkturindikatoren, die von den Notenbanken und Wirtschaftsforschungsinstituten erhoben und ausgewertet werden, liefern lediglich Hinweise über die jeweilige Konjunkturphase, in der sich eine Volkswirtschaft befindet. Von diesem Wissen hängen nicht nur die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Staates zum Ausgleich der konjunkturellen Schwankungen ab. Auch die Unternehmen sind auf verlässliche Indikatoren angewiesen, um ihre Investitionen oder Rationalisierungen effizient planen zu können. Investoren und Anleger schließlich leiten von der gesamtwirtschaftlichen Dynamik die mögliche Entwicklung einzelne Industriesektoren ab, die wiederum die Erfolgsaussichten von einzelnen Unternehmen beeinflussen. <br /><br />
Der Blick in die Zukunft
Generell wollen Marktakteure möglichst früh erfahren, wenn Sand im Getriebe der Wirtschaft ist. Deshalb finden grundsätzlich die Frühindikatoren, die Hinweise auf die zukünftige Wirtschaftsentwicklung geben, größere Beachtung als die Präsenz- und Spätindikatoren. Aber nicht alle Frühindikatoren haben für die Marktakteure zu jeder Zeit die gleich hohe Bedeutung. So kann die Veröffentlichung des jeweiligen Indikators deutlich sichtbare, sofortige Auswirkungen auf die nationalen oder internationalen Aktien- und Rentenmärkte haben, sofern dieser von den Erwartungen der Marktteilnehmer abweicht.
Barometer der deutschen Konjunktur
Der monatlich veröffentlichte Geschäftsklimaindex des ifo Instituts (www.cesifo-group.de) gilt als der wichtigste deutsche Konjunkturindikator. Die umfassende Umfrage bei 7.000 Unternehmen aus allen Branchen macht frühzeitig auf konjunkturelle Wendepunkte aufmerksam. Die Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, der Bauwirtschaft und dem Groß- und Einzelhandel werden sowohl nach ihrer aktuellen Geschäftslage als auch nach den Erwartungen für die nächsten sechs Monate befragt. Sie geben Noten, aus deren Mittelwert das Institut den ifo-Index errechnet. Entwickeln sich seine Zahlen drei Mal in Folge gegen den bisherigen Trend, steht mit großer Wahrscheinlichkeit eine Trendwende bevor. Weichen die Zahlen von den Erwartungen der Marktakteure ab, reagiert der deutsche Aktien- und Rentenmarkt besonders sensibel auf die Veröffentlichung des Index.
Europas Börsen im Bann der Einkäufer
Von großer Bedeutung für den gesamten Euroraum ist der Einkaufsmanagerindex, der vom Forschungsinstitut NTC aus Großbritannien erhoben wird. In Zusammenarbeit mit den jeweiligen nationalen Verbänden werden Einkäufer von 2.500 Unternehmen in ganz Europa nach ihrer Einschätzung für Produktion, Auftragseingang, Beschäftigung, Lieferfristen und Lagerbestand befragt. Jeder Manager kann 0 bis 100 Punkte vergeben. Liegt der Durchschnittswert des Index über 50 Punkten, signalisiert er eine wirtschaftliche Expansionsphase.
Am Puls der US-Konjunktur
Mit Spannung erwarten die internationalen Finanzmärkte die monatliche Veröffentlichung des amerikanischen Einkaufsmanager-Index, den das Institute for Supply Management (ISM) durch die Umfrage bei 400 Einkäufern aus Unternehmen aller Bereiche des verarbeitenden Gewerbes erhebt. Steigt der Durchschnittswert über 50 Punkte, ist die Produktion im vergangenen Monat gestiegen. Jenseits der 60-Punkte-Marke wird ein Boom im verarbeitenden Gewerbe indiziert, während ein Rückgang unter 48 Punkte auf einen dauerhaften Rückgang der Produktion hinweist.
