Hardware von Microsoft: Wie Phönix aus der Asche
Unzählige Male ist das Hardware-Geschäft von Microsoft für tot erklärt worden. Doch in einem Bunker in Redmond entstehen heute Produkte, die selbst Apple unter Druck setzen. Ein Besuch im Hochsicherheitstrakt.
Unzählige Male ist das Hardware-Geschäft von Microsoft für tot erklärt worden. Doch in einem Bunker in Redmond entstehen heute Produkte, die selbst Apple unter Druck setzen. Ein Besuch im Hochsicherheitstrakt.
Das „Building 87“ auf den ersten Blick etwas Besonderes. Es ist das einige fensterlose Gebäude unter den 125 sonst lichtdurchfluteten Glaspalästen auf dem weitläufigen Campus in Redmond, wo über 30.000 Microsoft-Mitarbeiter jeden Tag an Software und Internetdiensten arbeiten. Betreten kann man den bunkerartigen Bau mit 9000 Quadratmetern Nutzfläche nur durch eine Tür. Vorausgesetzt, man wird hineingelassen.
Nicht viel mehr als 100 handverlesene Mitarbeiter lässt die resolute ältere Dame am Eingang durch. Sie kennt sie alle. Hier wird an den geheimsten der geheimen Produkte gearbeitet. Nichts darf nach außen dringen. Bei Reparaturen am Dach ziehen Wachleute auf und werfen schwarze Planen über die wenigen Oberlichter, die sonst spärliches Tageslicht einlassen. Die „Surface“-Tablets haben hier ihren Ursprung und das neue „Surface Book“, ein von Medien und Testern gefeierter Zwitter aus Laptop und Tablet. Es ist ein sogenanntes „2-in-1“-Gerät.
Microsoft gewährt üblicherweise keinen Zutritt zu diesem Gebäude, schon gar nicht für Journalisten. Normalerweise. Denn es grenzt an ein Wunder, dass das Building 87 überhaupt noch in Betrieb ist und sogar expandiert. Nur wenige hatten geglaubt, dass die Hardwaresparte die Katastrophe von 2013 überleben und wieder auferstehen konnte. Und diese Auferstehung will Microsoft öffentlich machen.
Panos Panay, Chef der Hardwaresparte von Microsoft, hat die Hände ineinander gefaltet und die Arme auf die graue Platte des langen Konferenztischs gelegt. Bedächtig wählt er in dem fensterlosen Konferenzraum seine Worte. „Ich weiß noch genau wer da war, wer wie angezogen war, wer wo gestanden und was gesagt hat“, ruft er sich jenen Tag im Juli 2013 in Erinnerung. „Den werde ich nie vergessen“, sagt er. Die Rede vor Top-Mitarbeitern des Konzerns war gerade beendet, als ihn die Finanzchefin des Konzerns, Amy Hood, beiseite nahm und ihm eröffnete, man werde 900 Millionen Dollar auf unverkäufliche Tablets abschreiben müssen.
Fast eine Milliarde versenkt
Er und seine junge Truppe hatten mit dem 2012 vorgestellten Tablet „Surface RT“ aus dem Stand fast eine Milliarde Dollar versenkt. Der Morgen nach dem Paukenschlag war „noch schlimmer als der Tag selbst“, erinnert er sich. Ihm gegenüber stand ein restlos demoralisiertes Team. „Die Zahlen waren niemandem bekannt. Alle waren völlig vor den Kopf gestoßen. Das Schiff war in voller Fahrt auf ein Riff gelaufen.“ Die Presse zerriss die Hardwareträume des Softwareladens in der Luft, Wall-Street-Analysten forderten den sofortigen Verkauf oder Schließung der Sparte.
Doch er konnte der Mannschaft eine gute Nachricht überbringen: Das Projekt „Surface“ habe eine weitere Chance bekommen. „Ich habe ihnen gesagt, niemand muss an Bord bleiben. Ich könne verstehe, wenn jemand gehen wolle. Aber wer bleibt, der muss weiter an unsere Vision glauben. Microsoft wird Hardware bauen.“ Heute, drei Jahre, mehrere Tablets und eine weitere Abschreibung später, weist Microsofts Hardware-Sparte zum zweiten Mal über eine Milliarde Dollar Umsatz im Quartal aus. Zuletzt gab es einen Umsatzsprung um 61 Prozent zum Vorjahr.
