Siemens-Auftrag: Ungefeierter Rekord
Offiziell ist der Konzernumbau bei Siemens abgeschlossen. In den Köpfen der dezimierten Mitarbeiter(zahl) ist der Strukturwandel noch nicht vollends angekommen. Siemens hat weiterhin fundamentale Herausforderungen zu bewältigen. Kein Wunder also, dass selbst der größte Auftrag aller Zeiten – in dieser Woche ging er ein! – nur eine Fußnote in der Siemens-Historie einnehmen wird.
Offiziell ist der Konzernumbau bei Siemens abgeschlossen. In den Köpfen der dezimierten Mitarbeiter(zahl) ist der Strukturwandel noch nicht vollends angekommen. Siemens hat weiterhin fundamentale Herausforderungen zu bewältigen. Kein Wunder also, dass selbst der größte Auftrag aller Zeiten – in dieser Woche ging er ein! – nur eine Fußnote in der Siemens-Historie einnehmen wird.
Ägypten gehört zu den versorgungsschwächsten Ländern ihrer Referenzgruppe. Die Kraftwerke sind veraltet, ständig fällt der Strom aus. Seit der Fertigstellung des Assuan-Staudammes in den 1970er Jahren hat Ägypten keine weitreichenden Energiefortschritte hervorgebracht, die dem steigenden Energiebedarf gerecht werden. Das soll nun geändert werden. Und zwar mit modernster Technik aus Deutschland. Siemens wird die ägyptische Energieversorgung kräftig umkrempeln, auf den neuesten technischen Stand bringen und nebenbei viel Geld damit verdienen. Es ist der größte Einzelauftrag der 167-jährigen Unternehmensgeschichte: Sagenhafte acht Milliarden Euro ist das Geschäft mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah El-Sisi wert. Bei seinem Besuch in Berlin hatte der Staatspräsident diesen Milliardenauftrag für Siemens mit im Gepäck.
Die zahlreichen neuen Kraftwerke sollen 16,4 Gigawatt in das ägyptische Stromnetz einspeisen. Damit erhöhen die Siemens-Werke die Energieerzeugung des Landes um mehr als 50 Prozent. „Das ägyptische Volk kann sich auf Siemens verlassen“, sagt der Unternehmensboss Joe Kaeser in staatsmännischer Manier. Er wird dem ägyptischen Volk bis zu 600 Windkraftanlagen bauen. Aber vor allen Dingen installiert Siemens drei Erdgas-Kraftwerke, die zu den effizientesten ihrer Art gehören. Es handelt sich dabei um just jene Kraftwerke, die in Europa als „konventionell“ abgestempelt werden, weil sie nicht zu den erneuerbaren Energien gehören und sich damit momentan nur schwer verkaufen lassen. Doch das breite Portfolio des Mischkonzerns ist schließlich nicht allein auf die Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerke angewiesen. So gehört Siemens zu den führenden Anbietern im Windenergiesektor.
Insbesondere bei Offshore-Anlagen zählt das Unternehmen mit Sitz in München und Berlin zu den Weltmarktführern. Dennoch ist die Sparte Wind Power and Renewables bilanziell nicht besonders erfolgreich. 2014 verzeichnete sie ein deutlich negatives Ergebnis. Im zweiten Quartal 2015 sanken die Auftragseingänge und das Ergebnis im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Produktions- und Installationskosten sind noch immer sehr hoch - die Gewinnmargen leiden darunter. In allen Geschäftsfeldern zusammengenommen stieg der Gewinn nach Steuern im zweiten Quartal stark auf 3,9 Milliarden Euro wegen des Verkaufs der Siemens-Anteile an Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH). Der Verkauf der BSH-Beteiligung brachte allein 1,4 Milliarden Euro Gewinn ein.
