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Merkels Flüchtlingspolitik: Risiko für Börse und Finanzmärkte?

Kooperation in der Flüchtlingsfrage gegen immer neue Milliarden und schließlich die EU-Mitgliedschaft? In Ankara werden die Ziele hoch gesteckt. Auf dem EU-Türkei-Gipfel wird das mehr als deutlich. Die deutsche Bundeskanzlerin ist isoliert, Europa ist tief zerstritten, ein Desaster droht. Wie sehr wird das die Finanzmärkte beeinflussen? Anleger aufgepasst: Ein Blick in die Tagespresse gibt einen Vorgeschmack.

BÖRSE am Sonntag

Kooperation in der Flüchtlingsfrage gegen immer neue Milliarden und schließlich die EU-Mitgliedschaft? In Ankara werden die Ziele hoch gesteckt. Auf dem EU-Türkei-Gipfel wird das mehr als deutlich. Wie sehr wird das die Finanzmärkte beeinflussen? Ein Blick in die Tagespresse gibt einen Vorgeschmack.

Nun will die Türkei also noch ein paar Milliarden Euro extra für ihr Entgegenkommen. Ist das noch gebührlich oder bereits unverschämt? Schon gab es am Rande des Gipfels der EU mit der Türkei Spekulationen darüber, dass es mittelfristig auch drei Milliarden Euro jährlich werden könnten – vorerst für einen Zeitraum von fünf Jahren, also 15 Milliarden. Die nun geforderte Summe wird sicher nicht der letzte Nachschlag sein. Denn das Land am Bosporus ist für die Europäer bei der akuten Bewältigung der Flüchtlingskrise unentbehrlich geworden, auch wenn die sogenannte „Balkanroute“ vorerst geschlossen bleibt, weil sich die betroffenen Ländern zusammengetan haben.

Welch ein Fehler von Merkel!

Der EU-Gipfel und seine Absichtserklärungen stoßen in der europäischen Presse auf Skepsis und Ablehnung. So schreibt etwa „Der Standard“ aus Wien. „Besser ein schlechter Deal um ein paar Milliarden mehr als gar keiner, lautet die Devise bei den EU-28. Die Flüchtlingskrise wird damit aber leider noch lang nicht gelöst sein. Denn es zeigte sich deutlich, welch ein Fehler es von Merkel war, ganz auf eine Türkei-Lösung zu setzen. Präsident Erdogan darf wohl glauben, dass er sich (fast) alles erlauben kann. Die Europäer kuschen. Die Umsetzung des Aktionsplans, so er denn wirklich kommt, wird ein harter Weg.“

Einmal mehr wird Angela Merkel auch in Griechenland kritisiert. „Türkischer Basar in Brüssel“, lautete der Tenor in der konservativen Athener Zeitung „Kathimerini“. In einer „Thrillernacht in Brüssel“ habe die Türkei gefeilscht und Forderungen nach mehr Geld gestellt. „Die Türkei wollte (beim EU-Gipfel) alles Mögliche haben“, meint die Zeitung der politischen Mitte „Ta Nea“. „Der Migrations-Thriller geht in die Verlängerung“, titelte die Boulevardzeitung „Ethnos“. Deutschland und Griechenland seien sich einig. Die in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki erscheinende Zeitung „Makedonia“ berichtet, die Lage im Elendskamp von Idomeni habe „auch die schlimmsten Befürchtungen übertroffen.“ Die Einheit Europa sei wieder in Gefahr, titelte das Blatt.

