Zertifikate handeln - Viele Wege führen nach Rom
Das Anlageprodukt Zertifikat hat nach der Insolvenz der Bank Lehman Brothers bei vielen Anlegern einen erheblichen Vertrauensverlust erlitten. Allerdings investieren die Anleger seit einigen Monaten wieder deutlich verstärkt in diese Form der Derivate. Zertifikate können sowohl börslich als auch über den außerbörslichen Weg gehandelt werden. In der Regel erteilt der Anleger seiner Bank einen Kaufauftrag über ein bestimmtes Zertifikat. Findet ausreichend Umsatz statt, wird diese Order in der Regel sehr schnell ausgeführt. Doch wie sieht der Handel über Zertifikate-Plattformen aus?
Im Bereich des Börsenhandels haben sich inzwischen zwei Plattformen durchgesetzt, auf denen Zertifikate der verschiedensten Art gehandelt werden können. Diese Zertifikate-Plattformen sind zum einen die Euwax als ein Marktsegment der Börse Stuttgart und zum anderen Scoach am Börsenplatz Frankfurt als Plattform für den Handel mit strukturierten Finanzprodukten. Im Marktsegment Scoach Premium gelten dabei besonders hohe Qualitätsstandards.
Euwax: Handel an der Börse Stuttgart
Sehr viele Zertifikate werden in Deutschland an der Börse in Stuttgart gehandelt, und zwar im dortigen Marktsegment Euwax (European Warrant Exchange). Dort sind derzeit rund 190.000 Anlagezertifikate handelbar, rund 20.000 Aktienanleihen, fast 150.000 Optionsscheine sowie eine große Auswahl an Knock-out-Papieren und exotischen Produkten. Eigenen Angaben zufolge ist die Euwax das größte europäische Handelssegment für verbriefte Derivate.
Gehandelt werden können die an der Euwax notierten Zertifikate über jede Filialbank oder Direktbank sowie über alle Online-Broker, die über das Orderrouting- und Handelssystem XONTRO mit der Börse in Stuttgart verbunden sind. Für den Anleger bedeutet das, er muss in der Kauf- oder Verkaufsorder lediglich den Börsenplatz Stuttgart angeben – und schon wird die Order automatisch an die Euwax weitergeleitet. Der Vorteil der Euwax liegt unter anderem darin, dass aufgrund der hohen Umsatzzahlen sehr häufig gewährleistet werden kann, dass ausreichend Angebot und Nachfrage besteht. Daher können die meisten Orders sehr schnell ausgeführt werden. Eine Besonderheit der Euwax ist zum Beispiel das Limit-Kontroll-System. Dadurch findet eine stetige Überwachung von limitierten Orders auch im Bereich Zertifikate statt. Außerdem sorgt ein Quality Liquidity Provider (QLP) dafür, dass genügend Liquidität vorhanden ist. Auch die Überprüfung von An- und Verkaufspreisen gehört zu seinen Aufgaben.
Dass die Euwax eine sehr stark genutzte Plattform für Zertifikate ist, belegen auch aktuelle Zahlen vom März 2010. So wurden an der Euwax im März Anlagezertifikate im Gegenwert von 2,007 Mrd. Euro gehandelt. Den größten Anteil nahmen davon die Discount-Zertifikate mit einem Umsatz von rund 769 Mio. Euro ein.
Scoach: Die europäische Zertifikatebörse
Die zweite große börsliche Zertifikate-Plattform neben der Euwax ist die Frankfurter Plattform Scoach. Bei der Scoach Europa AG handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der Deutschen Börse und der Schweizer Börse SIX Group. Wie an der Euwax werden auch über Scoach neben Zertifikaten Optionsscheine und Aktienanleihen gehandelt. Es werden Handelsplätze in Frankfurt für Deutschland und die EU-Länder sowie in Zürich für die Schweiz betrieben.
