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Unterschätzt der Markt die Time Lags der Zinserhöhungen?

Rund 15% haben amerikanische Aktien seit den Tiefständen im Oktober aufgeholt. Dies ist durchaus bemerkenswert, denn die volkswirtschaftlichen Aussichten haben sich keineswegs so stark aufgehellt, wie man angesichts einer solchen Rally vermuten könnte.

(Foto: whiteMocca / Shutterstock)

Rund 15% haben amerikanische Aktien seit den Tiefständen im Oktober aufgeholt. Dies ist durchaus bemerkenswert, denn die volkswirtschaftlichen Aussichten haben sich keineswegs so stark aufgehellt, wie man angesichts einer solchen Rally vermuten könnte.

Marktausblick von Dr. Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie, BlackRock

Nach wie vor steht der US-Einkaufsmanagerindex (PMI) im Kontraktionsbereich; letzte Woche ist er sogar noch weiter – auf 46,3 – gefallen. Das Verbrauchervertrauen ist ebenfalls mau und hat sich im November laut Universität Michigan nur leicht (von 54,7 auf 56,8) erholt. Die Haushalte, deren Verbrauchsausgaben gut zwei Drittel der Gesamtnachfrage in den Vereinigten Staaten ausmachen, haben somit bis dato keineswegs enthusiastisch auf Anzeichen dafür reagiert, dass der Trend steigender Inflation zum Ende gekommen, eventuell sogar bereits gedreht haben könnte. Was also haben Anleger geraucht, die schon jetzt wieder so beherzt zugreifen?

Ein erster Erklärungsgrund dürfte in den Gewinnerwartungen liegen. In der Berichtssaison für das dritte Quartal erwiesen sich diese robuster als von den meisten Auguren angenommen, und auch das BIP hielt sich im gleichen Zeitraum wacker. Für das Schlussquartal könnte die US-Wirtschaft ebenfalls weiter expandiert haben, anstatt, wie etwa vom PMI suggeriert, zu schrumpfen. Wesentlich wichtiger aber dürfte die Hoffnung sein, welche Investoren mit Blick auf die Inflationsdynamik und damit die Zentralbankpolitik schöpfen. Denn die Nachrichten nachlassenden Inflationsdrucks haben viele Marktteilnehmer veranlasst, schon für den 14. Dezember, das Datum des nächsten FOMC-Meetings (Federal Open Market Committee), auf einen kleineren Zinsschritt zu setzen, mithin nur noch 50 statt der bei den letzten vier Schritten beschlossenen 75 Basispunkte zu erwarten. Für die Terminal Rate, also den Gipfel der Zinsanhebungen, pendeln sich die Markterwartungen auf eine Größenordnung um die 5%-Marke ein, was bedeutet, dass nach dem Dezemberschritt nur noch zwei bis drei kleinere Zinserhöhungen zu befürchten wären. Für Marktteilnehmer wären das schon deshalb gute Nachrichten, weil damit die Visibilität, im Sinne der vermeintlichen Möglichkeit, durch kurzfristig anstehende Risiken „hindurchzuschauen“, verbessert würde. Vor allem für den Technologiesektor, den Haupttreiber hinter der starken Aktienkursentwicklung der letzten Jahre, würde ein absehbares Ende der Zinserhöhungen die Perspektiven deutlich aufhellen. Sollte der Kerndeflator der persönlichen Konsumausgaben, das von der Fed präferierte Inflationsmaß für die US-Wirtschaft, wie vom Konsensus erwartet auf 5,0% (von 5,1% im Vormonat) nachgeben, dürfte dies die Risikofreude weiter befeuern. Der Datenpunkt wird am Donnerstag veröffentlicht.

Es sind aber vor allem zwei mögliche Fehleinschätzungen, die der durch Inflations- und Zinsoptimismus unterstützten Risikofreude erneut den Stecker ziehen könnten. Denn wie schon mehrfach in diesem Jahr könnten Investoren die Entschlossenheit der US-Notenbank unterschätzen, die Nachfrage in der Wirtschaft auch um die Gefahr einer tiefen Rezession auf das verknappte Angebot herunter zu zwingen. Ob also bei weiteren gut 100 Basispunkten wirklich Schluss ist, bleibt abzuwarten. Zudem keineswegs entschieden scheint, wie die Operation QT (quantitative tightening) weitergeht, wie stark die Fed also durch den Abbau ihrer Bilanz die Finanzierungsbedingungen zusätzlich verschärft. Als möglicherweise noch teurer könnte es sich erweisen, die Zeitverzögerungen der Geldpolitik zu unterschätzen. Zwar wirken Zinserhöhungen auf besonders zinssensible Sektoren der Volkswirtschaft, etwa den Immobiliensektor, quasi unmittelbar. Bis die Wirkungen aber vollständig in der Realwirtschaft ankommen, vergeht viel Zeit, anderthalb Jahre und mehr. Und da die Fed innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums – gerade einmal siebeneinhalb Monate zwischen dem ersten Zinsschritt im März und dem bisher letzten am 2. November – den Leitzins um sagenhafte 3,75 Prozentpunkte erhöht hat, dürften die meisten der restriktiven Auswirkungen noch ausstehen. Bereits jetzt also zu konstatieren, die US-Wirtschaft habe die Vollbremsung der Fed weitgehend schadlos überstanden, könnte sich als zu optimistisch erweisen.