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Deutschland: Trüben sich die Wirtschaftsaussichten nachhaltig ein?

Viele Jahre war Deutschland der Konjunkturmotor Europas. Nun beginnt auch er zu stottern. Die Bundesrepublik fällt gar hinter den europäischen Durchschnitt zurück. Wie gefährlich diese Entwicklung ist und was es jetzt zu tun gilt.

BÖRSE am Sonntag

Viele Jahre war Deutschland der Konjunkturmotor Europas. Nun beginnt auch er zu stottern. Die Bundesrepublik fällt gar hinter den europäischen Durchschnitt zurück. Wie gefährlich diese Entwicklung ist und was es jetzt zu tun gilt.

Eine Analyse von Dr. Jörn Quitzau, Berenberg

Seit der schweren globalen Finanzkrise 2008/09 konnte die deutsche Wirtschaft konjunkturell überzeugen.Unterbrochen von der Eurokrise lagen die Wachstumsraten oft oberhalb des Wachstumspotentials, das in Deutschland bei rund 1,5 Prozent liegt. Zur Jahreswende 2017/18 war die Stimmung in der deutschen Wirtschaft so gut wie nie zuvor im wiedervereinigten Deutschland. Nachdiesem Boom steckt Deutschland nun plötzlich in einer (leichten) Krise. Konjunkturell ist Deutschland hinter den Durchschnitt der Eurozone zurückgefallen. Es zeigt sich, dass die Konjunktur hierzulande volatiler ist, als im Rest der Eurozone. Vor allem leidet der Industriesektor, dagegen stabilisieren sich die Dienstleistungen und die Binnennachfrage („Industrierezession“).

Was waren die Hauptgründe für den deutschen Erfolg?

1. Mit der Agenda 2010 hat Deutschland die Weichen für mehr Wachstum und einen Boom am Arbeitsmarkt gestellt. Die Arbeitslosenquote ist von in der Spitze rund zwölf Prozent (2005) auf rund fünf Prozent gesunken. Zuletzt gab es erste leichte Anzeichen, dass der Arbeitsmarktboom zu Ende gehen könnte.

2. Die deutsche Wirtschaft hat sich in nahezu idealer Weise auf die Bedürfnisse der Weltwirtschaft eingestellt. Beim Leistungsbilanzüberschuss ist Deutschland mit gut sieben Prozent des BIP Weltspitze. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft hat also in besonderer Weise von der Globalisierung profitiert.

3. Für Deutschland hat die ultra-expansive Geldpolitik der EZB zu einer Sonderkonjunktur geführt. Der unterbewertete Euro trägt zur deutschen Exportstärke bei. Seit die EZB im Jahr 2015 ihr erstes Anleihekaufprogramm auflegte, hat der Eurokurs zum US-Dollar meist deutlich unter dem fairen Wert bei 1,25 US-Dollar je Euro notiert.

Was hat die deutsche Wirtschaft aus dem Tritt gebracht?
Handelskrieg, Brexit, Italien, Umwelt-und Autokrise – irgendwann wurde die Liste der Konjunkturrisiken zu lang. Deutschland steckt aktuell zwischen Stagnation und technischer Rezession. Während die Autokrise durch den Abgasskandal hausgemacht ist (und durch die aktuelle Klimadiskussion verschärft wird), sind der Handelskrieg und der Brexit für Deutschland exogene Faktoren, auf die Deutschland nur einen sehr begrenzten Einfluss hat.

Zyklischer Abschwung oder struktureller Wandel?

Ist die konjunkturelle Flaute lediglich ein kleiner Rücksetzer auf dem Weg nach oben oder ist es der Beginn lang anhaltender struktureller Probleme? Sofern die Agenda 2010 und die Globalisierung nicht rückabgewickelt werden, dürfte es sich aktuell lediglich um eine konjunkturelle Delle handeln. Sobald der Brexit (mit Austrittsvertrag) vollzogen und ein Handelsdeal zwischen den USA und China geschlossen ist, dürfte die Konjunktur wieder Fuß fassen. Längerfristig ist dennoch Vorsicht geboten: Wenn der demographische Wandel in Deutschland voll durchschlägt, werden sich die wirtschaftlichen Aussichten nachhaltig eintrüben. Wenn sich der Handelskrieg zwischen den USA und China jedoch über Jahre hinzieht und sich auf andere Regionen und Länder ausweitet, müsste sich die deutsche Wirtschaft an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Ebenso würde eine fortgesetzte Autokrise – zum Beispiel durch überzogene Umweltkampagnen – das deutsche „Geschäftsmodell“ auf den Prüfstand bringen.

Was ist zu tun?

Da die EZB ihre ultra-expansive Politik noch lange fortsetzen wird, erhält die deutsche Wirtschaft weiterhin maximalen geldpolitischen Flankenschutz. Zudem helfen die automatischen Stabilisatoren, den Konjunkturaufschwung abzufedern. Die Schuldenbremse ist dabei kein Hindernis, denn sie lässt ein strukturelles Defizit von bis zu 0,35 Prozent auf Bundesebene zu. Der Bund hält dieses Limit momentan ein. Konjunkturbedingte Mindereinnahmen und Mehrausgaben werden nicht in das strukturelle Defizit eingerechnet, sodass die automatischen Stabilisatoren problemlos wirken können. Die Regierung ist also nicht gezwungen, in den Abschwung hinein zu sparen, wodurch der Abschwung verschärft würde. Die Schuldenbremse erfordert also keine prozyklische Politik. Wirtschaftspolitisch ist die vordringliche Aufgabe, die Agenda 2010 abzusichern und marktfeindliche Angriffe, die es in der politischen Debatte aktuell zuhauf gibt, abzuwehren. Sollte der Handelskonflikt nicht gelöst und die Globalisierung somit nachhaltig beschädigt werden, muss sich auch die deutsche Wirtschaft in Teilen neu aufstellen. Die Politik müsste einen solchen Strukturwandel zulassen und ihn sozial- und bildungspolitisch abfedern, aber nicht durch Konjunkturprogramme, die bestehende Strukturen konservieren, behindern.

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