Rekordauftrag zeigt kaum Wirkung
Der Siemens-Aktienkurs reagierte nur leicht auf den größten Auftrag aller Zeiten. Letztlich schloss die Siemens-Aktie aber fast auf gleichem Niveau wie sie in der vergangenen Woche endete. Bei unter 96 Euro. In den letzten drei Monaten zeigte der Trendpfeil für das Siemens-Papier deutlich nach unten. Mitte März kostete eine Siemens-Aktie noch rund 105 Euro. Das derart niedrige Preisniveau der Aktie veranlasst einige Analysten, Kaufempfehlungen auszusprechen. So schrieb Analyst Gael de Bray von der französischen Societe Generale in dieser Woche, dass der Industriekonzern von einer Erholung in Europa stark profitieren würde. Politische Unterstützung könnte der Technologiekonzern aus Brüssel bekommen: Aus dem Investitionsplan der Europäischen Kommission könnten wohl ein paar Aufträge für die Münchener resultieren, so de Bray.
Ebenso kann auch General Electric in Europa profitieren. Das US-amerikanische Unternehmen macht in vielerlei Hinsicht einen moderneren, agileren und schnelleren Eindruck als das deutsche Traditionsunternehmen. Dort hat sich inzwischen fast eine erfrischende Start-Up-Kultur im Riesenkonzern entwickelt, von der Siemens selbst nach der Umstrukturierung weit entfernt ist. In Europa gibt sich GE gern arrogant und hält die „Münchener Kollegen“ in allen Belangen für weit rückständig. Trotz der großen Worte hat GE auf dem alten Kontinent mitunter massive Probleme. Gerade in Deutschland bekommt Siemens oftmals den Zuschlag.
Vor der englischen Norfolk-Küste hat der britische Versorger Scottish Power in dieser Woche einen Auftrag vergeben. Reuters berichtet von einem Ordervolumen zwischen 750 bis 850 Millionen Pfund. Siemens und andere deutsche Unternehmen wie E.On hatten in letzter Zeit vermehrt Aufträge für Offshore-Projekte von Großbritannien zugesagt bekommen. Siemens baut aktuell an einer Offshore-Windkraft-Fabrik in Hull. Dort sollen später auch die Rotorblätter und Turbinen für das Norfolk-Projekt gefertigt werden. Rund 3.000 Arbeitsplätze werden dort durch die Windfarm geschaffen.
Weitere 4.500 Stellen werden gestrichen
In der restlichen Siemens-Welt geht der Stellenabbau aber munter weiter. Noch 4.500 Stellen werden weltweit gestrichen. In Deutschland wird es noch weitere 2.200 Mitarbeiter treffen. Insgesamt will das Unternehmen global 13.100 Jobs abbauen. Die Energiewende habe Siemens „dauerhaft jede Basis entzogen, in Deutschland unsere Produkte und Lösungen im Bereich der fossilen Energie zu verkaufen“, so CEO Kaeser. Daher müssten hierzulande einige Stellen abgebaut und in Wachstumsmärkten neu aufgebaut werden. Bei all der Umstrukturierung, Neuausrichtung und Entbürokratisierung fehlen bislang allein die Erfolge. Eine Bestätigung, dass die Kaeser-Maßnahmen sinnvoll sind, blieb bisher aus. Doch im nächsten Jahr soll alles besser werden, vertröstet das Unternehmen seine Stakeholder. „2016 wird das Jahr der Optimierung“, proklamiert der Vorstandsvorsitzende.
Dann sollen sich die Umbaumaßnahmen auch in der Bilanz widerspiegeln. Von den Aktionären wird also ein langer Atem verlangt. Branchenexperten wissen: Technologie ist ein schnelllebiges Geschäft. Täglich werden im Hause Siemens über 30 Erfindungen gemeldet. Wieso kann sich also die Struktur eines Technologiekonzerns nicht schnell verändern oder neu erfinden? Kaeser sitzt bereits seit 2013 in der sechsten Etage der Münchener Zentrale. Wo bleiben die bahnbrechenden Fortschritte? Physiker wissen: Masse ist träge. Ein großer Konzern braucht also seine Zeit im Veränderungsprozess. Bis dahin müssen sich wohl auch die Anteilseigner mit einer eher trägen Aktienentwicklung zufrieden geben.
WCW