RWE: Rest-Werte entschwinden
Seit Fukushima ist der Essener Energieriese nur noch ein Schatten seiner selbst. Kaum etwas erinnert an den Glanz früherer Tage. Zwar ist die Substanz noch groß. Doch angesichts stetig schrumpfender Gewinne und einer kontinuierlich an Wert verlierenden Aktie sieht die Zukunft zunehmend kohlschwarz aus. Kritiker bemängeln insbesondere die fehlende Strategie im Umgang mit dem veränderten Strommarkt.
Seit Fukushima ist der Essener Energieriese nur noch ein Schatten seiner selbst. Kaum etwas erinnert an den Glanz früherer Tage. Zwar ist die Substanz noch groß. Doch angesichts stetig schrumpfender Gewinne und einer kontinuierlich an Wert verlierenden Aktie sieht die Zukunft zunehmend kohlschwarz aus. Kritiker bemängeln insbesondere die fehlende Strategie im Umgang mit dem veränderten Strommarkt.
„Unser Land geht voRWEg". Das ist die zentrale Botschaft der bundesweiten RWE-Werbekampagne. Sie klingt wie ein klares Bekenntnis zur Energiewende: Der Essener Strom-und Gasanbieter gibt das Versprechen ab, die moderne Energiewelt aktiv mitzugestalten zu wollen. Und zwar in vorderster Front, als richtungsweisendes Vorbild für andere. Bis zum heutigen Tag können die anleger diesen Schwur nur als Witz, Farce oder Peinlichkeit bezeichnen – je nach Belieben. Denn noch immer investiert der Konzern trotz bestehender Stromüberproduktion und der politischen Beschlüsse zur Energiewende wie zum Klimaschutz weiter kräftig in neue Kohlekraftwerke. „Eine konsequente Neuausrichtung des Kohlekonzerns steht noch aus", bemängelt die Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, Christiane Averbeck, das Problem ohne Umschweife und Beschönigungen.
Es ist schier unglaublich: Während Mitbewerber Eon mit der Aufspaltung des Konzerns in zwei Teile und der Fokussierung auf grüne Energien und effiziente Netze angefangen hat, bleibt bei RWE der Umbau weiterhin aus. Wohl auch, weil die mächtigen Kommunen, die immer noch jede vierte RWE-Aktie und mehrere Sitze im Aufsichtsrat halten, derzeit nicht dazu bereit sind, wirkliche Reformen und damit verbunden manch schmerzhaften Schritt zu gehen.
Im Gegensatz zu den Düsseldorfern setzten die Essener also weiterhin auf ihr Kerngeschäft. Dabei ist RWE stets darum bemüht, die einzelnen Geschäftsteile von der Energieerzeugung bis zum Vertrieb zu verbessern, um die Profitabilität zu erhöhen. „Wir wollen unseren Konzern weiterhin entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufstellen", ließ jüngst eine RWE-Sprecherin verlauten. Immerhin konnte nach dem Verlust von 2,8 Millionen Euro 2013 im vergangenen Jahr wieder einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro eingefahren werden. Das lag aber vor allem daran, dass der Energiegigant weniger außerplanmäßige Abschreibungen vornahm. Die entscheidende Messgröße für das laufende Geschäft, das betriebliche Ergebnis, stürzte um alarmierende 25 Prozent ab. Dabei gab es alleine in der konventionellen Stromerzeugung einen Verlust von fast 30 Prozent zu beklagen. „Die wirtschaftliche Situation in der konventionellen Stromerzeugung ist dramatisch", sagt der höchst besorgte Konzernchef Peter Terium. Herzklopfen dürfte der Vorstandsvorsitzende insbesondere beim Blick auf den enormen Schuldenberg bekommen. Die Verbindlichkeiten haben mittlerweile rund 31 Milliarden Euro erreicht.
Paradoxerweise hofft RWE nun ausgerechnet auf Hilfe vom Staat. Also genau von der Institution, die durch die Entscheidung pro Energiewende überhaupt erst die Misere der gesamten Branche ausgelöst hat. Eine Vergütung für das Bereitstellen von Kraftwerken zu Zeiten, in denen kaum grüner Strom fließt, steht derzeit im Raum. Bislang spricht sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel allerdings dagegen aus. Die Chancen auf ein Einlenken Gabriels dürften aber nicht allzu schlecht stehen, da sich die SPD in der Vergangenheit häufig freundlich gegenüber RWE gezeigt hat. Und das nicht ohne Grund: Das Ruhrgebiet, in dem der Essener Energiekonzern eine ökonomisch extrem wichtige Rolle spielt, gilt als Herzkammer der Sozialdemokraten. Will die SPD weiterhin auf die Unterstützung der Menschen dort bauen, muss sie sich an der Ruhr für wirtschaftliche Stabilität einsetzen. RWE zu stärken, ist unausweichlich, um dieses Ziel zu erreichen. Kritiker werfen den Sozialdemokraten seit längerem vor, sie würden den Dax-Konzern zu sehr unterstützen, was wiederum den notwendigen Strukturwandel unnötig hinaus zögere.
Im Gegensatz zur Vergütung für das Bereitstellen von Kraftwerken herrscht bei der RWE-Dividende absolute Klarheit. Trotz wegbrechender Gewinne halten die Essener ihre Dividende stabil. Für das abgelaufene Geschäftsjahr 2014 sollen die Aktionäre einen Euro pro Anteilsschein bekommen. Allerdings gilt es als fraglich, ob sich RWE angesichts der vielen wirtschaftlichen Probleme eine Dividende in diese Höhe auch künftig leisten kann. Diese orientiert sich seit Dezember 2014 nun sensibler an der ökonomischen Gesamtsituation des Konzerns. Insbesondere Faktoren wie die Verschuldungslage, der Cash Flow sowie mögliche Wachstumsinvestitionen spielen dabei eine entscheidendere Rolle als in der Vergangenheit. Bis vor wenigen Wochen forderten allen voran die Städte und Landkreise im Ruhrgebiet eine Mindestdividende, die allerdings vom Dax-Konzern verhindert wurde.
Viele der Ruhrgebietsstädte sind hoch verschuldet und ihre Haushaltsplanungen sind stark von der RWE-Dividende abhängig. „Die Situation ist zum Teil so dramatisch, dass jede Einbuße ein schwerer Schlag ist. Ich denke beispielsweise an Städte wie Bochum, Dortmund, Essen und Mülheim“, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Am wankelmütigen Riesen RWE hängen also weit mehr als „nur“ die Hoffnungen zahlreicher Aktionäre. Nein, der Eindruck ist nicht wegzuwischen: „voRWEg“ gehen die Ruhrgebietskommunen, die Düsseldorfer Landesregierung und das alte Schlachtross RWE im Gleichschritt: in die Verschuldung, in eine grandiose Sackgasse, am Ende gar in Richtung des historischen Scheiterns. RWE ist dabei über mancherlei – auch indirekte – Bindung ein deutlicheres Abbild der rückwärtsgerichteten, fortschrittsfeindlichen Wirtschaftspolitik in NRW, als es die Düsseldorfer Landesregierung wahrhaben möchte. Anleger, die sich noch nicht Grausen abwandten, müssen sich ernstlich überlegen, wie lange sie ihre Nibelungentreue noch durchhalten möchten.
WIM