Die Surface-Tablets mit ihrem unverwechselbaren Magnesium-Gehäuse, dem Tastatur-Cover mit Stoffbezug und dem stufenlos verstellbaren Klappständer streiten mit Apples iPad Pro bei Unternehmen, Künstlern und Studenten auf Augenhöhe um Marktanteile. Der Startfehler „RT“ ist beerdigt. Statt des verschlankten Betriebssystems läuft auf den Geräten nur noch „echtes“ Windows. Außerdem haben die Tablets Details wie einen USB-Stecker für Kabel oder externe Speichersticks. „Das können wir den Kunden nicht wegnehmen. Das wäre nicht fair“, erklärt der Chef und jeder weiß, dass er das iPad und die MacBook Air vom Hauptkonkurreten Apple gemeint hat.
Microsoft hat den Markt geschaffen
Der Kampf um die Marktanteile ist erbarmungslos. Tablets verkaufen sich immer schwerer, Angstgegner Apple musste im abgelaufenen Quartal einen Absatzeinbruch um fast zwei Millionen iPads hinnehmen. Doch eine Gerätekategorie stach laut der Marktforscher IDC positiv heraus: die „Detachables“, Tablets mit Tastatur, die auch als vollwertiger Laptop-Ersatz dienen, also die sogenannten „2-in-1“-Geräte.
Diese Nachricht der Marktforscher von IDC hält jedoch eine schmerzliche Komponente bereit: „Microsoft hat unzweifelhaft diesen Markt mit dem Start seiner Surface-Linie geschaffen“, so IDC-Analyst Jitesh Ubran. Jedoch habe sich auch Apple seit Ende 2015 mit dem Markteintritt seiner Kopie, dem iPad Plus, „eine imposante Marktführerschaft erarbeitet.“ Für das Weihnachtsquartal 2015 schätzt IDC die Zahl der verkauften iPad Pro auf zwei Millionen, verglichen mit 1,6 Millionen Surface-Rechnern. Noch nie kam Microsoft-Hardware so nah an Apple-Verkaufszahlen heran. Microsoft-Hardware ist zurück, wie der Phönix aus der Asche.
Ist sogar noch der erste Platz bei den Business-Tablets möglich, auf die sich Microsoft-Chef Satya Nadella fokussiert? Durchaus, meint IDC-Experte Ubran: „Ein langfristiger Erfolg für Apple ist eine große Herausforderung. Der hohe Einstiegspreis kann Kunden abschrecken und das mobile Betriebssystem iOS muss noch beweisen, dass es dem Unternehmenseinsatz gewachsen ist.“
„Apple ist unser wichtigster Wettbewerber“
Das ist der Hauptgrund hinter zwei strategischen Partnerschaften Apples mit IBM und zuletzt SAP, die mit Hochdruck unternehmenskritische Anwendungen für das iOS-Betriebssystem optimieren sollen. So erlaubt iOS nun wenigstens das Arbeiten in zwei Fenstern auf dem Bildschirm. Arbeiten mit mehreren geöffneten Programmen ist wichtig für professionelle Anwender und war Windows vorbehalten. „Da ist noch viel Raum für Microsoft und seine Hardwarepartner, sich neu ins Spiel zu bringen“, fasst IDC zusammen.
Das sieht auch der Microsoft-Chef für Hardware so: „Apple ist unser wichtigster Wettbewerber“, räumt er unumwunden ein. Das iPad habe einfach eine andere Markenbekanntheit als das Surface. Doch Microsoft investiert viel, um die Führung in diesem Segment zurückzuerobern. Satte 42 Millionen Dollar hat der Umbau des Hochsicherheitstraktes in ein gigantisches Disneyland für Forscher und Designer gekostet. Damit ist es das teuerste Gebäude auf dem gesamten Gelände – ein Erwachsenenspielplatz für Nerds und Technikfans aus neun Nationen. Erst 2014 ist das Hardwareteam in das „Building 87“ gezogen. Hier findet sich unter anderem der stillste Ort der Erde, wie auch das Guinness Buch der Rekorde anerkennt. Die Testkammer für die Geräuschentwicklung von Tablet- und Laptoplüftern ist so schalltot wie keine andere.
