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Ohropax: In der Ruhe liegt die Kraft

Eine stark befahrene Hauptstraße, feierwütige Nachbarn oder der unerträglich schnarchende Ehemann: Lärm nervt, stört die Konzentration und kann sogar krank machen. Schlafstörungen, Migräne oder Schwerhörigkeit können die Folgen sein. Wer seinen Ohren ein wenig Frieden, lateinisch pax, gönnen will, greift zu Ohropax. Gegen die kleinen Ohrstöpsel haben auch hartnäckige Schnarcher keine Chance, egal wie laut gesägt wird.

BÖRSE am Sonntag

Das menschliche Ohr ist ein komplexes Sinnesorgan: Wir brauchen es zum einen, um unser Gleichgewicht zu halten, und zum anderen zum Hören. Das funktioniert, indem Schallwellen in elektromechanische Signale umgewandelt und ans Gehirn weitergegeben werden. Das menschliche Ohr nimmt nur akustische Ereignisse wahr, die sich im sogenannten Schalldruckpegelbereich befinden. Ist der Schalldruck aber zu groß, ist das unangenehm bis schmerzhaft. Das kann zu Stress, Gereiztheit und auf Dauer zu Hörschäden und anderen Erkrankungen führen. Die Heimat der Stille ist in Wehrheim bei Frankfurt am Main. Hier produziert die Firma Ohropax mit rund 30 Mitarbeitern die Ruhespender aus Wachs, Silikon, Schaumstoff oder Kunststoff, jährlich sind es nach Unternehmensangaben über 30 Mio. Stück. Und die haben vielen Menschen offenbar schon Nerven, Urlaubstage und sogar Ehen gerettet, wie auf der liebevoll gestalteten Homepage der Firma nachzulesen ist. Ein Schweizer Arzt bedachte die Firma sogar in seinem Testament mit 2.000 Schweizer Franken.

Ruhestifter aus Hessen

Zu den berühmtesten Ohropax-Nutzern dürfte wohl Franz Kafka gehören. Die Stöpsel halfen ihm dabei, den Berliner Großstadtlärm auszublenden. Nicht nur ihm ging der ständige Krach auf die Nerven: Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten Pferdefuhrwerke, die übers Kopfsteinpflaster rumpelten, zum Alltag, hinzu kamen elektrische Straßenbahnen und knatternde Autos. Tagsüber arbeiteten immer mehr Menschen in Fabriken und waren dem Krach dröhnender Maschinen ausgesetzt, abends kehrten sie zurück in ihre Mietskasernen, in denen viele Menschen auf engem Raum zusammenlebten und ein entsprechend hoher Geräuschpegel herrschte. Der Philosoph Theodor Lessing gründete 1908 in Hannover den ersten deutschen Anti-Lärmverein und thematisierte in der Vereinszeitschrift „Der Anti-Rüpel“ die Bedeutung des Lärmschutzes. In dem Versuch, sich ein wenig Ruhe zu verschaffen, steckten sich genervte Großstädter Watte in die Ohren, was aber nicht half. Der Berliner Apotheker Maximilian Negwer erkannte die Marktlücke und entwickelte die ersten wirkungsvollen Ohrstöpsel aus Wachs und Watte. Bei der Materialwahl soll ihn Homers Epos der Odyssee inspiriert haben. Um nicht dem betörenden Gesang der Sirenen zu erliegen, die mit ihren Stimmen Seefahrer ins Verderben lockten, setzten Odysseus Gefährten auf Bienenwachskugeln in den Ohren – mit Erfolg. In der Realität fand Negwer allerdings heraus, dass eine Mischung verschiedener Wachssorten und Watte besser funktionierte. Ab 1908 startete der Verkauf der Kügelchen. So makaber es auch klingen mag, der Erste Weltkrieg trug dazu bei, das Produkt bekannter zu machen. Die Ohrstöpsel wurden an Soldaten verteilt, um das Gehör vor dem Kanonendonner zu schützen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog das Unternehmen nach Hessen um. Im Laufe der Jahre wurde das Verpackungsdesign modernisiert und die Produktpalette um neue Variationen erweitert. So gibt es die Ohrstöpsel aus verschiedenen Materialien. Je nach Sorte bleiben nicht nur Schnarchen, Baustellenlärm oder der ständig telefonierende Arbeitskollege außen vor, sondern auch Wind und Wasser. Wer in der Disco oder auf einem Rockkonzert seine Ohren schonen möchte, kann dies mit Schaumstoffstöpseln in psychedelischen Farben stilbewusst tun. Die Musik dringt trotzdem noch durch, aber reduziert auf ein gesundheitsverträgliches Maß. Bis heute ist Ohropax ein Familienbetrieb. Michael Negwer, ein Enkel des Firmengründers, ist Herr der kleinen Ruhestifter.