Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Märkte >

Was für eine Fortsetzung der Rally spricht

In den USA wie in Europa sind die Börsen 2019 stark gelaufen, obwohl die Risiken nicht kleiner geworden sind. Warum Anleger dennoch weiterhin auf Aktien setzen sollten und welche Dimensionen dabei entscheidend sind.

BÖRSE am Sonntag

In den USA wie in Europa sind  die Börsen 2019  stark gelaufen, obwohl die Risiken nicht kleiner geworden sind. Warum Anleger dennoch weiterhin auf Aktien setzen sollten und welche Dimensionen dabei entscheidend sind.

Von Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie BlackRock

Geht die Rally weiter? Auf den ersten Blick scheint nicht viel für Aktien zu sprechen in einer Welt, die immer irrer daherkommt. Da teilen sich drei Diktatoren im Stile von Wildwestschurken den syrischen Staat untereinander auf, da bastelt nebenan der Iran an der Atombombe, dies alles ausgelöst und ermöglicht durch eine US-Außenpolitik im Learning-By-Doing-Modus. Da sind die als besonnen geltenden Briten drauf und dran, sich dauerhaft einem Politkarrieristen auszuliefern, der ihnen bezüglich Brexit seit Jahren Märchen nach Belieben auftischt und ganz offensichtlich sein eigenes, nicht aber das Wohl des Landes im Blick hat. Und dann sind da die Chinesen, die im Hintergrund an einer neuen Weltordnung schrauben, in der die kommunistische Partei Pekings die dominierende Rolle spielt. Soll man in dieser verrückten Welt wirklich in Aktien investieren?

Drei Dimensionen sprechen für die Aktie

Man soll. Drei Dimensionen sprechen dafür, dass Anleger auch in dieser Welt nicht an Aktien vorbeikommen, nennen wir sie die verhaltensökonomische, die finanzmathematische und die gesellschaftliche. Die verhaltensökonomische Dimension besteht darin, dass Menschen lernfähig sind und sich Anleger somit an den Irrsinn gewöhnen. Vor allem das Jahr 2016, in dem zunächst das Brexit-Referendum und dann die Trump-Wahl Dinge passieren ließ, die in einer rationalen Welt eigentlich ausgeschlossen wären, bewirkte bei Investoren einen enormen Lerneffekt. Das Risikoregime der Märkte, so lehrten die Brexit- und Trump-Schocks, bleibt selbst bei als disruptiv empfundenen und ökonomisch langfristig schädlichen Ereignissen stabil, solange die Wirtschaftslage zunächst intakt ist.

Man könnte es auch als Lektion in maximalem Opportunismus bezeichnen. In jedem Fall lernen wir aus 2016, dass sich Anleger von geopolitischem Störfeuer nur dann beeinflussen lassen dürfen, wenn es das Potenzial zu unmittelbarer Beeinträchtigung des ökonomischen Umfeldes hat. Womit wir bei der zweiten Dimension wären, der finanzmathematischen, bestehend aus wirtschaftlicher Lage, Zinsen und Unternehmensgewinnen. Hier sieht es keineswegs so trüb aus wie viele meinen. Das Wachstum hat sich in den großen Volkwirtschaften zwar abgeschwächt, stabilisiert sich aktuell aber gerade klar oberhalb des Rezessionsniveaus.

Die Frühindikatoren dürften auf Sicht der nächsten sechs Monate besser aussehen als im vergangenen halben Jahr, womit sich auch der Ausblick für die Gewinne aufhellt. Weil gleichzeitig die Zinsen niedrig bleiben, vielleicht sogar eher noch weiter zurückgehen, eröffnen sich neue Bewertungsspielräume für die ohnehin nicht teuren Aktienmärkte. Und schließlich spricht die dritte Dimension, die gesellschaftliche, auch längerfristig für Aktien. Denn in der Verteilung des Nationaleinkommens haben in den letzten Jahrzehnten die Unternehmen - also der „Faktor Kapital“ -  gewonnen, während die Haushalte (also der „Faktor Arbeit“) ebenso relativer Verlierer waren wie der Staat, welcher den Haushalten mit immer üppigeren Sozialbudgets unter die Arme greifen musste und daher immer weniger investieren konnte. Es spricht wenig dafür, dass sich an dieser Gemengelage auf Sicht viel ändern wird. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir uns vom Irrsinn in der Welt nicht den Blick auf die Vorteilhaftigkeit der vermeintlich so riskanten Aktienanlage vernebeln lassen dürfen.

Was das für Anleger bedeutet

Anleger sollten also weiter, sogar eher noch zunehmend, auf die Aktie setzen, besonders in Zeiten so niedriger Zinsen. Die beispiellose Wende in der Geldpolitik, welche die bedeutendsten Zentralbanken seit Januar vollzogen haben, führte im Jahr 2019 zu einer extrem positiven Kursentwicklung bei Anleihen. Wohl nur die wenigsten hätten am Anfang des Jahres vorausgesagt, dass beispielsweise italienische Zehnjahresanleihen Anfang November als eine der am besten gelaufenen Assetklassen des Jahres dastehen würden. Dass die Zinsen aber im kommenden Jahr noch einmal so stark nach unten rutschen darf bezweifelt werden, und wenn, dann eher in Europa als in den USA. Das schwächere Wachstum, vor allem aber die sehr maue Inflationsdynamik könnten die von Christine Lagarde geführte EZB veranlassen, die Geldpolitik noch weiter zu lockern, während seitens der US-Fed ein Ende des „mid-cycle adjustment“ realistischer erscheint. Und da sich vor dem Hintergrund der absehbaren Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China das Makrobild eher aufhellen dürfte, spricht mit Blick auf 2020 vieles für Aktien und gegen Anleihen. Dies umso mehr, als am 3. November  2020 die Präsidentschaftswahlen in den USA stattfinden und der Amtsimhaber versuchen dürfte, mit zusätzlichen Ausgaben Wechselwähler für sich zu gewinnen. Aus dieser Perspektive dürfte 2020 ein ebenso spannendes wie ertragreiches Aktienjahr werden, selbst wenn die zu erwartenden Kursgewinne nicht ganz so üppig ausfallen wie im – bisher - überraschend positiven 2019.

Lesen Sie auch: Dividendenaktien: Das gilt es zu beachten!