Eine neue Ära bei Volkswagen
Der Patriarch tritt ab – im Zorn. Auch seine Frau verlässt den VW-Aufsichtsrat. Die Zäsur ist historisch. Volkswagen nach Ferdinand Piëch wird sich neu erfinden müssen.
Der Patriarch tritt ab – im Zorn. Auch seine Frau verlässt den VW-Aufsichtsrat. Die Zäsur ist historisch. Volkswagen nach Ferdinand Piëch wird sich neu erfinden müssen.
In unseren Köpfen war er der John Wayne der Autobranche, der alte Haudegen, der am Ende noch steht, wenn seine Widersacher längst erledigt sind. Er war das Genie einer Generation von Ingenieuren, der immer schon den übernächsten Schritt verlangte, wenn andere noch nicht einmal den nächsten planten. Volkswagen ohne Ferdinand Piëch ist wie Apple an dem Tag, als Steve Jobs nicht mehr da war. Es ist wie Fiat ohne die Agnellis. Dass Piëch einmal als Verlierer die VW-Bühne räumt, das lag deswegen bis zur vergangenen Woche außerhalb unserer Vorstellungskraft. Jetzt ist es passiert. Dieser Samstag, der Tag an dem Ferdinand Piëch ging, ist ein historischer Tag in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Piëch ist sein eigenes Opfer geworden. Er hat den Machtkampf angezettelt, den er jetzt verloren hat.
Er hat den Vorsitzenden seines Konzerns in Frage gestellt und nicht damit gerechnet, dass sich die Reihen um den herum fester schließen, als um ihn selbst. Sein einsamer Ritt gegen Martin Winterkorn hat all diejenigen gegen ihn selbst aufgebracht, die noch immer eine Rechnung mit dem Patriarchen offenhatten. An erster Stelle: die eigene Verwandtschaft. Auch der Porsche-Zweig der Familie verweigerte Piëch die Gefolgschaft. Als im Aufsichtsrat die Abwahl drohte, ist Piëch mit seinem Rückzug dieser Schmach ein paar Stunden zuvorgekommen. Seine Niederlage ist so gründlich, dass auch Piëchs Frau Ursula den VW-Aufsichtsrat verlässt. Hier bricht eine ganze Familie mit dem Unternehmen, das sie aufgebaut und zu einer Weltmacht in ihrer Branche geformt haben. Es wäre nur konsequent, wenn beide jetzt auch den letzten Schritt gingen und ihre Anteile verkauften.
Die Piëchs wären dann nicht mehr Eigner eines Konzerns, dessen Geschicke sie sowieso nicht mehr bestimmen wollen. Für VW ist damit eine Ära zu Ende – die erfolgreichste in der bisherigen Geschichte. Unter Piëch ist aus dem treuen Begleiter namens Volkswagen ein High-End-Produkt geworden. Als Chef und Eigentümer vereinte er eine Macht auf sich, die er Jahrzehnte zum Wohle des Konzerns eingesetzt hat. Er hinterlässt eine Lücke, die Winterkorn allein nicht füllen kann. Es war Piëchs letzte Tat, die Versäumnisse Winterkorns sichtbar werden zu lassen: die technologische Mittelklasse, das schleppende Amerika-Geschäft, die müde Marge der Kernmarke VW. Der Konzern wird sich neu sortieren müssen. Volkswagen ist seit heute dabei, ein anderes Unternehmen zu werden.
Gewerkschafter leitet den Aufsichtsrat
Tritt der Aufsichtsratsvorsitzende zurück, rückt sein Stellvertreter automatisch nach, bis die Lücke geschlossen ist. Das ist Routine. Und nachdem Berthold Huber, bis November 2013 Chef der größten Industriegewerkschaft IG Metall, nach dem Gesetz der Parität der Stellvertreter von Piëch war, wird er nun kommissarisch den Aufsichtsrat führen. Das bedeutet unter anderem, dass der 65-Jährige die Volkswagen-Hauptversammlung am 5. Mai leiten wird. Die Personalie galt in seiner Zeit bei der IG Metall als harter Verhandlungspartner. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil – selbst Aufsichtsratsmitglied, da Niedersachsen 20 Prozent der VW-Anteile hält – bauchpinselte Huber am Samstagabend.
