Wachstum ohne Grenzen
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass für die Eurozone ein neues Krisenszenario präsentiert wird. Statt nur zu sparen, soll nun ein Wachstumspakt den Weg aus der Krise ebnen. Anleger haben es da leichter. Sie können sich einfach die wachstumsstärksten Titel herauspicken. Und davon gibt es gerade in Europa mehr, als man glaubt.
Wenn von wachstumsstarken Unternehmen die Rede ist, denken viele an Google, facebook oder Apple. Die Ikonen der amerikanischen IT-Branche gelten vielen als Synonym für exorbitante Wachstumsraten. Dieser Eindruck täuscht jedoch. Die Mehrzahl der Growth-Titel findet sich mittlerweile nicht nur in anderen Sektoren, sondern auch in anderen Regionen.
Der Unterschied zwischen Value und Growth
Hinter der Value-Strategie steckt die Annahme, dass an der Börse stets Unternehmen zu finden sind, deren wahrer Wert von den Investoren nicht wahrgenommen wird. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Gemein ist diesen Titeln, dass der Aktienkurs beziehungsweise die Marktkapitalisierung niedriger ist als der tatsächliche Wert des Unternehmens. Daher weisen diese Unternehmen in der Regel ein niedriges KGV auf und sind nicht in einer Branche tätig, die gerade boomt. Das klingt einfacher, als es in der Praxis ist. Denn um zu bestimmen, wie viel ein Unternehmen tatsächlich wert ist, bedarf es aufwendiger Analysen und einschlägigen Know-hows. Wäre dem nicht so, würde die Strategie auch nicht funktionieren. Der wohl erfolgreichste Vertreter des Value-Ansatzes ist der amerikanische Investor Warren Buffett. Von ihm stammt auch die Aussage, dass der wohl dümmste Grund, eine Aktie zu kaufen, die Tatsache ist, dass diese steigt.
Je größer die Chance …
Genau dies charakterisiert jedoch die Growth-Strategie. Hier geht es weniger um die Analyse einzelner Unternehmen, stattdessen versucht man, aussichtsreiche Branchen zu identifizieren. Der Growth-Investor versucht also frühzeitig, künftige Wachstumsmärkte zu erkennen, und setzt dann auf jene Branchenvertreter mit der höchsten Wachstumsdynamik. Auch dies ist einfacher gesagt als getan. Schließlich müssen Trends sehr frühzeitig richtig erkannt werden. Doch selbst das reicht noch nicht aus, wie das Beispiel der deutschen Solarbranche zeigt. Die hiesigen Solarwerte galten fast durch die Bank als aussichtsreiche Kandidaten: Sie nahmen auf dem Weltmarkt eine Pionierstellung ein und konnten mit exorbitanten Wachstumsraten glänzen. Innerhalb weniger Jahre gerieten die Titel jedoch in eine existenzielle Krise. Ob diese abzusehen war und welche Fehler die Politik in diesem Zusammenhang gemacht hat, ist ein Thema für sich. Fest steht, dass viele Anleger, aber auch Konzerne wie Bosch oder Siemens, mit der ehemaligen deutschen Vorzeigebranche viel Geld verloren haben.
… desto größer die Risiken
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei Growth Investments um eine Wette auf die Zukunft handelt, während der Börsenwert bei Value-Titeln durch die Substanz der Firma – wie beispielsweise Grundstücke, Maschinen, Patente o. Ä. – gedeckt ist. Dies erklärt auch, warum Wachstumstitel in Baisse-Phasen besonders schlecht abschneiden: Anleger minimieren im Zuge von Krisen ihre Risiken – die zukünftige Fantasie spielt dann keine Rolle mehr. Da sich die Börse in Zyklen bewegt, müssen gerade Growth-Investoren diese übergeordneten Trends stets im Auge haben. Dass Wachstum auch Grenzen hat, zeigt das Beispiel Apple. Die Firma, die in den vergangenen Jahren der Maßstab für profitables Rekordwachstum war, wurde an der Börse zuletzt abgestraft: Ab einem bestimmten Punkt kann man einfach nicht mehr schneller wachsen und die Erwartungen übertreffen. Kaufen und liegen lassen funktioniert hier also nicht. Weil die Gewinnchancen hoch sind, kann es sich trotzdem lohnen, diese Risiken einzugehen.
