Vorsprung durch Technik
Die charttechnische Analyse ist keineswegs eine esoterische Angelegenheit, auch wenn manche Methoden mitunter exotisch anmuten mögen. Wer die Grundlagen kennt, kann daraus Handlungsempfehlungen ableiten. Dies ist besonders dann wertvoll, wenn die fundamentale Analyse an ihre Grenzen stößt. Wir stellen Ihnen die Grundlagen vor.
Im Gegensatz zum Value-orientierten Stock-Picking gelten Handelsstrategien, die auf Charttechniken beruhen, gerade bei vielen Privatanlegern als undurchsichtig und esoterisch. Dennoch gewinnen die unterschiedlichen Verfahren immer mehr Anhänger. Denn die Aktienkurse übertreiben gern – sowohl nach unten als auch nach oben. Die letzten Jahre boten dafür genügend Beispiele. In solchen Phasen können charttechnische Analysen für Transparenz sorgen und dem Anleger wertvolle Hinweise darauf geben, wie er sich verhalten sollte.
Analyse statt Emotion
Entgegen der klassischen Theorie neigen die Finanzmärkte gerne zu Über-, aber auch zu Untertreibungen. Das bedeutet, dass einzelne Wertpapiere, aber auch ganze Asset-Klassen teurer oder eben auch billiger sind, als mittels der Fundamentaldaten zu erwarten wäre. KGV & Co. sind in einer solchen Situation keine große Hilfe mehr: Die wenigsten Anleger halten es nämlich in der Praxis durch, so lange gegen den Trend zu agieren, bis sich die Bewertung wieder ihrem fairem Wert angenähert hat. Daran sind nicht nur mangelnde finanzielle Ressourcen schuld – eine antizyklische Strategie muss man sich freilich auch leisten können – die Psychologie der Anleger spielt hier eine noch größere Rolle.
Handwerkszeug für Anleger
Für diesen Problemkomplex bietet die Charttechnik das passende Handwerkszeug. Zum einen lassen sich mit diesen Methoden Trends gut identifizieren und nutzen. Auf diese Weise kann der Anleger auch in Phasen traden, in denen für Fundamentalisten nur Abwarten angesagt ist. Zum anderen liefern Chartanalysen auch Hinweise für das richtige Timing. Den richtigen Zeitpunkt für den Ein- und Ausstieg festzulegen, ist häufig bereits die halbe Miete. Um dies zu bewerkstelligen, gibt es eine ganze Palette an Abbildungsmethoden.
Linie, Balken oder Kerze
Die einfachste und geläufigste Form ist der sogenannte Linienchart. Hier wird jeweils der Schlusskurs, also der letzte Kurs eines Handelstages, abgetragen. Kommt ein neuer Schlusskurs hinzu, wird dieser mittels einer Linie mit dem vorangegangenen Kurs verbunden. Auf diese Weise lässt sich sofort feststellen, ob der Kurs im Verlauf der letzten Tage, Wochen oder Monate tendenziell gestiegen oder gefallen ist. Im Gegensatz dazu wird im Balkenchart ein vertikaler Kursbalken verwendet. Letzterer bündelt gleich eine ganze Reihe von Informationen über den Kursverlauf eines Handelstages: den jeweiligen Schlusskurs sowie den Tageshöchst- und Tagestiefstkurs. Eine weitere Variante sind die sogenannten Candlestick-Charts. Wie beim Balkenchart lassen sich in den einzelnen Balken, die auch als Kerzen bezeichnet werden, der Eröffnungs-, der Schlusskurs sowie der höchste und tiefste gehandelte Kurs des Tages ablesen. Dazu kommen weitere Informationen: Der senkrechte Balken (Kerzendocht) repräsentiert am oberen Ende den höchsten, am unteren Ende den tiefsten Kurs des Tages. Der Kerzenkörper markiert Eröffnungs- und Schlusskurs. Ist der Kerzenkörper weiß, stellt der obere Rand den Schlusskurs dar, der untere den Eröffnungskurs. Ist der Kerzenkörper schwarz, so markiert der untere Rand den Schlusskurs, der obere die Eröffnung.
