Lebensversicherung im Würgegriff
Kürzungen beim Garantiezins, Streit um Rückkaufwerte, sinkende Beteiligungen an stillen Reserven. Auf dem Markt für Lebensversicherungen jagt eine Schreckensmeldung die andere. Trotzdem halten die Kunden dem Produkt die Treue. Möglicherweise zu Unrecht.
Keine Frage, die Lebensversicherung ist beliebt: Statistisch gesehen hat jeder Deutsche mehr als einen Lebensversicherungsvertrag. Laut dem Bericht „Die Deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2010/2011“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) lag die Gesamtzahl bei 90,4 Mio. Verträgen. Seit Beginn des Jahres beträgt der sogenannte Garantiezins der Lebensversicherungen (LV) jedoch nur mehr 1,75%. Noch nie war der Wert so niedrig – bis Ende 2011 lag er immerhin noch bei 2,25%. Die – mit Blick auf die Inflationsrate – psychologisch so wichtige Marke von 2% ist damit unterschritten.
Zinssenkung zum Wohl des Kunden
Noch deutlicher treten die Probleme hervor, wenn man die Entwicklung des Garantiezinssatzes in der jüngeren Vergangenheit betrachtet. So lag dieser Wert in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre noch bei stolzen 4% und bis Ende des Jahres 2003 immerhin noch bei 3,25%. Die Absenkung ist jedoch keineswegs von den Versicherungskonzernen initiiert. Stattdessen legt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) diesen Satz fest. Dabei ist das Ministerium an eine gesetzliche Vorgabe gebunden: Der Wert darf maximal 60% des Mittelwertes der Umlaufrendite der Euro-Staatsanleihen der vergangenen zehn Jahre betragen. Eine Regelung, die dem Schutz der Kunden dient: Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die beim Abschluss versprochenen Zinsen auch tatsächlich erwirtschaftet werden können. Achtung: Die höheren Garantiezinsen aus alten Verträgen gelten weiter – die Änderung gilt nur für neue Policen.
So setzt sich die Rendite der LV zusammen
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu verstehen, wie sich die Rendite der Produkte überhaupt zusammensetzt. Die Garantieverzinsung selbst bezieht sich nämlich nur auf den Sparanteil der Beiträge. Von dem Beitrag, den der Versicherer zahlt, gehen zunächst die Kosten für Vertrieb und Verwaltung ab. Die Höhe dieser Gebühren reicht von 7% (Direktversicherungen) bis hin zu gut 18% – bei besonders teuren Anbietern. Neben dem Garantiezins kommt der Überschussbeteiligung, dem Schlussbonus und der Beteiligung an den stillen Reserven maßgeblich Bedeutung zu. Erst aus diesen Werten errechnet sich die Gesamtverzinsung. Wie bei allen Finanzanlagen hat die Laufzeit einen erheblichen Einfluss auf das Ergebnis, sodass eine pauschale Berechnung nur beschränkte Aussagekraft hat. Für 2012 hat der Branchendienst Assekurata für Kapitallebensversicherungen einen Durchschnittswert von 3,9% ermittelt.
An diesen Schrauben wird gedreht
Angesichts der niedrigen Zinsen und des Vertrauens in die Sicherheit des Produktes mag dies für viele Anleger immer noch verlockend klingen. Wo sonst werden aktuell über längere Anlagezeiträume ähnliche Renditen geboten? Doch diese Werte basieren im Wesentlichen auf in der Vergangenheit getätigten Investments und können daher nicht einfach in Zukunft fortgeschrieben werden. Das bedeutet einerseits, dass nicht nur der Garantiezins, sondern auch die Überschussbeteiligung sinken wird – im laufenden Jahr hat der überwiegende Teil der Branche Letzteren bereits nach unten korrigiert. Andererseits hat der Gesetzgeber die erst 2008 getroffene Regelung eingeschränkt, die dafür sorgte, dass Kunden bei Ablauf ihrer Kapitallebensversicherung mit 50% an den Bewertungsreserven zu beteiligen sind. Dies gilt nun ab dem 21. Dezember nicht mehr. Obwohl kurzfristig noch eine Verordnung besondere Härtefälle vermeiden soll, befürchtet der Bund der Versicherten „weiterhin massive Einbußen für Versicherungskunden, deren Verträge nach Jahreswechsel auslaufen oder gekündigt werden“: „Uns liegen Einzelfälle von Betroffenen vor, da würde die gesamte Ablaufleistung Anfang 2013 bis zu 8% niedriger ausfallen als der Rückkaufswert bei vorzeitiger Kündigung noch vor Jahreswechsel“, so Axel Kleinlein, Vorstandvorsitzender des Bundes der Versicherten.
