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Daimler-Aktie: Droht längerer Boxenstopp?

Der nächste deutsche Automobilproduzent steht vor gewaltigen Problemen. Legt die Aktie nun einen längeren Boxenstopp ein? Das scheint möglich, denn Daimler könnte bei seinen Diesel-Modellen kräftig manipuliert haben. Nun durchsuchten 230 Polizisten und 23 Staatsanwälte elf Standorte des Konzerns. Am Finanzmarkt droht ein handfester Daimler-Crash. Versinkt der Vorzeige-Stern der deutschen Automobilindustrie im Straßenalltag in einem Nebel von Abgasemissionen?

BÖRSE am Sonntag

Mit dem Stuttgarter Premium-Hersteller womöglich der nächste deutsche Automobilproduzent vor gewaltigen Problemen. Legt die Aktie nun einen längeren Boxenstopp ein? Das scheint möglich, denn Daimler könnte bei seinen Diesel-Modellen kräftig manipuliert haben. Nun durchsuchten 230 Polizisten und 23 Staatsanwälte elf Standorte des Konzerns. Am Finanzmarkt droht ein handfester Daimler-Crash. Versinkt der Vorzeige-Stern der deutschen Automobilindustrie im Straßenalltag in einem Nebel von Abgasemissionen?

Das große Schreckgespenst der Automobilindustrie ist wieder in aller Munde. Während VW gerade fieberhaft dabei ist, es irgendwie loszuwerden, schaut es nun bei Daimler vorbei: das Diesel-Gate. Und das mit voller Wucht in Form der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Das bei Anlegern gefürchtete Szenario, wonach auch Daimler in großem Stil bei den Abgaswerten seiner Diesel-Fahrzeuge getrickst haben könnte – es wird immer wahrscheinlicher.

Die Ermittlungen gegen Daimler laufen schon seit längerem. Sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik. Bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft sind die Abgasmanipulationen deutscher Automobilhersteller bereits seit 2015 ein Thema. Schon damals wurden Ermittlungen gegen Mitarbeiter von Bosch eingeleitet. Der Stuttgarter Autozulieferer hatte Volkswagen mit der allseits bekannten Betrugssoftware ausgestattet. Und mit genau einer solchen Software soll auch Daimler versorgt worden sein. Ebenfalls von Bosch.

Nachgewiesen werden konnte dem Unternehmen mit dem Stern auf der Haube bisher wenig bis nichts. Die Abgaswerte einiger Mercedes-Modelle bedürfen allerdings bis heute mindestens einer Erklärung. Da überrascht es nicht, dass sich der Verdacht, dass jene Betrugssoftware vielleicht doch eingesetzt wurde, oder anderweitig im großen Stil manipuliert wurde, nun doch erhärtet. „Betrug und strafbare Werbung“ wird dem baden-württembergischen Autobauer jetzt offiziell vorgeworfen.

Was passiert bei Nicht-Kooperation mit den Behörden?

Das US-Justizministerium fordert von Daimler schon seit Längerem eine Erklärung hinsichtlich der Abgaswerte verschiedener Modelle. Manch einer mag sich vielleicht noch dunkel daran erinnern, dass es so, vor nicht allzu langer Zeit, auch bei Volkswagen begonnen hatte. Die Wolfsburger waren der Bitte damals nicht nachgekommen. Was angesichts der Tatsache, dass es keine plausible Erklärung gab, auch wenig verwunderlich erscheint. Schon eher verwunderlich wirkt, dass auch Daimler sich bisher nicht erklären oder dann eben den im Raum stehenden Betrug aufklären und eingestehen will. Hat Volkswagen nicht eigentlich recht eindrucksvoll vorgemacht, was passiert, wenn man vor allem den amerikanischen Behörden die Kooperation verweigert?

23 Milliarden Euro hat den Wolfsburgern ihre Schummelei inzwischen schon gekostet. Tendenz steigend. „Bei uns wird nicht betrogen“, sagte dagegen Daimler-CEO Dieter Zetsche noch Anfang 2016. „Bei uns wurden keine Abgaswerte manipuliert.“ Ein bisschen später klang das dann schon ein bisschen anders. Man habe große Spielräume bei der Gesetzgebung gehabt, erklärte Zetsche. Daimler wäre untreu gegenüber seinen Aktionären gewesen, hätte man diese Räume nicht auch genutzt.

Auch wenn damit einhergehend nie von betrügerischem und illegalem Verhalten die Rede war: Dass da noch irgendetwas kommen könnte, dessen sollte sich jeder kundige Anleger seit damals bewusst gewesen sein. Sowohl die Aktionäre des Konzerns als auch Daimler selbst. Und wohl auch die breite Öffentlichkeit. Ein Fehlverhalten und ein Skandal à la Volkswagen: das wäre dann aber doch eine besonders negative Überraschung.