Beißende Kritk aus Prag, Rom und Paris

„Die türkischen Politiker sind beim Verhandeln gut genug, um zu wissen, dass insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel in Europa und zu Hause unter großem Druck steht. Deshalb versuchen sie, neue Forderungen auf den Tisch zu legen. Die Europäer werden damit klarkommen, aber eines ist schon jetzt sicher. Die zusätzlichen Gelder zu den bereits versprochenen drei Milliarden Euro werden sich nicht mehr in der EU-Kasse finden. Jeder der 28 EU-Staaten wird dafür zahlen müssen. Und selbst wenn eine Einigung gelingen sollte, dass sich die Türkei um so viele Flüchtlinge wie möglich kümmert und gegen die Schleuserbanden vorgeht, wird sich erst zeigen müssen, was davon nur auf dem Papier bleibt und was in die Realität umgesetzt wird.“

Die römische Zeitung „La Repubblica“ schreibt, der türkische Ministerpräsident Davutoglu sei nach Brüssel gekommen, wie um den Europäern einen Rettungsring zuzuwerfen. „Aber wie jede Rettungsaktion hat auch diese ihren Preis. Und der ist hoch. Die Summe setzt Präsident Erdogan fest, der gerade erst (...) eine der wenigen türkischen Zeitungen erobert hat, die es noch wagten, ihn zu kritisieren. Es war kein schönes Schauspiel, das die Spitzenpolitiker der EU gestern geboten haben. Sie sind unstimmig und unentschlossen in allem, wenn es um die Türkei in Europa geht - eine Türkei (...), die sich als Herr aufspielt und sich ihrer Straffreiheit sicher ist.“

Die konservative französische Tageszeitung „Le Figaro“ schreibt: „20 Monate Prinzipienerklärungen, ausgesprochene Einladungen an Hunderttausende Migranten, unwirksame Lösungen, politische Zerfleischung, hastig errichtete Barrieren, wie man die Luken eines vom Untergang bedrohten Schiffs abdichtet." All das, um bei einem jämmerlichen Befund anzukommen, die Hintertür müsse sich endlich schließen, die „elementare Bedingung dafür, dass eine offizielle Tür sich öffnen kann (...). Die Lektion von 20 Monaten Fiasko ist, dass man das Gewicht Deutschlands noch mehr spürt, wenn es in die falsche Richtung läuft, und seine Partner, allen voran Frankreich, sich zu schwach erweisen, um es zur Vernunft zu bringen.“

Das Ergebnis ist bisher eher dürftig

Der linksliberale „Guardian“ kommentiert den EU-Gipfel folgendermaßen: „Jeder Akteur hat ein riesiges persönliches Interesse an einer Lösung, die funktioniert. Die EU selbst könnte kaum ein größeres kollektives Eigeninteresse haben. Schließlich stehen drei ihrer grundlegenden Prinzipien auf dem Spiel: dass die Probleme des Kontinents am besten durch Zusammenarbeit gelöst werden, dass Freizügigkeit in der EU im Interesse der Öffentlichkeit ist und der Glaube an europäische Werte und Achtung der Menschenrechte. Das Ergebnis ist bisher gemischt und eher dürftig.“

Und das ist noch geschmeichelt. Die Europäer sollten dabei nicht den Fehler machen, sich in Fragen eines möglichen Beitritts des Landes am Bosporus von Präsident Erdogan einseifen zu lassen. Scheinheilige Versprechungen verbieten sich schon deshalb, weil Ankara unschuldige Menschen, die von dritter Seite mit Tod und Folter bedroht werden, als Waffe für seine Ziele benutzt. Innerhalb Deutschlands hat sich mit den Kommunalwahlen in Hessen bereits ein Erdbeben angekündigt, das mit bisher für unmöglich gehaltenen Wahlergebnissen beginnen und in einem Regierungswechsel enden könnte.

Der EU-Türkei-Gipfel hat sich auf nächste Woche vertagt, das Tauziehen geht weiter. Für den Fall, dass die EU die Lage nicht in den Griff kriegt, könnte das einen massiven Verlust an Bedeutung auslösen und in wirtschaftlicher Kleinstaaterei enden. Und was dann an den Finanzmärkten passiert, muss wohl niemandem erklärt werden. sig / Handelsblatt / mit Material von Thomas Ludwig