Schub für Energiewende durch Terrorangst?
Im Hochsicherheitsbereich des belgischen Kernkraftwerks Doel hat von 2009 bis 2012 ein radikaler Dschihadist als Sicherheitstechniker gearbeitet, Ilyass Boughalab. Er hatte alle Sicherheitsüberprüfungen bestanden, obwohl er einer radikalislamischen Terrororganisation angehörte, deren Mitglieder regelmäßig vor dem Königspalast in Brüssel mit der Forderung demonstrierten, aus Belgien einen islamischen Gottesstaat zu machen. Was bedeutet das für die großen Energieversorger?
Im Hochsicherheitsbereich des belgischen Kernkraftwerks Doel hat von 2009 bis 2012 ein radikaler Dschihadist im als Sicherheitstechniker gearbeitet, Ilyass Boughalab. Er hatte alle Sicherheitsüberprüfungen bestanden, obwohl er einer radikalislamischen Terrororganisation angehörte, deren Mitglieder regelmäßig vor dem Königspalast in Brüssel mit der Forderung demonstrierten, aus Belgien einen islamischen Gottesstaat zu machen. Was bedeutet das für die großen Energieversorger?
Im November 2012 reiste Boughalab als Kämpfer für die Terrororganisation Islamischer Staat nach Syrien. Im Kampf für ein radikal-islamisches Kalifat wurde er schon einige Wochen später getötet, doch die Zeit hätte gereicht, um sein Wissen weitergeben zu können. Als seine Terrorgruppe mit dem Namen Sharia4Belgium auf der Anklagebank landete, stand der Name Boughalab auf der Liste der Angeklagten. Da war noch gar nicht gesichert, dass er tot war.
Der Fall Boughalab zeigt, wie groß die Gefahr ist, dass Dschihadisten in Atomkraftwerken arbeiten - insbesondere über Subunternehmen. Nun dürfen bis zu der Hälfte aller Beschäftigten die belgischen Kernkraftwerke nicht betreten, und natürlich ist das nur eine Routine-Anordnung der zuständigen Atomaufsichtsbehörde FANC. Vor allem: diese Anordnung ist schon einige Tage vor den grauenvollen Anschlägen von Brüssel ergangen, und dies wird als Beleg dafür angeführt, es sei wirklich nur eine Routinemaßnahme. Als sei kein Zusammenhang zum Terror. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass die Ermittler schon lange auf der richtigen Spur waren. Auch Salah Abdeslam, wörtlich übersetzt bedeutet dieser Name übriges „Diener der Unterwerfung", wurde vor dem Bombenterror gefasst.
In neuem Licht erscheint heute ein Störfall im Kraftwerk Doel, bei dem 2014 eine der Hauptturbinen plötzlich ihr Öl verlor: 65.000 Liter flossen aus, und von Anfang an stand Sabotage im Raum. Doel musste monatelang vom Netz, der Fall ist ungeklärt. Auch die rätselhaften Drohenflüge über belgischen Kraftwerken sind vielleicht noch in Erinnerung. Ein weiteres Puzzlestück: Der Leiter des SCK-CEN, eines belgischen Forschungszentrums für Kernenergie, wurde kürzlich ausgespäht. Das Video, das die Ermittler fanden, zeichnet genau nach, wann der SCK-CEN-Chef zu Hause ein- und ausgeht. Es wurde in der Wohnung der Ehefrau des mutmaßlichen Terroristen Mohamed Bakkali gefunden. Französische Ermittler glauben, dass Bakkali an der Vorbereitung der Attentate von Paris am 13. November beteiligt war. Und welche Namen tauchten in diesem Zusammenhang auf?
Wollten die Selbstmordattentäter von Brüssel die schmutzige Bombe?
Die beiden Selbstmordattentäter Ibrahim und Khalid El Bakraoui waren es, die eine heimlich vor dem Wohnhaus des Wissenschaftlers angebrachte Überwachungskamera abmontiert haben, berichtet die Tageszeitung „La Dernière Heure“. Was wollten die Terroristen? Eine Theorie lautet, dass von ihm radioaktives Material für eine sogenannte schmutzige Bombe erpresst werden sollte.
Die Angst vor Angriffen mit atomarem Material und auf atomare Ziele alarmiert die Ermittler mehr und mehr. Die Frage steht im Raum: Hatten die Terroristen die Atomkraftwerke in Tihange und Doel im Visier? Und wie sieht es in Deutschland aus? Sind die deutschen Meiler vor einem Anschlag auf ein Atomkraftwerk geschützt? Und wie wahrscheinlich ist so ein Angriff?
