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Heilsames politisches Patt

Auf Bundesebene droht eine zunehmende Pattsituation und der Druck auf die ohnehin labile Große Koalition dürfte im kommenden Jahr weiter steigen. Was auf der einen Seite nach Risiken klingt, könnte auf der anderen das legislative Risiko für Unternehmen verringern und damit Unsicherheitsfaktoren aus dem Weg räumen, bevor sie entstehen. Torsten Reidel, Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, analysiert.

BÖRSE am Sonntag

Auf Bundesebene droht eine zunehmende Pattsituation und der Druck auf die ohnehin labile Große Koalition dürfte im kommenden Jahr weiter steigen. Was auf der einen Seite nach Risiken klingt, könnte auf der anderen das legislative Risiko für Unternehmen verringern und damit Unsicherheitsfaktoren aus dem Weg räumen, bevor sie entstehen. Torsten Reidel, Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, analysiert.

Fühlen Sie sich bei der Suche nach dem neuen Chef der CDU nicht auch an den bekannten Sänger-Wettstreit mit Dieter Bohlen erinnert? Die CDU sucht den Superstar, sozusagen. Gut, das ist vielleicht etwas an den Haaren herbeigezogen. Aber ein bisschen was von dem TV-Format hat das Schaulaufen der Kandidaten schon, oder? Die Schlagzeilen beherrscht die anstehende Wahl um den CDU-Parteivorsitz jedenfalls schon mal.

Selbst wenn die Wahl am zweiten Dezember-Wochenende über die Bühne gegangen ist, werden die Diskussionen weitergehen. Wofür steht der beziehungsweise die Neue? Wann wird sie oder er Bundeskanzlerin Angela Merkel ablösen? Darf ein Millionär das überhaupt? Fragen über Fragen, an denen sich die Kommentatoren mit Wonne abarbeiten werden. Spitzenkandidat zu sein und gleichzeitig gute Politik zu machen ist heutzutage kein leichter Job. Ein Gespür für Trends und gesellschaftliche Strömungen zu haben, kluge Ideen zu formulieren und für eine Position zu stehen, reicht hierbei nicht. Top-Politiker müssen heute das Zeug zum Popstar haben. Sie werden im Idealfall wie ein solcher von den Massen gefeiert, sind Heilsbringer, Erneuerer und versprechen eine rosige Zukunft. In dieser Hinsicht haben die Macher in der CDU von Donald Trump und Amtsvorgänger Barack Obama gelernt. Pop kommt eben von populär.

Wer sich in den Medien, vor allem den sozialen Kanälen, gut verkaufen, komplexe Sachverhalte auf vermeintlich einfache Erklärungen und Lösungen reduzieren kann und jedem das verspricht, was er gerne hören möchte, wird von vielen „gemocht“ – und hat damit die Aussicht, auch viele Wählerstimmen zu holen. Am Ende ist es wie mit einem Markenartikel: An der Kasse trifft der Kunde nachgewiesenermaßen die Entscheidung für das Produkt, das ihm bei annähernd gleicher Qualität am sympathischsten ist. Die tradierten Parteien tun sich bislang schwer mit der Verschiebung der Machtverhältnisse, die aus diesem Paradigmenwechsel resultiert. Sie sind vor allem mit sich selbst beschäftigt, ohne Aussicht auf Orientierung. In der SPD zum Beispiel wechselt das Vorstandspersonal im Jahrestakt, die CSU ist gezeichnet von einem beinharten Zweikampf an der Parteispitze. Und bei der CDU ist offen, ob sie die überhastete und unter dem Druck der politischen Ereignisse eingeleitete Nachfolge der Ära Merkel für eine Erneuerung nutzen kann.

Interessant wird jedenfalls, ob und wann die Phase endloser Debatten und Rangeleien um
Personen und Posten ein Ende findet und das politische Tagesgeschäft mit der Arbeit an
Initiativen und Gesetzen wieder in den Vordergrund tritt. Der Hemmschuh dabei heißt:
Mehrparteienkoalition. Sie dürfte in vielen Landesparlamenten und wahrscheinlich bald auch im Bund erforderlich werden, um überhaupt eine Regierung an den Start zu bekommen. In diesen Konstellationen ist es jedoch erfahrungsgemäß schwierig, bisweilen sogar unmöglich, sich bei anstehenden Entscheidungen auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen. Einen Vorgeschmack darauf, wie lange solche Pattsituationen dauern können, um dann am Ende doch noch krachend zu scheitern, haben die monatelangen Koalitionsverhandlungen nach der letzten Bundestagswahl geliefert.

Gleichzeitig ist der Bundestag wegen des komplexen deutschen Wahlrechts mit 709 Sitzen zu einem überladenen „Monsterparlament“ mutiert. Die politische Kultur in Deutschland – sie ist derzeit in keinem sonderlich guten Zustand. So steht etwa ein Friedrich Merz aufgrund seines in der freien Wirtschaft durchaus nicht außergewöhnlichen Millionengehalts unter dem Generalverdacht, unfähig zu sein, sich für die Belange der Durchschnittsbürger und der Mittelschicht einzusetzen. Wie Chefredakteur Frank Pöpsel in der jüngsten Ausgabe von FOCUS-MONEY trefflich argumentiert, ist die Frage, ob ein Millionär zur Kanzlerschaft taugt, „absurd“. Er stellt die berechtigte Gegenfrage: Wie geeignet sind Anwärter ohne praktische Erfahrungen in der Wirtschaft, dafür mit mal mehr, mal weniger abgeschlossenen Promotionen geisteswissenschaftlicher Disziplinen für das Kanzleramt? Laut Pöpsel führen wir eine reine „Neiddebatte“ – unseres Erachtens symptomatisch für die deutsche Politik. Wer am Ende das Rennen um Merkels Nachfolge macht ist an dieser Stelle schlichtweg nicht entscheidend: Die Personalie allein wird die derzeitige Pattsituation nicht auflösen.

Die politische und parlamentarische Gemengelage wird vertrackt bleiben und höchstwahrscheinlich die um sich greifende Politikverdrossenheit vieler Bürger verstärken. Ihnen fällt es zunehmend schwer zu durchschauen, wer ihre Interessen vertritt und was sie mit der eigenen Wahlstimme in der immer zerklüfteteren Parteienlandschaft überhaupt noch bewirken können. Unter diesem Gesichtspunkt wird das kommende Jahr wahrscheinlich wenig Neues bringen. Parteien und Parlamente werden nahtlos an 2018 anknüpfen und weiterhin Personaldebatten statt Sachdiskussionen führen – besonders vor den anstehenden Wahlen in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Man muss kein Prophet sein, um zu behaupten, dass sich mit ihnen die Machtverhältnisse im Bundesrat verschieben werden. Damit droht auf Bundesebene eine zunehmende Pattsituation und der Druck auf die ohnehin labile GroKo wird steigen.

Was aus Wählersicht wie ein heilloses Durcheinander wirkt, ist aus Marktperspektive durchaus positiv: Ein politisches Patt wie das derzeitige bewirkt ein geringes legislatives Risiko und bringt Unternehmenslenkern Planungssicherheit. Die Wirtschaft mag schlichtweg keine Unsicherheitsfaktoren, die sich aus Gesetzesänderungen ergeben. Das schließt nicht aus, dass politische Ereignisse immer wieder für Irritationen und in der Folge für steigende Volatilität an der Börse sorgen. Doch unterm Strich ist politischer Stillstand ein Faktor, den die Märkte lieben – auch die reifen Bullenmärkte.