Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Unternehmen >

Analystenstimmen zum Brexit

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag schockierte die Nachricht: Großbritannien hat sich nun doch für den EU-Austritt entschieden. Die Brexit-Befürworter erreichten mit 51,9 Prozent eine knappe Mehrheit. Bereits wenige Stunden danach lassen sich die wirtschaftlichen Folgen dieses Ereignisses erahnen: Pfund und Euro verlieren massiv gegenüber dem Dollar, Gold und Anleihen sind extrem gefragt, verhehrend sind die Auswirkungen auf die Aktienmärkte.

BÖRSE am Sonntag

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag schockierte die Nachricht: Großbritannien hat sich nun doch für den EU-Austritt entschieden. Die Brexit-Befürworter erreichten mit 51,9 Prozent eine knappe Mehrheit. Bereits wenige Stunden danach lassen sich die wirtschaftlichen Folgen dieses Ereignis erahnen: Pfund und Euro verlieren massiv gegenüber dem Dollar, Gold und Anleihen sind extrem gefragt, verhehrend sind die Auswirkungen auf die Aktienmärkte. Doch wie prekär ist die aktuelle Lage für die Wirtschaft auf lange Sicht?

Auch wenn eine langfristige Analyse schwer ist, sehen die meisten Analysten ein wirtschaftliches Defizit für Großbritannien, aber auch für die gesamte EU und auf globaler Ebene durch den Brexit.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass das britische Pfund und der Euro deutlich gegenüber dem US-Dollar verlieren werden – bereits jetzt verlor der Euro vier Prozent und das Pfund Sterling zehn Prozent gegenüber dem US-Dollar; das Pfund fällt damit auf ein historisches Tief seit 1985.

Dean Tenerelli, Portfolio Manager, European Equities sieht hierin jedoch auch Chancen: „Trotz der jetzt beginnenden Phase der Unsicherheit werden multinationale Unternehmen mit ausreichend hohen internationalen Gewinn von den Pfund-Schwächen profitieren, weil der Wert ihrer Gewinne steigt.“ Für Anleger würden sich daher kurzfristig vermutlich Unternehmen lohnen, die in Unterschiedlichen Regionen aktiv sind.

Tenerelli warnt dennoch, dass sich „eine längerfristige Periode der Ungewissheit nicht nur an den Finanzmärkten Großbritanniens und Europas abzeichnen wird, sondern auch weltweit. Märkte mögen keine Ungewissheit.“ Einen Austritt eines Landes aus der EU hat es zuvor noch nie gegeben, daher sei es schwer, eine überzeugende Prognose über die ökonomischen und politischen Auswirkungen der neuen Gegebenheiten abzugeben. Er gehe aber von einer Verschlechterung der britischen Wachstumsaussichten aus. „Während des Zeitraums der Kampagne lautete unsere Devise jedoch „Business as usual“ und das bleibt auch jetzt so. Es ist wenig zweckvoll zu versuchen, ungewisse Ergebnisse zu prognostizieren.“

Auch Chris Alderson ist wenig erschreckt von den akuten Einbrüchen – „Kurzfristig dürfen die Märkte reflexartig fallen. Das schafft allerding die Chance, Titel zu kaufen, deren Kurse gelitten haben und unseres Erachtens unterbewertet sind. Wichtiger als Spekulationen über große Ereignisse wie die Brexit-Entscheidung ist die Identifizierung langfristiger Trends.“

Für die meisten Analysten steht außerdem fest, dass Anleger eine erhöhte Risikoaversion an den Tag legen werde. „Die Spreads der britischen Banken sind im Vorfeld des Referendums gestiegen – und steigen jetzt noch weiter. Aber auch ansonsten geht es überall dort abwärts, wo Anleger Risiko wähnen – die Kurse der meisten britischen und europäischen Vermögenswerte werden fallen“, äußert sich David Stanley Portfolio Manager, European Investment-Grade Bonds in einem Interview am Freitagmorgen. Mike Della Vedova, Portfolio Manager, European High Yield Bond Strategy sieht die Zukunft der Kapitalmärkte auf regionaler Ebene. Das Interesse Internationaler Anleger an britischen Unternehmensanleihen werde sinken, damit werde es für diese Unternehmen schwerer, Fremdkapital aufzunehmen. Sie werden daher mehr Kapital am britischen Markt aufnehmen müssen
Ganz anders Arif Hussain. Er hält die Wahrscheinlichkeit für eine globale Rezession nun, nach dem EU-Austritt für über 50 Prozent. Chris Jeffery, Stratege bei LGIM geht sogar so weit zu behaupten, Großbritannien würde bereits in der zweiten Jahreshälfte 2016 in die Rezession rutschen.

Dissonanzen gibt es auch in der Frage, ob der Brexit nun Nachahmer nach sich ziehen wird. Ben Griffiths, Portfolio Manager, European Small-Cap Equities äußert sich wie folgt: „Nachdem Großbritannien jetzt vorgemacht hat, wie es geht, werden einige EU-Mitgliedstaaten die Entwicklung in den nächsten Monaten genau verfolgen. Griechenland, Spanien, Portugal und Italien sind wegen ihrer EU-Mitgliedschaft weniger wettbewerbsfähig. Sollte eines dieser Euro-Länder dem britischen Beispiel folgen, wären die Folgen für die EU katastrophal.“

Während die einen also schon vor dem Zusammenbruch der EU warnen, halten andere das Austreten weiterer Mitgliedsstaaten für eher unwahrscheinlich. So schätzt Mike Della Vedova die Situation folgendermaßen ein: „Die EU wird ein Interesse daran haben, den Unterschied zwischen einer Mitgliedschaft und einer Nichtmitgliedschaft so stark wie möglich herauszuarbeiten. Praktisch dürfte der europäische Markt daher mit allen Mitteln geschützt werden, um das Leben für die verbliebenen Mitgliedsstaaten so angenehm wie möglich zu machen – für Großbritannien wird das Leben dadurch schwieriger.“

Aber auch die Rolle der Europäischen Zentralbank ist nach dem EU-Austritt eher umstritten. So glaubt beispielsweise David Zahn, Franklin Templeton Fixed Income Group, dass die EZB in wirtschaftlicher Hinsicht ihre lockere Geldpolitik in der Eurozone fortsetzten wird. Wohingegen die Fidelity International, Unternehmenskommunikation davon ausgeht, dass die EZB ihre Anleihekäufe ausweitet, sollten die Auswirkungen auf die Wirtschaft für erheblich eingestuft werden. Dadurch soll die Gefahr unerwarteter negativer Folgen für die Wirtschaft verringert werden.

Entgegen der allgemeinen Meinung hält David Zahn auch Zinssenkung in  Großbritannien in nächster Zeit für unwahrscheinlich. Diese Entscheidung würde das Anlegervertrauen enorm untergraben. Durch die Bank sind sich die Analysten jedoch einig, dass ist sinnvoll ist eine langfristige Sichtweise einzunehmen und sich von den kurzfristigen Trends nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen. Eine präzise Prognose über die zukünftigen Gegebenheiten ist ohnehin kaum möglich, da bisher noch zu viele Parameter offen sind. VZ