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Tesla – warum nur der Rummel?

In Hamburg volltanken, dann nach Bielefeld, in ruhiger Fahrweise. Der Bordcomputer des Mittelklassewagens, eines direkten Konkurrenten des Model 3 von Tesla, zeigt bei Ankunft einen Durchschnittsverbrauch von 3,8 Litern Diesel an. Nach nach 260 gefahreren Kilometern weist die Reichweitenschätzung 1.280 Kilometer aus, nach denen bei gleicher Fahrweise getankt werden muss. So geschehen am 3. April 2016, mit einem Motor, der die Bezeichnung 1,9 TDI trägt. Auch wenn der kleine Ingolstädter Bordcomputer ein wenig beschönigen sollte, stellt sich doch ernsthaft die Frage, wie Herr Musk aus Kalifornien auf die Idee kommt, dem Autor dieser Zeilen ein Auto anbieten zu wollen, das eine Reichweite von sage und schreibe 390 Kilometern hat, denn morgen stehen 760 Kilometer Autobahn am Stück an. Also wirklich – welcher Alkohol war in den Ostereiern der 276.000 Menschen, die jetzt so ein Auto unbedingt bestellen müssen? Oder fahren die alle mit dem Auto zum Brötchenholen, anstatt das Fahrrad zu benutzen?

BÖRSE am Sonntag

Tesla präsentiert unter großem Rummel sein neuestes Elektroauto – sein erstes Fahrzeug für die breitere Käuferschichten. Der Andrang ist enorm, rund eine Viertelmillion Menschen hierzulande sind scharf auf das E-Gefährt. Doch die eigentliche Revolution ist nicht das Model 3 selbst, sondern das Mastermind dahinter: Elon Musk. Seine Vision für die Autowelt der Zukunft könnte den deutschen Automobilproduzenten noch gehöriges Kopfzerbrechen bereiten. Obwohl das Model 3 wie seine Schwestermodelle eine lächerlich geringe Reichweite hat.

Das Silicon Valley liebt Warteschlangen. Die Menschenreihen tauchen überall auf, schon im Morgengrauen, besonders häufig vor Apple-Stores. Schlangestehen, ohne Vordrängeln und Sonderprivilegien – das folgt der Idee, dass, wer nach den Regeln spielt, irgendwann auch zum Zug kommt. Die Warteschlange, sie ist das Sinnbild des amerikanischen Traums.

Das hat auch Elon Musk erkannt. Schon Stunden vor der Präsentation hatte der Tesla-Chef den Hype um sein neues Elektroauto angeheizt. Fotos machten die Runde von den langen Warteschlangen der Fans, die sich den neuen Tesla sichern wollen. Das Model 3 soll Teslas Kultobjekt werden, so wie das iPhone für Apple: Ein Volkswagen, ein Produkt, mit dem sich jeder ein wenig Luxus leisten kann, wenn er nur lang genug wartet. Die Produktion will denn auch Tesla verzehnfachen: Liefen im vergangenen Jahr noch 50.000 Autos vom Band, sollen es schon im Jahr 2020 nicht weniger als 500.000 jährlich werden. Der Aktienkurs stieg zum Wochenschluss auf über 240 Dollar.

Auch Branchenanalysten setzen ihre Hoffnungen auf das Produkt: Leute, die Schlange stehen, um ein Auto vorzubestellen, das erst in mehr als einem Jahr zu haben ist, seien ein Novum für die Branche, sagt zum Beispiel Analystin Jessica Caldwell von Edmunds.com. Die Analysten von Credit Suisse erwarten eine „überdurchschnittliche Kursentwicklung” der Tesla-Aktie. Und das, obwohl Tesla wiederholt rote Zahlen schreibt. Wegen hoher Investitionen schrieb der Autobauer im vierten Quartal 2015 einen Verlust von 320 Millionen Dollar. Immerhin steigerte Tesla auch seinen Umsatz um 27 Prozent auf 1,21 Milliarden Dollar.

Was bedeutet das für die Anleger?

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als könnte Musks Vorpreschen auf den Massenmarkt ihre Fantasie weiter beflügeln. Die Anleger haben dem Automobilbauer aus dem Silicon Valley schon immer viel zugetraut: Als Tesla 2010 an die Börse ging, lag der Ausgabepreis der Aktie bei gerade einmal 17 Dollar. Auf den zweiten Blick wird jedoch schnell klar, dass die Anleger vor allem auf Teslas Zukunft setzen. Die Hoffnung treibt den Kurs. Zwischen 80.000 und 90.000 Autos will Tesla 2016 ausliefern. Und das angesichts von knapp 300.000 Bestellungen? Riesige Fragen tun sich auf. Ob der Automobilbauer dem Kurs auch fundamental gerecht werden kann, bleibt unterdessen offen.