„Erhebliche nachteilige Auswirkungen“

So dürfte das große Ausmaß der kürzlich durchgeführten Razzien in Berlin, Niedersachsen, Sachsen und Baden Württemberg aus Unsicherheit bei vielen blanke Angst gemacht haben. Und auch wenn der Daimler-Vorstand inklusive seiner Top-Manager bisher nach außen hin ruhig bleibt. Hinter verschlossenen Türen scheint es bereits zu brodeln. So hat man in letzter Zeit verdächtig viele und bedeutende Anwaltskanzleien engagiert. Einige Vorstände haben sich um Anwälte gekümmert. In einem Bericht des Konzerns hieß er bereits, es drohten womöglich „erhebliche Geldstrafen“, was in der Folge „erhebliche nachteilige Auswirkungen auf Ertrags, Finanz- und Vermögenslage“ mit sich bringen könnte.

Erhebliche Verluste könnte es für Daimler auch am Aktienmarkt geben. Nach Bekanntwerden der durchgeführten Razzien verlor das Mercedes-Papier in der Spitze über drei Prozent an Wert. Gegen Ende des Handelstages erholte sich die Aktie leicht, womit am Ende ein Minus von knapp über zwei Prozent und ein Kurs pro Anteilsschein von 65,73 Euro zu Buche standen. Angesichts dessen, was da noch kommen könnte, waren diese Abschläge aber äußerst schmeichelhaft.
Die Vorwürfe kommen für Daimler zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Wenngleich man sagen muss, dass es für einen solch drohenden Skandal wohl auch keinen günstigen Zeitpunkt gibt. Doch gerade jetzt, wo es bei Daimler so extrem gut läuft, wäre ein solcher Zwischenfall mehr als ein herber Rückschlag.

Und wieder erwischt es einen Marktführer

Erst kürzlich lieferte der Konzern ein Rekordquartal ab. In den ersten drei Monaten 2017 steigerten die Schwaben ihr Ebit um grandiose 86 Prozent von 2,1 Milliarden auf knapp über vier Milliarden Euro. Vorstandschef Zetsche konnte für alle Konzernsparten einen Gewinn vermelden. Dazu kam ein exzellent laufendes China-Geschäft. Und natürlich hatte man den prestigeträchtigen ersten Platz, was die Absatzzahlen der Premiumhersteller betrifft, den Münchnern von BMW endlich wieder entrissen und zurückerobert. Für die Zukunft sah man sich gut aufgestellt.

Nun wird sich der Konzern erst einmal mit seiner Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen müssen. Der Dieselskandal, er ist allerspätestens jetzt kein VW-Abgasskandal mehr. Er ist ein Skandal um den (deutschen) Diesel. Und er könnte in eine Katastrophe münden, wenn aus dem Skandal ein Niedergang wird. Vor allem für Daimler. Der Anteil von Dieselfahrzeugen an der gesamten Produktion der Stuttgarter beträgt rund 70 Prozent. Bei Volkswagen sind es dagegen „lediglich“ 55 Prozent. „Aus heutiger Sicht gibt es keinen Grund zu sagen, es wird keine Nachfolgegenration für diese Dieselfamilie geben“, äußerte sich Daimlers Entwicklungsvorstand Ola Källenius noch vor kurzem zu den Plänen von Daimler, eine neue Generation von Motoren zu entwickeln. Dieses Wort hat nun geradezu den Wert eine kleinen Prophetie.

Prozyklisches Schwächesignal

Ob auch Källenius’ Büro durchsucht wurde? Vielleicht. Sicher dagegen wird sein: Er und viele andere Daimler-Manager dürften nun vorsichtiger werden mit solchen Aussagen. Die Zukunft des Diesels nämlich, sie hängt am seidenen Faden. Und damit auch die von Daimler. Vielleicht die der gesamten deutschen Automobilindustrie. Die nämlich setzt weiterhin unbeeindruckt auf den Dieselmotor. Elektromobilität überlässt man dem Silicon Valley und den Chinesen. Wenn das mal nicht darin endet, dass die deutschen Konzerne am Ende genau diesen neuen Konkurrenten den Großteil ihrer weltweiten Marktanteile überlassen müssen.

Und was das bedeuten würde? Den Anleger hierzulande, die sich auf die bewährten DAX-Bluechips stützen, könnte bald der Angstschweiß auf der Stirn stehen. Die VW-Aktie hat ab Herbst 2015 während des Abgas-Skandals ihren wert glatt halbiert. Der Aktienkurs von Daimler ist nun unter die 200-Tage-Linie bei 66,80 Euro gefallen – ein Schwächezeichen. Der Aktienkurs hat damit zusätzlich einen Unterstützungsbereich um 66,94/67,05 Euro unterschritten. Und dies ist sogar ein prozyklisches Schwächesignal. Auch wenn es noch mehrere Unterstützungslinien gibt: Die Daimler-Aktie muss sich aus einer deutlich verschlechterten Situation in einem kurzfristigen Zeitfenster herauskämpfen  – dass hierbei neue Verkaufssignale entstehen, ist wahrscheinlich.

Die erste ihrer Unterstützungslinien, die bei 64,98 Euro liegt, hat das Daimler-Papier heute getestet. Die Aktie ist damit momentan hochspekulativ, und eine Entwicklung wie beim Mitbewerber VW würde für eine geraume Zeit das bedeuten, was unter Börsianern als „freier Fall“ gewertet wird. Es sieht nicht gut aus – weder für die Daimler-Dieselflotte noch für die Daimler-Aktie. Und auch nicht für Konzernchef Zetsche. OG