Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Märkte >

Das große Finanzmarkträtsel: Was ist los mit der Value-Prämie?

Es gilt als eines der großen Mysterien der Finanzmärkte: Das Verschwinden der Value-Prämie in der Bedeutungslosigkeit. Seit der Finanzkrise ist der Trend klar ersichtlich: Growth-Aktien outperformen Value-Aktien.

Ist der Value-Ansatz noch zeigemäß? (Foto: Peshkova / Shutterstock)

Es gilt als eines der großen Mysterien der Finanzmärkte: Das Verschwinden der Value-Prämie in der Bedeutungslosigkeit. Seit der Finanzkrise ist der Trend klar ersichtlich: Growth-Aktien outperformen Value-Aktien.

Von Dr. Christian Jasperneite, Chefanlagestratege bei M.M.Warburg & Co

Bei der Value-Prämie geht es darum, dass günstig bewertete Aktien langfristig eine bessere Wertentwicklung als der breite Markt aufweisen sollten. Die Gründe dafür sind vielschichtig, hängen aber primär damit zusammen, dass bei günstig bewerteten Unternehmen u.a. das Insolvenzrisiko überschätzt wird und daher eigentlich eine höhere Bewertung gerechtfertigt wäre, die sich dann langfristig auch in der guten Wertentwicklung dieser günstig bewerteten Aktien materialisiert. Das wiederum hat in der Vergangenheit über Jahrzehnte hinweg dazu geführt, dass Value-Indizes tenden- ziell eine bessere Wertentwicklung aufgewiesen haben als andere Indexstrukturen.

Besonders plakativ konnte das an der relativen Wertentwicklung des MSCI World Value gegenüber dem MSCI World Growth gezeigt werden. Seit 1974 liegen für beide Indizes Zeitreihen vor; von 1974 bis 2007 hat sich der Value-Index – wie im Lehrbuch – unter Schwankungen systematisch besser entwickelt als der entsprechende Growth-Index. Und nun beginnt das Mysterium: Pünktlich mit dem Beginn der Subprime-Krise als Vorbote der Finanzkrise endete dieser Trend. Bis etwa 2010 hätte man noch davon sprechen können, dass es sich um eine Art temporäre Störung handelt; schließlich hatte sich auch im Vorfeld die Value-Prämie nie linear bewegt, sondern unterlag selbstredend immer gewissen Schwankungen. Daher spricht man in diesem Zusammenhang ja auch von einer Risikoprämie, denn mit der langfristig zu erwartenden Prämie geht das kurzfristige Risiko einher, eine temporär unterdurchschnittliche Wertentwicklung erleiden zu müssen. In den dann folgenden Jahren entwickelte sich die Value-Prämie immer mehr zu einer Value- Belastung. Immer wieder folgten einigen Monaten mit leichter Value-Outperformance viele Monate mit einer deutlichen Value-Underperformance. Dieser Trend hat sich in den letzten 12 Monaten nicht abgeschwächt, sondern noch einmal wesentlich beschleunigt, wie auch der folgenden Abbildung zu entnehmen ist.

"Das steht im Widerspruch zu allem, was Studenten in finanzmarkttheoretischen Vorlesungen in den letzten Jahrzehnten gelernt haben"

Besonders hart von dieser Entwicklung wurde der US-Aktienmarkt getroffen, der allgemein als effizient gilt und daher vermutlich eine Entwicklung vorwegnimmt, die in anderen Regionen noch bevorsteht. In den USA hat sich tatsächlich die seit 1974 entstandene Value-Prämie komplett aufgelöst und ins Negative verkehrt. Wer seit 1974 in Value-Aktien investiert hat, liegt mit dem Ergebnis nun kumuliert ca. 20% hinter der Wertentwicklung von Growth-Aktien. Das steht im Widerspruch zu allem, was Studenten in finanzmarkttheoretischen Vorlesungen in den letzten Jahrzehnten gelernt haben - insbesondere seitdem Eugene Fama und Ken- neth French 1992 einen richtungsweisenden Aufsatz zu diesem Thema geschrieben haben, der zum Nobelpreis für die beiden Wirtschaftswissenschaftler führte.