Einer der mit Abstand wichtigsten Indikatoren für die internationalen Finanzmärkte ist der amerikanische Arbeitsmarktbericht, dessen verschiedene Subindizes vom US-Arbeitsministerium (www.dol.gov) jeden ersten Freitag im Monat um 14:30 Uhr MEZ veröffentlicht werden.
Der erste Blick der Marktakteure fällt auf den Index für die Entwicklung der Beschäftigungszahl, den „Establishment Survey“. Die Entwicklung der „Nonfarm Payrolls“ gibt die Anzahl der neu geschaffenen Stellen in mehr als 500 Wirtschaftszweigen in allen Staaten und 255 Metropolen der USA an; ohne die Stellen in der Landwirtschaft. Die Daten beruhen auf Berichten von ca. 160.000 ausgewählten Unternehmen, die insgesamt etwa ein Drittel aller lohnabhängig Beschäftigten des Landes einschließen. Die Schwankungen der Beschäftigtenzahlen liefern einen zeitnahen Indikator für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung.
Steigt der Index „Household Survey“, der die Arbeitslosenquote angibt, für die Marktakteure überraschend über 5%, reagieren besonders die Rentenmärkte äußerst sensibel auf die fallenden Inflationsraten.
Darüber hinaus geben die Daten über die Wochenarbeitszeit und Überstunden in den verschiedenen Wirtschaftszweigen detaillierte Hinweise auf die Industrieproduktion und die Entwicklung der privaten Einkommen. Letztere geben Aufschluss über die zukünftige Konsumbereitschaft der privaten Haushalte, die 70% der gesamtwirtschaftlichen Leistung (BIP) ausmachen.
Trau, schau, wem
Die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit von Statistiken, die den Konjunkturindikatoren zugrunde liegen, basieren nicht zuletzt auf der kontinuierlichen und systematischen Erfassung von Daten. Doch die jüngste Geschichte zeigt, dass sie immer wieder politischer Einflussnahme und Manipulation unterliegen. Prominentes Beispiel ist die Verschleierung der Wirtschaftskraft Griechenlands durch fragwürdige Statistiken, die zur Aufnahme des Landes in die EU geführt hat und nun die Stabilität des gesamten Wirtschaftsraums infrage stellt.
Ein Einzelfall? Keineswegs! Gerade der viel beachtete US-Arbeitsmarktbericht weist in den letzten Jahren zunehmend Ungereimtheiten auf. So wies das sog. „CES Net Birth/Death Model“, das als Teil des Arbeitsmarktberichtes Annahmen über neu entstandene und gescheiterte Unternehmen liefert, für das Ende des Jahres 2007 eine massive Ausweitung der Beschäftigung in der Bau- und Finanzbranche aus. Fakt ist aber, dass in diesem Zeitraum die Immobilienkrise zu einer massiven Einschränkung der Bautätigkeit und die Finanzkrise zu Massenentlassungen im gesamten Finanzsektor geführt haben.
Auch die Angaben zur Arbeitslosenquoten sind mit Vorsicht zu genießen. Die Finanzwelt nahm zuletzt mit Sorge eine Quote von 9,7% zur Kenntnis. Aber die alternative Berechnung „A-12“, die wie in Deutschland auch entmutigte Arbeitslose, die trotz intensiver Suche keinen Arbeit mehr finden, berücksichtigt, bietet mit einer Quote von ca. 17% ein wesentlich realistischeres Bild des amerikanischen Arbeitsmarktes.
Fazit
Konjunkturindikatoren geben nur dann relativ zuverlässige Hinweise auf die Dynamik und den Verlauf der Wirtschaftsentwicklung, wenn sie kritisch betrachtet werden. Kluge Anleger haben dabei nicht nur die Zahlen im Blick, sondern auch das Verhalten des Marktes auf ihre Veröffentlichung. Denn: Der Markt hat immer Recht, auch wenn er irrt!