Transatlantic Trade and Investment Partnership -Obamas Freihandelsofferte auf dem Prüfstand
Die Vorstellung ist faszinierend: die Zölle zwischen Europa und Nordamerika fallen komplett. Identische Qualitätsstandards, gleiche Regeln für Zulassung und Verkauf von Produkten und Dienstleistungen, die Industrienormen werden vereinheitlicht. Das spart Geld, setzt Kräfte frei und sorgt für zwei Millionen neue Arbeitsplätze diesseits und nochmal so viele jenseits des Atlantiks. Die Erfolgsgeschichte der westlichen Industrienationen von Freihandel, Prosperität und Wirtschaftswachstum erführe eine glanzvolle Fortsetzung. Doch ist diese Vorstellung realistisch?
Eine kritische Zwischenfrage sei erlaubt. Wer wird von der Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP, profitieren? Die Erfahrung lehrt, daß derartige Märkte eine eigene Art Gravitation besitzen. Sie nützen eher denen, die das größte Volumen und die stärkste Wertschöpfung auf sich vereinen. Arbeitskräfte wandern dorthin, wo die besten Löhne gezahlt werden und die Lohnstückkosten am geringsten sind, immer mehr Kapital zu den Ländern mit der höchsten Produktivität. So war es wohl kein Zufall, dass Obamas Besuch in Berlin und die Forcierung von TTIP in einem zeitlich engen Zusammenhang stehen: am 13. Februar hatte Obama die transatlantische Freihandelszone angekündigt, nun konkretisierten sich die Pläne anlässlich seines Besuchs an der Spree. Deutschland diesseits, die USA jenseits des Atlantiks – hier bündeln sich die Interessen am stärksten.
Doch kann TTIP überhaupt funktionieren? In der Theorie liest es sich so schön: der Freihandel schafft komparative Kostenvorteile. Falls aber die Märkte gesättigt sind, funktioniert dieser Anreiz nicht mehr. Sind erst Kapital, Investoren und auch Arbeitsplätze bei den stärksten Partnern konzentriert, entsteht gerade wegen dieser hohen Produktivität als Schattenseite Arbeitslosigkeit in den Ländern mit niedriger Produktivität, denn dort werden die Lohnstückkosten zu hoch. Für die Anleger ist dies ein wichtiger Aspekt, denn in Europa verlieren die Mittelmeeranrainer immer mehr Arbeitsplätze, das Kapital fließt nordwärts; in Nordamerika sind mit Blick auf Mexiko vergleichbare Prozesse zu beobachten.
Ein neues transatlantisches Bindeglied
TTIP bringt, um es auf den Punkt zu bringen, den Anlegern in den USA und in Deutschland am meisten. Eine transatlantische Freihandelszone ist indes keine neue Idee. Warum ist das Abkommen jetzt ganz oben auf der politischen Agenda? Ein etwas genauerer Blick offenbart, dass Obama offenbar gut analysiert hat und clever beraten wurde.
Die NATO, das ist unübersehbar, verliert spürbar an Glanz. Der US-Präsident startete seine Charme-Offensive bei „Angela“ in einem geschichtlichen Moment, in dem offenkundig ist, dass die seit Jahrzehnten gewohnte Dominanz der westlichen Staaten insgesamt infrage steht. Das liegt bei weitem nicht nur an den prosperierenden asiatischen Volkswirtschaften oder am gewaltig, ja, gewalttätig mancherorts erstarkenden politischen Islam. Der Westen selbst hat vielmehr die ökonomische Basis seiner Macht durch das Ausmaß der öffentlichen Verschuldung untergraben, die Märkte leiden noch immer unter den Folgen der Finanzkrise und die Volkswirtschaften tun sich schwer, das nötige Wachstum für einen neuen Aufschwung zu erzeugen. Der Führungsanspruch der USA wird durch den Aufstieg neuer Mächte in Asien, Südamerika und Afrika herausgefordert.
Die Wiederentdeckung Europas durch die USA dient zu guten Teilen den eigenen Interessen, denn mit einem Partner von der Größe der EU lässt sich ein Führungsanspruch gegenüber den neuen Konkurrenten aus Asien begründen. War noch zum Zeitpunkt von Obamas Asienreise im Herbst 2011 viel davon die Rede, dass die USA sich von Europa abwenden und ihr Engagement in Asien verstärken, weil dies der Kontinent der Zukunft sei, so ist nun genau das Gegenteil zu beobachten – der „swing-back“ in Richtung Europa. Falls China eine künftige Weltmacht sein sollte, die die USA ernsthaft herausfordert und zu überflügeln droht, und das ist aufgrund mannigfaltiger Probleme noch lange nicht ausgemacht, werden die USA gerüstet sein, wenn die geplante Freihandelszone Realität geworden ist.