Auch Schlussbonus betroffen
Dem Gros der Kunden werden laut dem Verband damit trotz der Änderung massive Verluste zugemutet, weil die Kappungsgrenze so hoch aufgehängt sei, dass sie nur in absoluten Ausnahmefällen greife, so der Bund der Versicherten weiter. Unmittelbar betroffen sind hiervon Kunden, deren Verträge in Kürze regulär ausgelaufen wären, oder die ohnehin beabsichtigt hatten ihren Vertrag zu kündigen. Doch diese Überlegung ist nun hinfällig: „Der Bundestag hat die Neuregelung am 8. November beschlossen. Kunden, die ihren Beitrag monatlich zahlen, hatten seitdem bis Ende November Zeit, um rechtzeitig zu kündigen. Kunden, die jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich zahlen, hatten gar keine Möglichkeit mehr, so aus ihrem Vertrag zu kommen, dass sie noch nach der alten, günstigeren Regelung an den Bewertungsreserven beteiligt werden“, teilt die Stiftung Warentest auf ihrer Webseite mit. Indirekt trifft diese Regelung auch den Schlussbonus: Der Schlussüberschuss ist nicht garantiert und kann daher gekürzt oder gestrichen werden. Demgegenüber müssen die Bewertungsreserven wie oben dargestellt ausgezahlt werden. Doch weil der Schlussüberschuss teilweise ebenfalls aus Bewertungsreserven besteht, reduziert sich künftig auch diese – bislang unantastbare – Komponente.
Gute Nachrichten nur für Abbrecher
Mit der Einführung der neuen Unisex-Tarife – gültig für alle Verträge mit Abschluss ab dem 21. Dezember 2012 – werden auch Kapitallebensversicherungen teurer: „Die neuen Prämien werden daher im Schnitt etwas höher sein als die heutigen Prämien, um das Geschlechterrisiko einzurechnen. Für die gleiche Leistung zahlen die Kunden künftig daher etwas mehr“, kommentiert der Bund der Versicherten die Neuregelung. Es gibt allerdings auch Positives zu vermelden: Am 25. Juli 2012 hat der Bundesgerichtshof (BGH) zugunsten der Versicherungskunden über die bisherige Praxis der Berechnung von Rückkaufswerten entschieden. Den Versicherern war es bislang gestattet, die Abschlusskosten direkt mit den ersten Beitragszahlungen zu verrechnen. Dies führte dazu, dass Kunden, die ihre Police in den ersten Jahren wieder kündigten, nur einen Bruchteil der eingezahlten Gelder zurückerhielten. Die Verbraucherzentrale Hamburg geht davon aus, dass das Urteil für alle ähnlich gelagerten Fälle gilt, und rät Betroffenen dazu, ihre Ansprüche schriftlich geltend zu machen. Informationen hierzu finden Sie auf der Webseite der Verbraucherzentrale Hamburg. Tatsächlich sind Abbrüche eher die Regel als die Ausnahme: Verbraucherschützer schätzen, dass bis zu 80% vorzeitig abbrechen. Auch hier zeigt sich, dass Produkt und Wirklichkeit nicht zusammenpassen.
Fazit
Die Krise(n) auf den Finanzmärkten gehen auch an den Lebensversicherungen nicht spurlos vorüber. Bislang ist die Versicherungswirtschaft hierzulande relativ unbeschadet durch die Krise gekommen. Viele der gesetzlichen Änderungen der jüngeren Vergangenheit dienen zweifellos dazu, die Spielräume der Konzerne zu vergrößern – für die Kunden sind sie ärgerlich und teuer. In der derzeitigen Form sind diese daher nur noch in Ausnahmenfällen ein gutes Investment: „Lebens- oder Rentenversicherungen passen aber nur zu wenigen Menschen, denn die Verträge vieler Anbieter sind teuer und wenig ertragreich und zunehmend werden riskante Fondspolicen verkauft. Vor allem sind Lebensversicherungen unflexibel. Viele Kunden werden zur Unterschrift überredet und halten den Vertrag nachher nicht durch. Ein vorzeitiger Ausstieg aus einer langlaufenden Lebensversicherung macht jeden Vertrag kaputt: Ein guter wird schlecht, ein schlechter zu einer Katastrophe“, so die „Finanztest“-Redakteurin Susanne Meunier in einem Interview auf der Webseite des Anbieters.