Zu einem ähnlich irritierendem Ergebnis gelangt man, wenn man die rollierenden 5-Jahresraten des MSCI World Value mit dem MSCI World Growth vergleicht. So wäre anzunehmen, dass zumindest über einen Fünf- jahreszeitraum eine Value-Prämie vergleichsweise konstant zu beobachten sein müsste, wenn sie überhaupt existiert. Bis 2009 war das auf globaler Ebene auch der Fall, abgesehen von einem kurzen „Aussetzer“ im Jahr 1999 in Folge der LTCM-Krise. Seit 2009 aber gab es keinen einzigen Tag mehr, an dem über einen Fünfjah- reszeitraum eine positive Value-Prämie erzielt werden konnte.

Das ist für sich genommen schon eine frustrierende Erkenntnis. Was die Sache aber wirklich brenzlig macht ist die Tatsache, dass sich nach so langer Zeit nicht einmal eine zaghafte Rückkehr zur Normalität andeutet, sondern die Value-Wertentwicklung gegenüber der Growth-Wertentwicklung von Tag zu Tag schwächer wird. Besonders dramatisch ist das in einem Draw-Down-Chart zu erkennen, der aufzeigt, um wie viel Prozent ein Portfolio gegenüber seinem vorherigen Höchstwert verloren hätte, das den MSCI World Value Index kauft und den MSCI World Growth Index leerverkauft. Wer im Jahr 2007 in dieses Portfolio 100 Euro investiert hätte, würde heute vor Kosten einen Verlust von 45 Euro beklagen.

Wie kann es zu einer derartigen Entwicklung kommen, die allen akademischen Thesen und Postulaten widerspricht? Eine Möglichkeit, dieses Mysterium zu erklären, läge in der expansiven Geldpolitik und der damit einhergehenden Entwicklung von Anleihen. Anleihen weisen seit vielen Jahren fallende Renditen auf, was sie für Investoren zunehmend unat- traktiv macht. Das führt dazu, dass Investoren am Aktienmarkt nach „Anleiheersatzkandidaten“ suchen.

Dabei stehen primär Aktien im Fokus, die über ein stabiles Geschäftsmodell mit geringer Insolvenzwahrscheinlichkeit sowie planbaren Cash-Flows verfügen. Diese Unternehmen weisen eine hohe Bilanzqualität  und meistens auch eine höhere oder hohe Profitabilität auf und sind daher eben gerade nicht günstig bewertet. Damit finden sich nahezu keine Value-Aktien im „Beuteschema“ ehemaliger Investoren von Anleihen. Da dieser Trend anhalten dürfte und auch im Kontext der Corona-Krise eine immer expansiver werdende Geldpolitik zu beobachten ist, spräche vieles dafür,  dass auch in Zukunft nicht mit einer signifikanten Trendumkehr zu rechnen wäre.

Müssen Asset Manager ihre Anlagestrategien neu schreiben?

Wenn sich allerdings diese Erkenntnis durchsetzen sollte, müssten sämtliche Anlagestrategien von Asset Managern noch einmal neu geschrieben werden, denn natürlich wirft man als Portfoliomanager auch heute noch einen Blick auf die Bewertung eines Unternehmens, bevor man einen Kauf tätigt.
Aber kann die Alternative tatsächlich darin bestehen, Bewertungsaspekte auszuklammern? Eine Lösung könnte darin bestehen, Aktien in der Auswahl nicht mit einem Bonus zu versehen, wenn sie besonders günstig sind, sondern nur mit einem Malus, wenn sie besonders teuer erscheinen. Ein einfaches „weiter so“ wäre vermutlich aber gar keine gute Lösung.