Growth schlägt Value deutlich
So konnte der Weltaktienindex MSCI World Growth in den vergangenen drei Jahren mit einem Wertzuwachs von insgesamt 51% glänzen. Value-Investoren mussten sich dagegen – gemessen am MSCI World Value – mit lediglich 35% begnügen. Weil der Aufschwung nach der Finanzkrise besonders stark ausfiel, konnte der Growth-Index seinen Konkurrenten sogar über die zurückliegenden 5-Jahres- und 10-Jahres-Zeiträume hinter sich lassen. Grundlage des Erfolgs waren dabei keineswegs die berüchtigten Internet, Telekommunikation- oder IT-Aktien. Nein, den größten Anteil im Weltaktienindex MSCI Growth stellen derzeit die Branchen Konsumgüter, Industrie und Grundstoffe. Zu den am höchsten gewichteten Einzelwerten zählen unter anderem Nestlé, Roche, Toyota, BHP Billiton, Rio Tinto, BASF, Bayer und SAP.
+63% mit europäischen Wachstumsfonds
Dass mit dem Baring German Growth Trust (WKN: 972849) ein wachstumsorientierter Aktienfonds mit ausschließlich deutschen Aktien fast so gut abgeschnitten hat wie der MSCI World Growth, dürfte viele ebenfalls überraschen. Tatsächlich liegt der Baring Fonds mit einer Performance von knapp 46% in den vergangenen drei Jahren nur knapp hinter dem Weltindex. Zu den Schwergewichten im Portfolio zählen Bayer, Siemens, SAP, Allianz und BASF. Doch nicht nur deutsche Wachstumswerte liegen auf Kurs: „Auffällig war auch die gute Performance deutscher Aktien im MDAX und der Growth-Aktien aus der Eurozone“, heißt es etwa im Jahresrückblick 2012 des Analysehauses Absolut Research. So konnten sich Anleger beim Allianz Europe Equity Growth (WKN: A0KDMT) in den letzten drei Jahren über eine Performance von stolzen 63% freuen. Fondsmanager Thorsten Winkelmann setzt neben SAP vor allem auf Konsumwerte. Unter seinen Top-Holdings finden sich daher Carlsberg, SAB Miller, Danone, Inditex, H&M sowie Richemont.
Branchen der Zukunft
Die Beispiele zeigen, dass professionelle Growth-Anleger heute auf Unternehmen setzen, die auf Basis eines erprobten Geschäftsmodells und aus einer gefestigten Marktposition heraus Jahr für Jahr hohe Zuwachsraten erzielen. Wetten auf kleine, hoch spezialisierte IT-Unternehmen, beispielsweise aus den Boom-Branchen Big Data oder Cloud Computing, sucht man demgegenüber vergebens. Nichtsdestotrotz gibt es Branchen, denen für die kommenden Jahre – weltweit betrachtet – ein überproportionales Wachstum attestiert wird. Dazu zählen unter anderem die Generikabranche, die Solarbranche, der private Bildungssektor, die bereits erwähnten Konsumgüterhersteller und der Bereich ökologisches und nachhaltiges Bauen. Firmen wie Teva Pharmaceuticals oder Sandoz (Genrika), Apollo Group (private Bildungsanbieter), die Hochtief-Tochter Turner oder Sto (Dämmstoffe), die auf diesen Gebieten bereits heute eine führende Marktposition einnehmen, dürften davon überproportional profitieren.
Wachstumsregionen im Fokus
Nicht zu vernachlässigen sind natürlich auch die Aufsteiger aus den Emerging Markets. Firmen wie der brasilianische Flugzeughersteller Embraer, der mexikanische Backwarenhersteller Grupo Bimbo, der brasilianische Fleischproduzent JBS, oder der Brauriese ABInbev sind zu echten Schwergewichten herangewachsen. Ein Blick auf die Liste der Global Growth Company Members des Weltwirtschaftsforums macht dabei schnell deutlich, dass die Musik auch zukünftig in Asien spielen wird. Anlegern, die diese Chancen wahrnehmen möchten, bieten spezielle Fonds wie beispielsweise der Comgest Growth Emerging Markets Flex (WKN: A1J1JE) oder der UBS Equity SICAV – Asian Smaller Companies (WKN: A1JVCG) interessante Möglichkeiten.
Fazit
Wir leben in einer Welt, in der Wachstum zur obersten Maxime erhoben wurde. Das ist nicht weiter verwunderlich. Mit der Aussage, dass man zukünftig den Gürtel enger schnallen müsse und weniger zum Verteilen habe, lassen sich weder Wahlen noch Investoren gewinnen. Das Streben nach „mehr“ ist dabei keineswegs verwerflich. Ergänzt um die Erkenntnis, dass dieses Wachstum nachhaltig sein muss – mithin seine Grundlagen nicht selbst zerstören darf –, ist es der Motor, der einem immer größeren Teil der Menschheit steigenden Wohlstand beschert. Wer in Unternehmen investiert, die auf dieser Basis wirtschaften, trägt seinen Teil zu einer prosperierenden Zukunft bei.