TTIP als Herausforderung
Das Projekt ist gewaltig. Die geplante Freihandelszone von EU und den USA wäre mit 800 Millionen Konsumenten und einem Anteil von rund einem Drittel des Welthandels die größte ihrer Art. In den USA und der EU leben etwa zwar nur zehn Prozent der Weltbevölkerung, doch sie sind das Rückgrat der Weltwirtschaft, erzeugen rund 50 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts, führen mehr als 70 Prozent aller Finanzdienstleistungen durch, stehen für 60 Prozent der weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Amerika und Europa sind auch das Ziel der meisten Direktinvestitionen – nicht etwa die asiatischen Märkte oder speziell China.
Die meisten exportabhängigen Konzerne diesseits und jenseits des Atlantiks haben sich mit den Hemmnissen durch Zölle und divergierende Vorschriften leidlich arrangiert. Längst werden von Autos, Haushaltsgeräten und anderen technischen Konsumgütern aller Art zwei Versionen hergestellt – eine für die USA, eine für Europa. Werden die Industrienormen vereinheitlicht, sollten Automobilwerte, die Hersteller von elektrisch betriebenen Geräten, aber auch der klassische Maschinenbau deutlich profitieren. Denn dann könnten alle betroffenen Firmen, und derer sind wahrlich viele, den Aufwand, den sie bis jetzt in die doppelte Ausfertigung von Produkten stecken, einsparen und sich der Steigerung der Produktivität zuwenden. In Deutschland könnten nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Münchner Ifo-Institutes bis zu 180.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Europäische Bedenken
Doch TTIP ist nicht unumstritten. Mancherorts in Europa werden Bedenken laut, die in Washington irritiert zur Kenntnis genommen werden dürften. Die Franzosen beharren auf Ausnahmeregelungen für ihre Musik- und Filmindustrie. Von der Themse ist zu hören, dass Sondervorschriften für den Finanzstandort London notwendig seien, und deutsche Bauern könnten Schranken gegen amerikanischen Genmais und andere genetisch veränderte Produkte fordern.
Diese Bedenken können nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Wer aber könnte ein solches Gezerre verhindern? Am ehesten Kanzlerin Merkel und Deutschland, das neue wirtschaftliche Schwergewicht in Europa – das hoffen offenbar die Analysten in Washington. Die Explorationen der NSA, die als Datensammelwut wahrgenommen werden, erleichtern die Verhandlungen nicht. Doch scheitert TTIP, so ist folgendes Szenario nicht für die Ökonomen diesseits und jenseits des Atlantiks wahrscheinlich: China könnte eines Tages alle Standards in Umwelt und Arbeitsmarkt diktieren und so die Möglichkeiten der Unternehmen und damit letztendlich deren Börsenkurse massiv beeinflussen. Eine unangenehme Vorstellung. Dass dies aber in Washington als eine reale Gefahr gesehen wird, belegt die enorme Geschwindigkeit, mit der Barack Obama nun auf TTIP zusteuert.
Eine Chance, gerade für Europa
Unerwartet blass blieb indessen der US-Präsident am 19. Juni 2013 in seiner mit Spannung erwarteten Rede vor dem Brandeburger Tor in Berlin. Zwar nannte er TTIP, die neue transatlantische Partnerschaft in Zoll- und Wirtschaftsfragen, beim Namen, doch die markantesten Worte kamen für von Angela Merkel: „Gemeinsam begründen wir die größte Freihandelszone!“ Die Bundeskanzlerin setzte ein Bekenntnis hinzu, das prägnant und klar ist: „Auch im 21. Jahrhundert gibt es keine besseren Partner füreinander als Europa und Amerika.“ Womit klar ist, worauf sich die Anleger hierzulande einstellen dürfen, wenn sie ihr Portfolio ergänzen wollen. Inwieweit nun Auto-, Maschinenbau- und Konsumgüterwerte, die ebenso wie bestimmte Dienstleister stark vom transatlantischen Zollabkommen profitieren können, übergewichtet werden sollten, hängt natürlich auch davon ab, wieviel Gewicht und Glaubwürdigkeit den Worten der politischen Akteure Obama und Merkel beigemessen wird. Diesseits wie jenseits des Atlantiks herrscht trotz allem vorsichtig-optimistische Erwartung. Obama hat mit seiner Rede in Berlin eine „Partnership in Leadership“ offeriert. Das ist eine Einladung zu Investitionen in die gemeinsame nordatlantische Zukunft.