Internet-IPOs im freien Fall
Vor rund einem Jahr erreichte die Euphorie um die neuen Stars des Internets ihren vorläufigen Höhepunkt. Der Preis von LinkedIn-Aktien hatte sich in kürzester Zeit verdoppelt und die Erwartungen an das facebook-IPO wuchsen von Monat zu Monat. Mittlerweile ist die Blase geplatzt und die Enttäuschung groß. Doch es gibt auch Gewinner.
Der Börsengang von LinkedIn hatte die Richtung vorgeben: Zeitweise betrug das Plus beim IPO im Mai letzten Jahres mehr als 170%. Die Aktien waren zu 45 US-Dollar ausgegeben worden – das Hoch lag bei fast 123 US-Dollar. facebook sollte diese Performance noch in den Schatten stellen – so die allgemeine Erwartung. Schließlich kannte die Euphorie scheinbar keine Grenzen mehr.
Der Fall facebook
Nur wenige Monate nach dem facebook-Börsengang vom 18. Mai hat sich die Stimmung ins Gegenteil verkehrt. Nicht genug, dass der Start durch Computerprobleme mehr als holprig verlief, inzwischen sind Klagen gegen die beteiligten Banken und das Unternehmen anhängig. Im Kern geht es um den Vorwurf, dass Großanleger auf Kosten der Kleinanleger mit wichtigen Informationen versorgt worden sein sollen. Der Hype ist mittlerweile Zweifeln am Geschäftsmodell gewichen und der Aktienkurs hat sich von 38 US-Dollar auf rund 20 US-Dollar nahezu halbiert. Weil facebook jüngst einen Quartalsverlust vermelden musste und nicht erklären kann, wo das Umsatzwachstum und vor allem die Gewinne zukünftig erwirtschaftet werden sollen, dürfte es mit dem Kurs weiter abwärtsgehen: Die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Börsenwert von rund 43 Mrd. US-Dollar und dem 2011er-Umsatz von 3,7 Mrd. US-Dollar ist schlichtweg immer noch zu groß. Zu allem Überfluss endet nun auch die Haltefrist für einen Teil der Altaktionäre. Trennen sich diese angesichts der jüngsten Kursentwicklung in großem Stil von ihren Anteilen, könnte das Papier vollends unter die Räder kommen.
Vom Internet an die Börse
Welche Bedeutung der Börsengang für die gesamte Branche hat, zeigt der Blick auf die Entwicklung der Internet-IPOs seit Anfang 2011. Im vergangenen Jahr gingen neben LinkedIn die russische Suchmaschine Yandex, der Inhalteproduzent Demand Media, das chinesische facebook-Pendant Renren, das Web-Radio Pandora, Friendfinder Networks, das Schnäppchenportal Groupon und der Spieleentwickler Zynga an die Börse. Anfang 2012 nutzten schließlich noch das Bewertungsportal Yelp und der Videospezialist Brightcove die Gunst der Stunde.
Absturz der Neulinge
Die Erstnotiz des chinesischen facebook-Konkurrenten Renren lag mit mehr als 20 US-Dollar fast 50% über dem Ausgabepreis. Seitdem hat sich der Titel mit –80% deutlich verbilligt und notiert aktuell bei rund 4,0 US-Dollar. Auch die Aktien der russischen Suchmaschine Yandex bescherten ihren Zeichnern am ersten Börsentag ein Plus von 55%. Seit ihrem Debüt musste die Aktie jedoch mittlerweile Abschläge von über 50% verkraften. Trotz einer Erholung in den letzten Wochen notiert auch die Aktie des Massenproduzenten von Inhalten, Demand Media, fast 50% unter ihrem Höchststand. Noch schlechter erging es den Aktionären des Internet-Radios Pandora und des Friendfinder Networks: Hier ging es seit dem Allzeithoch um fast zwei Drittel (Pandora) beziehungsweise um 90% (Friendfinder Networks) abwärts! Und auch die deutlich größeren Börsengänge von Groupon und Zynga bilden hier leider keine Ausnahme: Das Minus liegt jeweils bei rund 80%! Etwas besser sieht es nur bei Yelp und Brightcove aus – die Titel befinden sich leicht über beziehungsweise nur knapp unter ihrem Emissionspreis.
