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Lieferdienste straucheln

Milliardenschwer und zahlungsunfähig? So schlimm ist es noch nicht ganz, aber Gorillas, Flink, Zapp und Co haben mächtig zu kämpfen. Ein Unternehmen hat zuletzt sogar Rechnungen nicht gezahlt. Müssen viele Kunden bald auf den liebgewonnenen Service verzichten?

(Bild: picture alliance)

Milliardenschwer und zahlungsunfähig? So schlimm ist es noch nicht ganz, aber Gorillas, Flink, Zapp und Co haben mächtig zu kämpfen. Ein Unternehmen hat zuletzt sogar Rechnungen nicht gezahlt. Müssen viele Kunden bald auf den liebgewonnenen Service verzichten?

Abgesehen vom Wettbewerber Flink hat noch nie ein deutsches Unternehmen so schnell eine Milliardenbewertung erreicht wie der Berliner Lieferdienst Gorillas im vergangenen Jahr. Doch nun das: Der Star von gestern, der keine Plakatwand unbeklebt ließ und den Eindruck erweckt, die Welt zu beglücken, kann seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rät inzwischen von Kreditgeschäften mit Gorillas ab. Was für ein Absturz innerhalb weniger Monate – mit unbekanntem Ausgang. Das Berliner Unternehmen räumt ein, dass es bei einigen Geschäftspartnern zu „Rückstand bei den Zahlungen“ kam. Der Grund sei aber nicht das mangelnde Geld, sondern es seien Umstellungen in der Zahlungssoftware. Allerdings: Man sei auch auf der Suche nach neuen Investoren, habe aber noch keinen Erfolg gehabt.

Gorillas ist nicht der einzige Bringdienst, der in Schwierigkeiten steckt: Nach Informationen des Handelsblatts, korrigierten bereits erste Geldgeber ihre Rendite-Erwartungen bei anderen europäischen Lieferdiensten nach unten: Die Bewertungen des spanischen Lieferdienstes Glovo und des deutsch-britischen Anbieters Zapp sanken um bis zu 60 Prozent. Warum die Firmen europaweit so unter Druck stehen, beschreiben Investoren mit zwei Worten: „Herausforderndes Marktumfeld“.

Das sagt man, wenn Geschäftsmodelle nicht richtig funktionieren. Es gibt schlicht zu viele von den Diensten für zu wenig Nachfrage. Um beim Kunden zu punkten, veranstalten die Dienste eine Rabattschlacht sondergleichen und verbrennen damit das Geld schneller, als ihre Kuriere radeln können. Der deutsche Markt gilt als besonders schwierig, weil es hier erstens mit Rewe einen großen Platzhirschen gibt, der schon 40 Prozent des Marktes hält. Und weil die Deutschen zweitens im internationalen Vergleich häufig selbst in den Supermarkt gehen: Der Anteil der Bringdienste am gesamten Lebensmittelumsatz lag hierzulande 2020 bei zwei Prozent und dürfte laut dem Marktforschungsinstitut IFH bis 2025 lediglich auf vier bis fünf Prozent steigen.  

Wie immer, wenn sich ein Markt neu bildet, trennt sich nach einer gewissen Zeit die Spreu vom Weizen. Erst treffen die jungen Unternehmen in der Boomphase auf Investoren, die aufgrund des praktisch zinslosen Geldes fast verzweifelt auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten sind. Das war bei den Lieferdiensten vor allem 2021 der Fall – zusätzlich angeheizt durch die Folgen der Corona-Maßnahmen. Die Menschen haben zuhause mehr konsumiert, weil sie weniger ins Büro oder ins Restaurant gingen. Und auf lange Aufenthalte in Supermärkten wollten viele angesichts der Inzidenzen auch gern verzichten.   

Nach der Boom- kommt die Konsolidierungsphase, in dem der Stärkere den Kleineren kauft oder verdrängt. Es gibt viele Verlierer und wenig Gewinner, die dann allerdings auch Geld verdienen und sich an die Regeln halten müssen. Einige Monate sortierten sich die Lieferdienste. Nun scheinen sie sich in dieser Phase zu befinden. Marktbeobachter bezweifeln seit jeher, dass die Unternehmen schwarze Zahlen schreiben können, solange die Konkurrenz derart intensiv ist. Die Rechnung der Skeptiker geht so: Wenn ein Fahrradkurier für eine Liefergebühr von 1,80 Euro zehn Minuten zum Kunden hin- und wieder zurückfährt und Unternehmen dafür eine gigantische Werbeschlacht veranstalten, kann man damit kein Geld verdienen. Zudem gehen die Deutschen wieder häufiger selbst einkaufen, seitdem die Lockdowns vorüber sind.

Vieles deutet nun darauf hin, dass es bald weniger Dienste gibt und die, die übrig bleiben, besser dastehen. Erstens, weil sie nicht mehr so viel Geld in Marketing und Rabattschlachten stecken müssen. Und zweitens, weil sie die Preise tendenziell erhöhen können, wenn die Konkurrenz geringer wird. Konkret läuft es in Deutschland vor allem auf den Zweikampf Gorillas gegen Flink hinaus, wo Fachleute Letztere derzeit im Vorteil sehen.

Aber selbst wenn es so kommt, sollte man bei Flink die Sektkorken nicht zu früh knallen lassen: Denn es könnte schon bald ein neuer Wettbewerber auftauchen, der die Radwege der deutschen Innenstädte bereits sehr gut kennt: Lieferando ist ein Lieferant von fertigen Menüs. Lange hat das Management gesagt, dass man mit dem Ausbringen von Supermarktprodukten deutlich weniger verdient und es nicht attraktiv sei. Aber hier dreht sich Wind scheinbar, es gibt bereits erst Testläufe in Berlin. Nicht zuletzt, weil die Menüs meistens abends bestellt werden und die Fahrradfahrerflotte tagsüber auch beschäftigt werden soll. Es wird also spannend sein zu beobachten, welche Lieferdienste in den kommenden Monaten unter die Räder kommen.

Thorsten Giersch

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