„Grundsätzlich gehören die deutschen Atomkraftwerke zu den sichersten der Welt“, sagt Terrorismusexperte Rolf Tophoven dem Handelsblatt. „Die deutschen Standards sind beispielsweise wesentlich höher als in Belgien.“ Eine akute Gefahr sieht er deshalb nicht. Auch das Bundeskriminalamt (BKA), das mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für die Sicherheit der Atomkraftwerke zuständig ist, stuft die Wahrscheinlichkeit terroristischer Anschläge auf kerntechnische Einrichtungen als „eher gering“ ein. Derlei Angriffe seine „aber grundsätzlich in Betracht“ zu ziehen.
Anders sieht das Heinz Smital. „Man muss davon ausgehen, dass terroristische Attentäter auf eine größere Organisation von vielfältigen Sachexpertisen zurückgreifen, die auch nukleare Sachkenntnisse einschließt“, sagt der Kernphysiker, der bei Greenpeace beschäftigt ist. Das heißt, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, müsse man neue Maßnahmen ergreifen, um das zu verhindern. „Das Schadenspotenzial ist extrem hoch“, sagt Smital. Es gibt demnach mehrere Szenarien, die als wahrscheinlich gelten. Das wohl bekannteste: Ein Terrorist oder mehrere Terroristen kapern ein Flugzeug und lenken es auf einen Reaktor. Im schlimmsten Fall reißt die Turbinenwelle ein Loch in den Meiler. Durch die Öffnung wiederum dringt Kerosin ein – und führt zu einem Brand im Inneren des Reaktors.
Ein Konzept zum Schutz deutscher Reaktoren blieb Fragment
Sensibilisiert von den Geschehnissen des 11. Septembers 2001 wollte die deutsche Politik Maßnahmen auf den Weg bringen: Die Wände der Reaktoren sollten verstärkt und es sollten Stahlnetze aufspannt werden. Eine Vernebelung der Anlage sollte es unmöglich machen, den Reaktor aus der Luft zu sehen. In nur 40 Sekunden soll das Gelände rund um das Atomkraftwerk in dichten Rauchschwaden verschwinden. Das würde es möglichen Flugzeugenführern massiv erschweren, das Atomkraftwerk zu treffen.
Zudem sollte das GPS-Signal der Flugzeuge bewusst gestört werden und – als letzter Ausweg – das Flugzeug zum Abschuss freigegeben werden. Übrig geblieben ist von diesen Vorschlägen wenig. Das Bundesverfassungsgericht kippte die Pläne zur Störung des GPS-Signals und zum Abschuss der Maschine. Übrig geblieben sind von den Maßnahmen nur die dickeren Wände und die Vernebelungsmaschinen.
Details zu Notfallplänen nennen weder die Betreiber der Atomkraftwerke noch die Behörden. Über ein Konzept oder aber über Schutzmaßnahmen könne man keine Auskunft geben. „Die Gefährdungsbewertung und die Sicherungsmaßnahmen werden geheim gehalten, um potentiellen Tätern eine Tatvorbereitung zu erschweren“, heißt es beim Bundesumweltministerium auf Anfrage des Handelsblatts.
Experte Smital erklärt das ursprüngliche Schutzkonzept als „ohne Ersatz gescheitert“. Denn überhaupt nur zwei Atomkraftwerke, Grohnde und Biblis, verfügen überhaupt über die Vernebelungsmaschinen. Dabei sind die Betreiber laut eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts sogar dazu verpflichtet, ihre Reaktoren zu sichern – allerdings mit einer Einschränkung: Kosten und Aufwand müssen in einem vertretbaren Verhältnis stehen.
Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage wird ungenauer, je mehr Faktoren in die Überlegungen einbezogen werden. Zweifelsohne haben die erkennbaren Gefahren der Sabotage durch Todfeinde der freien Gesellschaft eine Rolle dabei gespielt, als es in Deutschland um die Frage ging, ob die energiewende vollzogen werden solle. Konkreter Anlass dafür waren sie bekanntermaßen nicht. Das war Fukushima.
Die Wrkung für die beiden DAX-Werte RWE und Eon ist vielleicht der Faktor, der bei der Energiwende am wenigsten vorhersagbar war. Und hier sind die Folgen für Anleger und Kooperationspartner, voer allem aber für die Ruhrgebietskommunen noch nicht ausgestanden. Vielleicht aber bekommt die so plötzliche Energiewende des Jahres 2011 noch etwas mehr Zustimmung: beim Blick auf das unermessliche Leid, dass die Brüder Ibrahim und Khalid El Bakraoui und ihre Mittäter über Belgien, Europa und die ganze freie Welt gebracht haben.
Interessant für die Anleger werden die nächsten Monate. Werdfen die erneuerbaren Energien nun doch wieder weiter in den Vordergrund rücken? Wie wird der Spagat des gleichzeitigen Ausstiegs aus Kernenergie und Braunkohle gelingen? Und werden Eon und RWE diese Operation am offenen Hernzen überleben? sig / mit Material von Handelsblatt / Nils Wischmeyer