Dotcom-Blase lässt grüßen
Positiv festhalten lässt sich hingegen, dass Käufer von Zertifikaten, die sich auf den Hype um das Thema facebook beziehungsweise Social Networks beziehen, relativ glimpflich davongekommen sind. Mit jeweils rund –12% seit Emission haben sich die entsprechenden Papiere der Société Générale (WKN: SG10SN) und der Deutschen Bank (WKN: DE9S0M) vergleichsweise gut geschlagen. Nichtsdestotrotz ist es angesichts der vorgenannten Ergebnisse kaum verwunderlich, dass die Flut an Tech-IPOs zum Erliegen gekommen ist: „Ich glaube nicht, dass wir bis zum Labor Day noch einen Börsengang [eines Internet-Unternehmens] erleben werden. Welches Unternehmen jetzt an die Börse will, muss eine besonders hohe Qualität mitbringen und darf sich bezüglich seines Geschäftsmodells nicht mehr in einer Findungsphase bewegen“, zitierte der Branchen-Blog „Techcrunch“ Mitte Juni Anthony Noto, leitender Anlagestratege bei Goldman Sachs im Bereich Technologie, Medien und Kommunikation. Bei dem einen oder anderen Anleger dürften da Erinnerungen an die Dotcom-Blase wach werden. Ob eine neue Ära beginnt oder nicht: Firmen ohne solides Geschäftsmodell haben an der Börse nichts zu suchen – und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Kayak trotzt dem Orkan
Der Labor Day wird in den USA traditionell am ersten Montag im September gefeiert. Eigentlich hätte den verlustgeplagten Internet-Aktien-Anhängern also noch ein paar Wochen Erholung zugestanden. Allen Widrigkeiten zum Trotz hat sich jedoch bereits im Juli mit dem Reiseportal Kayak erneut ein lupenreines Internet-Unternehmen auf das Parkett gewagt. Das IPO war zwar ungleich kleiner als jenes von facebook, aber dafür kaum erfolgreicher: Aktuell beträgt das Minus bereits knapp 20%. Immerhin darf festgehalten werden: Kayak arbeitet profitabel. Mit einem KGV von über 40 ist das Papier allerdings deutlich teurer als die Konkurrenz: Bei Travelzoo liegt dieser Wert bei 15,5, bei Tripadvisor bei 25,5, bei Expedia bei 20,5, und bei Priceline.com bei rund 24. Die drei Letztgenannten zeichnen sich jeweils durch eine starke Marke und eine völlig andere Umsatz- und Ergebnisdimension aus. Wer auf den Online-Reisemarkt setzen möchte, sollte sich die bewährten Player näher ansehen.
Die alte Garde
Gleiches gilt auch mit Blick auf den restlichen Internet-Sektor. So vermeldete das chinesische Schwergewicht Tencent für das zweite Quartal 2012 gerade einen Anstieg des Nettogewinns um 32% – auf 492 Mio. US-Dollar. Seine Umsätze erwirtschaftet das hochprofitable Unternehmen vor allem im Bereich Online-Spiele, die sich in China enormer Beliebtheit erfreuen. Das Geld fließt jedoch nicht nur in das operative Geschäft, sondern auch in Beteiligungen. So ist man unter anderem mit rund 10% an Mail.ru beteiligt. Das russische Unternehmen ist nicht nur das mit Abstand größte Internet-Unternehmen Russlands, sondern besitzt auch selbst einige äußerst interessante Beteiligungen. Am wichtigsten dürften wohl die 2,4% an facebook sein. Hochinteressant sind auch die Alibaba-Gruppe, Chinas größter E-Commerce-Konzern, und der Suchmaschinenbetreiber Baidu. Zu Alibaba gehören nicht nur das wichtigste B2B-Portal des Landes, sondern auch der eBay-Konkurrent Taobao und der Online-Payment-Provider Alipay. Der Nettogewinn der Gruppe stieg von 29 Mio. US-Dollar im ersten Quartal 2011 auf 220 Mio. US-Dollar im ersten Quartal des laufenden Jahres.
Rund läuft es auch beim Branchenprimus. Von April bis Juni dieses Jahres verdiente Google unter dem Strich 2,8 Mrd. US-Dollar und damit 11% mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die hervorragenden Ergebnisse sind jedoch bereits in den Kursen eingepreist: Tencent-Titel kletterten im laufenden Jahr bereits um über 47%, Google-Aktien legten in den vergangenen zwölf Monaten um gut 44 % zu!
Fazit
Von überteuerten IPOs sollten Anleger die Finger lassen: Anspruch und Wirklichkeit passen hier seit rund 18 Monaten nicht mehr zusammen. Die aussichtsreichsten Firmen sind neben Google die etablierten Marktführer in den jeweiligen Segmenten und Regionen. Für Anleger interessant sind aber nur jene Internet-Konzerne, die ihre dominante Marktposition auch in Gewinne ummünzen können. In diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen. Während facebook und Groupon rote Zahlen schreiben, sind Tencent, Google & Co. echte Ertragsperlen – die derzeit freilich keineswegs günstig sind.