Insgesamt können über Scoach über 360.000 strukturierte Finanzprodukte gehandelt werden, davon knapp 200.000 Zertifikate. Im Unterschied zur Euwax nutzt Scoach nicht das maklergestützte XONTRO-System, sondern Xetra. Dabei handelt es sich um eine vollelektronische Handelsplattform, die zum einen ein deutlich größeres Volumen an zu verarbeitenden Orders ermöglicht und zum anderen auch schneller in der Ausführung der Aufträge sein soll. Dank Xetra ist es auch für Marktteilnehmer in anderen europäischen Ländern möglich, Zertifikate zu handeln, die in Deutschland emittiert wurden. Scoach ist vor diesem Hintergrund nicht nur für Privatanleger, sondern auch für professionelle Investoren geeignet. Wer über Scoach handeln möchte, wählt einfach den Handelsplatz Frankfurt. Mit einem Umsatzvolumen von 64,6 Mrd. Euro bei allen strukturierten Produkten war Scoach im Jahr 2008 die umsatzstärkste Börse für strukturierte Produkte in Europa.
Scoach Premium – Hoher Qualitätsstandard
Mit dem Segment Scoach Premium gibt es zudem einen Bereich, der einen besonders hohen Qualitätsstandard bieten will. Daher sind auch nicht alle Emittenten im Bereich Zertifikate im Scoach Premium Bereich zugelassen, sondern es müssen besonders hohe Anforderungen erfüllt werden. Zu den Zulassungsvoraussetzungen zählt beispielsweise die Vorgabe, dass der Emittent fortlaufend zwischen 9 bis 20 Uhr einen An- bzw. Verkaufspreis für seine Zertifikate stellen muss. Zudem muss der Emittent die Kurse über zwei Standleitungen an die Börse übermitteln, und die jeweils emittierten und zum Handel angebotenen Produkte müssen ein bestimmtes Mindestvolumen umfassen. Bei den Anlageprodukten, zu denen auch die Zertifikate gehören, liegt dieses Mindestvolumen bei 10.000 Euro. Vorausgesetzt, das entsprechende Zertifikat oder Hebelprodukt ist im Segment Scoach Premium gelistet, landen alle über die Börse Frankfurt erteilten Orders automatisch hier. Für den Anleger hat der Handel im Scoach Premium den Vorteil, dass die Emittenten über eine relativ hohe Bonität verfügen. Im Premium-Segment werden zudem auch Verlustbegrenzungen bei Kauf- und Verkaufsaufträgen automatisch überwacht. Eine unabhängige, neutrale Handelsüberwachungsstelle überwacht den korrekten Ablauf der Handelsgeschäfte. Des Weiteren erhält der Privatanleger im Bereich Scoach Premium die Garantie, dass alle Orders, die unter „normalen Marktbedingungen“ für 30 Sekunden ausführbar waren, auch ausgeführt werden.
Zertifikate börslich oder außerbörslich handeln?
Wie bereits eingangs erwähnt, bietet der außerbörsliche Handel eine Alternative zum Zertifikathandel über die Euwax oder Scoach. Diese direkte Handelsform wird in der Fachsprache auch als OTC-Handel (Over-The-Counter) bezeichnet und läuft außerhalb der Börsen ab. Angeboten wird dieser außerbörsliche Handel von den Emittenten der Zertifikate. Der Anleger kann also die gewünschten Zertifikate über die Bank oder den Broker direkt beim Emittenten kaufen und auch wieder an diesen verkaufen. Beim Direkthandel wird der Kurs vom Emittenten gestellt.
Welche Handelsform für Anleger vorteilhafter ist, hängt von individuellen Faktoren ab. Beide Möglichkeiten haben Vor- und Nachteile. Der Börsenhandel ist zum Beispiel strenger überwacht als der außerbörsliche Handel, was ein Vorteil für den Anleger sein kann. Für den OTC-Handel spricht hingegen, dass die zu zahlenden Gebühren oftmals geringer als die Börsengebühren sind. Auch ausgeweitete Handelszeiten sind möglich. Allerdings können beim Direkthandel Orders nicht mit Limit versehen werden. Welcher Variante Investoren den Vorzug geben wollen, ist damit eine persönliche Entscheidung.