„Es war der Wunsch der Anteilseigner, dass Berthold Huber nun zunächst kommissarisch die Führung der Geschäfte des Aufsichtsratsvorsitzenden übernimmt. Er hat dabei die ausdrückliche Unterstützung der Anteilseigner“, so Weil in einer Stellungnahme zu dem Führungsumbau bei Volkswagen. Ob es der Wunsch von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bei VW ist, dass sich ein gewählter Politiker auf das Trittbrett schwingt und in seiner Rolle als Aufsichtsrat demonstrativ Gewerkschaftsnähe zeigt – das mag dahinstehen.
Staunend stehen die Beobachter des VW-Dramas um Ferdinand Piëch: Huber ist als stellvertretender Aufsichtsratschef der natürliche Kandidat, um temporär das Gremium zu leiten. Aber dass ein Gewerkschafter wird das Aktionärstreffen eines der größten Konzerne des Landes verantwortet, ist dennoch ein wohl einmaliges Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Mit Krisen kennt sich Huber aber aus. Seine sechsjährige Amtszeit als Gewerkschaftschef endete vor anderthalb Jahren. Er stand der IG Metall also vor, als die Finanzkrise 2009 in einen konjunkturellen Absturz mündete und IG-Metall-Betriebe im ganzen Land besonders heftig betroffen waren. Kurzarbeit sicherte im großen Maßstab Arbeitsplätze. Und Huber zog einen weiteren Trumpf aus dem Ärmel: die Abwrackprämie.
Der Bund zahlte 2009 bei der Verschrottung von Altfahrzeugen eine Prämie in Höhe von 2500 Euro, die Förderung gilt als Hubers Idee. So sollte der Autoabsatz im Inland gestützt und Arbeitsplätze gerettet werden. Der Absatz von 400.000 neuen VW-Fahrzeugen wurde damit gefördert. Huber gilt auch als einer der Väter des „Pforzheimer Abkommen“, das bereits seit 2004 die Flächentarifverträge flexibler macht, wenn ein Unternehmen in Schwierigkeiten geraten ist.
Huber trat am Samstagabend, wen wundert es, mit Niedersachsens Ministerpräsident Weil vor die Kameras. Er sagte, die Entwicklung der vergangenen Wochen bei Volkswagen habe zu einem Vertrauensverlust geführt. Dieser habe sich als nicht mehr lösbar erwiesen. Der bisherige Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hatte versucht, VW-Chef Winterkorn aus dem Amt zu treiben, war aber auf eine Phalanx von Winterkorn-Fans im Aufsichtsrat gestoßen. Der Konflikt löste eine Vertrauenskrise in die Führung des Autokonzerns aus, unter der auch der Aktienkurs litt. ,„Herr Piëch hat daraus die Konsequenzen gezogen und alle seine Ämter in VW-Aufsichtsräten niedergelegt“, so Huber. Er dankte dem 78-jährigen Firmenpatriarchen. Piëch habe sich große Verdienste um Volkswagen und die gesamte Automobilindustrie erworben.
Huber steht wirtschaftspolitisch für eine Weiterentwicklung des rheinischen Kapitalismusmodells, wie der Gewerkschaftsforscher Wolfgang Schroeder analysiert hat. Teilhabe und Bildung sind sein Thema - aber auch verlässliche Strukturen. Für die Beschäftigten verlangen sie sichere Jobs, den Unternehmen bieten sie Co-Management statt Klassenkampf an. Bei Volkswagen zeigt Huber diese Pragmatik jetzt im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Und dass womöglich über die Hauptversammlung am 5. Mai hinaus. Denn bei der Suche nach einem Nachfolger für Ferdinand Piëch wolle sich das Gremium Zeit lassen. „Der Aufsichtsrat ist arbeitsfähig, das Management ist voll funktionsfähig“, sagte Weil am Samstag. Man werde „in Ruhe und Umsicht beraten“, wer den Posten übernehmen solle. Es gebe keinen Grund zur Eile – Ziel sei es, dass das Gremium einen einstimmigen Vorschlag unterbreite. Vermittlungskünste sind jetzt gefragt. Ob Huber, der nicht als überdurchschnittlich kompromissfreudig gilt, nun zu einem Brückenbauer wird – auch das muss die Zukunft zeigen.
Handelsblatt / Oliver Stock / Martin Dowideit / sig