Wirkstoffe für das Depot
Pharma-Aktien zählten 2010 zu den Verlierern am Aktienmarkt. Auch im laufenden Jahr hinken die Arzneimittelhersteller dem breiten Markt hinterher. Dafür gibt es gute Gründe. Doch die Auswirkungen von auslaufenden Patenten und Gesundheitsreformen sind in den Kursen mittlerweile eingepreist. Ob die Zeit für einen Einstieg reif ist, erfahren Sie hier.
Der Pharmamarkt ist eine Multimilliardenbranche. In US-Dollar gerechnet wird die Branche nach Angaben der IMS Health Studie „The Global Use of Medicines: Outlook Through 2015“ 2015 weltweit sogar die Marke von 1 Bio. US-Dollar Umsatz durchbrechen. Auch die Margen von „Big Pharma“ sind legendär. Zahlreiche Arzneimittelkonzerne zählen – gemessen an der Marktkapitalisierung – zu den größten Firmen überhaupt. In Europa befinden sich mit Novartis und Roche beispielsweise zwei Vertreter unter den zehn wertvollsten Firmen. Doch seit zwei bis drei Jahren hinkt die Wertentwicklung der Pharmawerte dem breiten Markt deutlich hinterher.
Pharmabranche auf Talfahrt
Auch 2010 hat der Sektor deutlich schlechter abgeschnitten als der breite Markt. So konnte der Global-Pharmaceutical-Aktienindex im vergangenen Jahr gerade einmal um rund 1% zulegen, während der FTSE All World Index um über 10% kletterte. Auf Sicht der letzten 24 Monate beträgt der Performance-Unterschied zwischen den beiden Barometern deutlich mehr als 50%! Die Gründe dafür sind weithin bekannt. Allein in den USA laufen 2011 Patente im Wert von rund 26 Mrd. US-Dollar aus. Bis 2015 wird sich der Ausfall auf 120 Mrd. US-Dollar aufsummieren. Wie dramatisch diese Zahlen sind, zeigt sich im Vergleich mit dem letzten 5-Jahres-Zeitraum: Zwischen 2005 und 2010 waren lediglich 54 Mrd. US-Dollar aufgrund von auslaufenden Patenten weggefallen. Dazu kommt, dass im Rahmen der Sparanstrengungen sowohl in den USA als auch in Europa die Ausgaben für Medikamente gesenkt werden. Dies schlägt sich laut IMS Health in einem niedrigeren Wachstum der Arzneimittelausgaben nieder: Betrug die jährliche Steigerung in den letzten fünf Jahren umgerechnet noch 6,2%, so wird dieser Wert bis 2015 auf 3% bis 6% pro Jahr absinken.
Konzerne auf Shopping-Tour
Ein einfacher Ausweg für die Konzerne wäre die Zulassung neuer Medikamente, am besten solcher mit Blockbuster-Status. Letzteres sind Medikamente, die mindestens ein jährliches Umsatzvolumen von 500 Mio. US-Dollar oder mehr aufweisen. Doch davon ist die Branche weit entfernt. Aus den eigenen Forschungsabteilungen kommen nur sehr wenige wirklich neue Arzneimittel und gleichzeitig wird die Zulassung der Wirkstoffe immer komplizierter und damit teurer. Kurzum: Aufgrund der mangelnden Forschungseffektivität kommen seit Jahren nicht genügend neue Medikamente auf den Markt, die die auslaufenden Patente kompensieren könnten. Um diesem Problem zu begegnen, sind die Branchengrößen dazu übergegangen, innovative Biotechnologieunternehmen mit vielversprechenden Produktpipelines aufzukaufen.
Therapie zeigt Wirkung
In den letzten Jahren wurden neben zahlreichen kleinen auch bereits einige größere Biotechs übernommen: ImClone durch Eli Lilly, Millenium durch die japanische Takeda, der größte europäische Biotechkonzern, die Schweizer Serono, durch die deutsche Merck, Genentech durch Roche und in diesem Frühjahr Genzyme durch Sanofi-Aventis. Neben Übernahmen gehören auch Einlizenzierungen und Partnerschaften mit kleineren Biotechs mittlerweile zur Tagesordnung. Dieses Vorgehen hat für die Pharmakonzerne viele Vorteile. Denn die Biotechunternehmen werden meist nur anhand erreichter Meilensteine bezahlt – bleibt der Erfolg aus, fließt kein Geld. Parallel dazu scheut sich die Branche auch nicht mehr, unpopuläre Kostensenkungsprogramme durchzuführen. Anfang des Jahres verkündete beispielsweise die deutsche Traditionsfirma Bayer trotz Milliardengewinnen, in den nächsten zwei Jahren rund 4.500 Arbeitsplätze abzubauen. Und diese Kombinationstherapie zeigt Wirkung.