Wer sich den Buchwert der Aktie anschaut, könnte weitere Zweifel bekommen. Zum 31. Dezember kamen bei Tesla auf 240 Dollar Börsenkapital gerade einmal 8,30 Dollar reale Assets – gerade einmal 3,4 Prozent. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum war das Börsenkapital von Ford zu gut der Hälfte vom Buchwert gedeckt. Volkswagen besitzt einen Buchwert von rund 183 Dollar je Aktie bei einem Kurs von rund 126 Dollar zum 31. Dezember 2015. So warnt denn auch UBS-Analyst Colin Langan die Tesla-Anleger vor überhöhten Kurssteigerungen. Auch wenn 300.000 ausgelieferte Exemplare des Model 3 diese Bilanz natürlich aufbessern dürften. Wenn sie denn erst produziert sind, denn an den Kapazitäten mangelt es massiv.

Das alles ficht Elon Musk nicht an, Tesla habe nach all den Jahren gezeigt, „wie eine winzige Firma eine großen Wandel anstoßen kann“, lobt er sich selbst. Vom ersten Roadster, der bewies, „dass ein Elektroauto nicht hässlich und langsam sein muss”, über die Limousine Model S und den Luxus-SUV Model X bis hin nun zu Model 3. Der Fünfsitzer ist mit einem Preis von 35.000 Dollar oder rund 31.000 Euro wesentlich günstiger ist als alle bisherigen Fahrzeuge und besitzt eine Reichweite von 340 Kilometer, „mindestens“. Das Auto beschleunige von Null auf 100 in unter sechs Sekunden.

Winzige Firma und großer Wandel

„Mit dem Tesla 3 hat das Elektroauto die Chance, in die Mittelklasse vorzudringen“, erklärt Experte Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut der Uni Duisburg Essen. Bislang ist Tesla ausschließlich mit Premium-Angeboten für dicke Geldbeutel am Markt. Der Fahnenträger des Elektro-Antriebs liefere im Grunde nur Spielzeug und Status-Symbole für Reiche, spotten Kritiker. Das ändert sich nun.

Viele Details zum Model 3 waren bereits bekannt. Doch besonders interessant jedoch ist die Ausstattung der neuen Autos. Im Innenraum erinnert nur noch das Lenkrad an das klassische Auto, er sieht ansonsten vielmehr aus wie der von Googles selbstfahrendem Wagen. Die Mittelkonsole ist in eine Art Tablet integriert. Das Dach komplett verglast. „Wir wollen ein Gefühl von Offenheit erzeugen“, erklärt Musk und scherzt dann: „Ja, und in den Fahrerraum passt ein Surfbrett.“ Tesla-Kunden sollten sich auf die „Freiheit des Reisens“ freuen.

Das ist mehr als bloße Lifestyle-Entscheidung. Es verdeutlicht die eigentliche Vision des Multi-Unternehmers. Das Fahrzeug wird zum Erlebnisraum. Musk denkt weit über das unmittelbare Geschäft im Automarkt oder die Abschaffung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hinaus. Der Selfmade-Millionär hat sein Vermögen mit Paypal gemacht. Der Dienst revolutionierte die Bankenbranche, indem er die Finanzdienstleistungen zur Plattformfrage erklärte. Das Auto ist für Musk eine solche Plattform, so wie das iPhone für Apple eine Plattform ist.

Musk beansprucht Deutungshoheit

Musk möchte damit langfristig die Idee davon neu definieren, was ein Auto ist. Das ist die eigentliche Revolution. „In dieser Logik wird es künftig egal sein, welches Auto wir fahren. Es wird auf die Features, auf die Software und Entertainment-Angebote ankommen, die wir während der Fahrt konsumieren können”, analysiert Karsten Weide, Experte des US-Marktforschungsinstituts IDC. Derartige Technologien seien das Kerngeschäft von Westküsten-Unternehmen wie Tesla, aber auch Google oder Apple. „Deutsche Autobauer müssen sich anstrengen, um hier nicht abgehängt zu werden.“

Der Vorstoß in den Massenmarkt ist für Tesla und seine Aktionäre auch ein großes Wagnis. Das Unternehmen, das seit Gründung 2003 noch keinen Jahresgewinn geliefert hat, nimmt hohe Kosten in Kauf. Der riskante Plan muss aufgehen. Das Model 3 ist ein wichtiger Mosaikstein, um in Zukunft einmal richtig Geld zu verdienen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist der Aufbau einer riesigen Fabrik für Batterien, mit denen die Fahrzeuge eines Tages betrieben werden sollen. Diese „Gigafactory“ entsteht in Nevada und verschlingt Milliarden, dort will Tesla Lithium-Ionen-Batterien produzieren.. Bislang ist Tesla für Aktionäre jedoch vor allem ein großes Versprechen.

Dass die Aktie des Elektroautobauers unaufhörlich steigt, zeigt, dass Tesla-Anleger gerne träumen. Und spekulieren. Gelingt der Plan von Batterien und Elektroautos, könnte auch die Aktie von Tesla – wie VW und Ford in ihrer Zeit – möglicherweise zu einem Klassiker werden. Handelsblatt / Britta Weddeling / Julia Rotenberger