The trend is your friend
Auf Basis dieser Grundlagen lassen sich nun Trends ermitteln, denn Kursbewegungen besitzen stets eine vorherrschende Tendenz. Eine Trendlinie kann eingezeichnet werden, wenn bei einem Chart mindestens zwei Punkte entstehen, die Extremwerte – sogenannte Highs und Lows – besitzen. Dabei gibt es drei Arten von Trends. Steigt ein Wert über einen längeren Zeitraum, das heißt, es hat sich eine Serie von höheren Highs und höheren Lows herausgebildet, handelt es sich um einen Aufwärtstrend. In diesem Fall werden die Tiefpunkte miteinander verbunden und liefern so die Trendlinie. In einem Abwärtstrend verhält es sich genau umgekehrt: Es liegt eine Serie von niedrigeren Highs und niedrigeren Lows vor. Die Highs lassen sich also zu einer fallenden Linie verbinden. Von einem Seitwärtstrend ist die Rede, wenn der Kurs laufend zwischen zwei Begrenzungen hin- und herpendelt. Je nach Betrachtungsintervall lassen sich so langfristige, mittelfristige und kurzfristige Trends ermitteln. Welche Bedeutung die übergeordneten Bewegungen für Investoren haben, macht die alte Börsenweisheit „the trend is your friend“ deutlich.
Keine gesicherten Erkenntnisse
Der nächste Schritt ist die Erweiterung der Analyse um sogenannte Trendkanäle. Diese entstehen, wenn man zusätzlich die jeweils entgegengesetzten Extremwerte verbindet. Auf diese Weise lässt sich die Schwankungsbreite und daraus wiederum die Trendstärke ermitteln. Komplettiert wird das Bild durch die zugehörigen Handelsvolumina. Letztere erlauben beispielsweise Rückschlüsse zur Phase eines Trends. Die entstehenden Muster, z. B. Dreiecke, Keile oder V-Formationen lassen sich nun lehrbuchmäßig interpretieren. Beispielsweise gehen Experten davon aus, dass auf Dreiecke häufig eine Trendfortsetzung folgt. Entsteht das Dreieck nach einem Aufwärtstrend, sollte der Kurs dementsprechend später weiter nach oben ausbrechen. Befand sich der Kurs dagegen vorher in einem Abwärtstrend, ist eher mit einem Ausbruch nach unten zu rechnen. Wichtig: Es gibt keine gesicherten Statistiken über die Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser Regeln. Es bleibt daher jedem Trader selbst überlassen, Charts zu analysieren und nach bestimmten Trends und Formationen Ausschau zu halten. Trotzdem liegt der Nutzen auf der Hand.
Alles andere als durchschnittlich
Beim charttechnisch basierten Trading spielen also die Linien im Chart die entscheidende Rolle. An den entstehenden Linien und Kursmarken reagiert der Kurs schon deshalb, weil viele andere Charttechniker und Computerprogramme zu den gleichen oder ähnlichen Ergebnissen kommen und in diesen Unterstützungen oder Widerstände sehen. Dies gilt insbesondere für die mathematischen Handelsindikatoren in Form der gleitenden Durchschnitte. Zu den wichtigsten gehören der einfache und exponentielle gleitende Durchschnitt (SMA und EMA), der MACD, die Bollinger-Bänder, der SAR und der RSI. Sie bestehen aus dem Durchschnitt einer Anzahl von Kurswerten – beispielsweise den Tagesschlusskursen er letzten 20, 50, 100 oder 200 Tage. Besonders gute Signale generieren diese Indikatoren in deutlichen Aufwärts- und Abwärtstrends. In Seitwärtsphasen erzeugen sie hingegen zahlreiche Fehlsignale, weshalb ihre Eignung als alleiniger Timing-Indikator umstritten ist.
Mit Exoten voll ins Schwarze
Bei vielen Charttechnikern ist derzeit wieder das Elliott-Wellen-Prinzip populär. Die Methode basiert auf der Annahme, dass die Kurse durch menschliche Handlungen und Emotionen geprägt werden. Weil Letzteren bestimmte wiederkehrende Verhaltensmuster zugrunde liegen, lassen sich aus den Kursmustern Vorhersagen ableiten. Ihre neu gewonnene Popularität verdankt diese Form der technischen Analyse den treffsicheren Vorhersagen der Analysten: Heribert Müller berät mit seiner Firma institutionelle Kunden und nutzt dafür Elliott-Wellen. Im Januar 2008 verkündete er, dass sowohl bei Aktien und Euro als auch Gold und Öl die Preise kräftig fallen würden – und traf damit voll ins Schwarze.
Fazit
Insbesondere Trading-orientierte Anleger sollten sich mit den Hilfsmitteln der technischen Analyse vertraut machen. Die streng regelbasierten Systeme helfen dabei, die eigenen Emotionen im Zaum zu halten und damit eine der größten Quellen für Anlegerfehler auszuschalten.