Attraktive Bewertung
Die Konzerne sitzen auf hohen Cash-Beständen, das durchschnittliche KGV liegt mittlerweile bei 10 und die Dividendenrendite bei 4% (DJ Health Care Titans 30 Index). Fundamental betrachtet ist die Branche heute damit so günstig wie schon lange nicht mehr. Und auch die Aussichten stimmen: Schließlich hat sich nichts daran geändert, dass eine alternde Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten immer mehr und immer teurere Arzneimittel und Therapien benötigt. Zusätzlich entstehen in den Emerging Markets neue Absatzmärkte mit einem gigantischen Potenzial: Die Analysten vom IMS Health rechnen damit, dass sich die Arzneimittelausgaben in diesen Ländern in den nächsten fünf Jahren auf 285 bis 315 Mrd. US-Dollar (heute 151 Mrd. US-Dollar) nahezu verdoppeln. Damit könnten diese Staaten ab 2015 zum zweitgrößten Pharmamarkt nach den USA aufsteigen. Zwar dürften 2015 laut dem Branchendienst 80% der Arzneimittelausgaben in diesen Ländern auf Generika entfallen, aus Sicht der Anleger ist die Trennung zwischen Original- und Nachahmerpräparaten und biotechnologisch gewonnenen Medikamenten ohnehin eher akademisch.
Die Grenzen verschwinden
Die sogenannten Generikahersteller kopieren bereits bestehende Wirkstoffe nach Ablauf des Patentschutzes. Auf dieser Basis produzieren sie dann Nachahmerpräparate, die in ihrer Wirkung identisch sind mit den Originalpräparaten. Der einzige Unterschied zwischen den Medikamenten ist in der Regel, dass der Preis für Generika deutlich unter dem des Originals angesiedelt ist. Den 120 Mrd. US-Dollar Umsatz, die bis 2015 durch Patentabläufe bei den Originalpräparaten verloren gehen, stehen daher nach Schätzungen von IMS Health nur rund 22 Mrd. US-Dollar an Generikaumsätzen gegenüber. Die Gewinnmargen reichen unter diesen Umständen natürlich nicht an jene der Eigenentwicklungen heran, dafür fallen aber auch die Aufwendungen für Zulassung und Vermarktung deutlich niedriger aus.
Die Chancen steigen
Auf Unternehmensebene sind die Grenzen zwischen den Teilbereichen ohnehin fließend: Zwar gibt es auch einige große „Pure Play“-Generikakonzerne wie beispielsweise TEVA oder Mylan, durch Fusionen und Übernahmen verwischen die Grenzen jedoch immer mehr: So gehört beispielsweise Sandoz, der zweitgrößte Generikahersteller weltweit, zu Novartis. Gleiches gilt mit Blick auf die Biotechindustrie: „Im Zuge der Anstrengungen, die Forschungseffektivität zu verbessern, verschmelzen Biotech- und Pharma- zu einer einzigen Industrie“, fasst das Analysehaus PWC die Ergebnisse einer aktuellen Branchenstudie zusammen. Anleger sollten sich daher nicht scheuen, auf die großen Sektorindizes wie beispielsweise den DJ Health Care Titans 30 Index zu setzen. Letzterer konnte in den letzten zwölf Monaten immerhin um rund 15% zulegen und damit deutlich stärker als der eingangs vorgestellte Global Pharmaceutical Index. Trotz des Anstiegs ist die Bewertung der Titel nach wie vor äußerst moderat.
Fazit
Damit steigen die Chancen auf eine Erholung, zumal sich die Pharmakonzerne gerade in unruhigen Zeiten als sicherer Hafen erwiesen haben. Schließlich dürfte ein Teil der Underperformance auch dadurch bedingt sein, dass Anleger während des Aufschwungs im letzten Jahr zyklische Branchen bevorzugt haben. Nachdem das Umfeld wieder rauer wird, könnten die konjunkturunabhängigen Arzneimittelriesen vor einer Wiederentdeckung stehen. Für Privatanleger bieten sich vor allem ETFs (z. B. WKN: DBX1SH) oder Index-Zertifikate (z. B. WKN: HV16FC) an.