Die Extremstille ist psychisch so belastend, dass sich kein Mitarbeiter länger als 40 Minuten in der Kammer aufhalten darf. Ein konstantes Brummen und Surren erfüllt dagegen die Werkstatt, wo große CNC-Fräsmaschinen unentwegt Gehäuseteile für noch nicht bekannte Geräte ausspucken. „Fotografieren ist ausdrücklich verboten“, erinnert der Tourführer eindringlich. In Reih und Glied stehen in einem anderen Raum 3D-Drucker für Prototypen. Wer bis 14 Uhr seine Projektdaten abliefert, holt sich am nächsten Morgen sein Werkstück aus einem der mit einem Zahlencode gesicherten Wandschränke. Erst die Integration von Technik, Design und Modellbau ermöglicht einen 24-Stunden-Innovations-Zyklus, erläutert Panay.
„Wir fokussieren uns auf die Premiumklasse“
Es geht um jedes Detail. Rachel Bell etwa ist erst anderthalb Jahre dabei. Die junge Absolventin der London School of Fashion arbeitet das halbe Jahr in Seattle und reist ansonsten um die ganze Welt, um neue Stoffe für die Tastatur der Surface-Tablets zu finden. Sie war federführend beim jüngsten Luxus-Cover mit Alcantara-Bezug. Der Trick dabei war, das angenehme Gefühl des Stoffes beizubehalten und es trotzdem schmutzabweisend und robust genug für den harten Arbeitsalltag zu machen. Der Stoff kommt aus dem kleinen Nera Montoro in Herzen von Umbrien in Italien und wird in Redmond technisch veredelt.
Oder das Gelenk, mit dem beim Surface Book Bildschirm und Tastatur zusammengehalten werden. Ein meisterliches Stück Ingenieurkunst, wie Tester loben. In monatelanger Arbeit immer wieder verbessert, verworfen und verändert. Aber solche Ansprüche haben Kunden erst, wenn sie 1.600 Dollar oder mehr für einen Laptop-Ersatz ausgeben. „Wir fokussieren uns auf die Premiumklasse“, stellt Panay klar.
Umso weiter die Technik in den Alltag der Menschen vordringt, umso wichtiger ist zu verstehen, wie sie genutzt wird. John Morris versucht das im „Human Data“-Lab herauszufinden. Außerdem forscht er daran, wie Form und Funktion das Handeln der Nutzer beeinflussen. Diese Disziplin geht zurück auf den zweiten Weltkrieg, als die USA viele Piloten verloren, weil sie durch komplizierte Cockpits und unverständliche Technik einfach überfordert waren. Eine ergonomische Überarbeitung senkte die Verlustzahlen. Weniger dramatisch sind die Auswirkungen bei Fitness-Armbändern, Tastaturen oder Laptops. Doch schlecht gestylte, schwer zu bedienende Gadgets werden beiseitegelegt und nicht weiterempfohlen.
Es ist dieses „direkte Zusammenspiel aus Designern, Ingenieuren, Technikern und Wissenschaftlern auf engstem Raum“, was die unvergleichliche Atmosphäre des Building 87 schafft, fasst der Designchef Ralf Groene zusammen. Er hat früher bei Hartmut Esslingers Frog Design gearbeitet, Apples Designschmiede der ersten Jahre, und bei Palo Alto Design, die den ersten digitalen Organizer „Palm Pilot“ erschaffen haben. Der Palm Pilot von US Robotics, später Palm, begründete 1996 das, was wir heute die mobile Revolution nennen. Ein puristisches Gerät mit der Möglichkeit, ihn mit einem PC zu synchronisieren. Er wurde ein Riesenerfolg und Microsofts erste „Palm PCs“ waren restlos unterlegen. Doch Microsoft gab damals, wie im Sommer 2013, nicht auf, und 2005 war Windows das führende mobile Betriebssystem für smarte Organizer. Selbst Palm verwendete es dann in seinen „Treo“-Geräten.
Das iPhone setzte 2007 dann alles wieder zurück auf null. Microsoft fiel bei Smartphones zurück – bis heute. Damit sich das bei Tablets und den neuen „2-in-1“-Geräten nicht wiederholt, dafür wollen Panay und Groene in ihrem Forschungsbunker sorgen. „Es gab noch niemals eine bessere Zeit, um bei Microsoft Hardware zu entwickeln“, beschwört Panay. Auch die Marktforscher von IDC halten eine Durchbruch für möglich. Bereits 2020 werden Windows-basierte „2-in-1“-Geräte einen Marktanteil von 53 Prozent haben, prognostizieren sie nach den jüngsten Erfolgen. Ob es klappt, wird nicht zuletzt im Building 87 entschieden. Handelsblatt / Axel Postinett