Snapchat: Das Risiko der Vergänglichkeit
Das nächste „Einhorn“ aus dem Silicon Valley ist derzeit auf dem digitalen Vormarsch: Das Netzwerk Snapchat steigert aktuell kontinuierlich seine Nutzerzahlen und damit seinen Wert. Schon in diesem Jahr könnte auch der Gang an die Börse geplant sein. Doch bei alle Euphorie ist Vorsicht geboten: Snapchats Markenkern könnte sich schon bald gegen das Unternehmen wenden.
Das nächste „Einhorn“ aus dem Silicon Valley ist derzeit auf dem digitalen Vormarsch: Das Netzwerk Snapchat steigert aktuell kontinuierlich seine Nutzerzahlen und damit seinen Wert. Schon in diesem Jahr könnte auch der Gang an die Börse geplant sein. Doch bei alle Euphorie ist Vorsicht geboten: Snapchats Markenkern könnte sich schon bald gegen das Unternehmen wenden.
Es geht alles ganz schnell und in Echtzeit: Nur wenige Sekunden dauert es, um ein Video oder Foto auf Snapchat hochzuladen. Anders als bei Facebook oder Instagram ist es dabei egal, wie man aussieht: Schließlich ist das Foto schon nach zehn Sekunden wieder gelöscht und auf immer verschwunden. Zumindest vermeintlich, ignoriert man wie die meisten Nutzer die Geschäftsbedingungen für das Netzwerk. Denn ähnlich wie bei den Konkurrenten werden die Daten auf internen Servern gespeichert und eventuell für Werbemaßnahmen verwendet. Doch den meisten Nutzern scheint das egal, solange niemand Bekanntes wie etwa der kommende Arbeitgeber oder die Eltern darauf Zugriff haben. Snapchat spielt mit dem Reiz des Vergänglichen – und hat das Image der Exklusivität bei der derzeit wichtigsten Zielgruppe: den Jugendlichen.
Rund die Hälfte der Snapchatnutzer ist Schätzungen zufolge zwischen 18 und 24 Jahren alt. Und der Rest ist tendentiell jünger. Während sich (erwachsene) Brancheninsider und Experten gerade beinahe darin überbieten zu betonen, dass sie den Hype um den Dienst nicht nachvollziehen können, scheint gerade das den Dienst für die Jugendlichen so attraktiv zu machen. Man muss keine Angst haben, dass Mama einem eine Freundschaftsanfrage schickt. Einer Umfrage der Zeitschrift Bravo zufolge hat Snapchat daher in der Gruppe der 10- bis 19-Jährigen sogar schon Facebook überholt. So ist die Anwendung mittlerweile bei 35 Prozent der Befragten im Einsatz, Facebook kam hingegen nur noch auf 32 Prozent. Der Nimbus der vermeintlich schwierigen Anwendung beschert den jüngeren Nutzern einen eigenen digitalen Rückzugsraum und dem Unternehmen selbst rasant wachsende Nutzerzahlen.
Snapchat lässt Konkurrenten hinter sich
Diese Woche soll Snapchat laut der Nachrichtenagentur Bloomberg sogar den Konkurrenten Twitter bei den täglichen Nutzern überholt haben. Während sich bei Snapchat etwa 150 Millionen Nutzer täglich einloggen, sind es bei Twitter nur etwa 140 Millionen. Und auch wenn Twitter auf einen Monat bezogen derzeit noch etwa 100 Millionen Nutzer mehr als Snapchat erreicht, haben die Investoren ihr Fazit schon längst gezogen. In einer jüngsten Finanzierungsrunde sammelte die Messanger-App rund 1,8 Milliarden Dollar ein, wie aus einer Mitteilung an die US-Börsenaufsicht hervorgeht. Schätzungen zufolge liegt der Wert des Unternehmens damit etwa zwischen 18 und 20 Milliarden Dollar.
Twitter hingegen ist nach seinem Absturz an der New Yorker Wallstreet derzeit nur noch knapp zehn Milliarden Dollar wert. Die Kapitalgeber fasziniert dabei vor allem die Umsatzentwicklung des Unternehmens. Nachdem im vergangenen Jahr die Einnahmen wohl noch bei bescheidenen 50 Millionen Dollar gelegen haben, soll das Unternehmen dieses Jahr laut dem Newsportal Re/code bereits zwischen 300 und 350 Millionen Dollar einnehmen. Zwar ist das im Vergleich zur Konkurrenz und gerade bei der Bewertung von 18 Milliarden Dollar immer noch lächerlich wenig. Doch die Chancen stehen gut, dass die Entwicklung bei Snapchat weiter nach oben geht. Helfen soll dabei vor allem Werbespezialist Sriram Krishnan, den Snapchat sich jüngst vom Konkurrenten Facebook in das eigene Management geholt hat.
Börsengang steht kurz bevor
Doch Krishnan ist nicht die einzige personelle Verpflichtung, die bei Snapchat derzeit für Aufsehen sorgt. So taucht in einer Eingabe an die US-Börsenaufsicht SEC jüngst Stan Meresman als Top-Manager von Snapchat auf. Dieser war schon früher an den Vorbereitungen für Börsengänge von Tech-Firmen beteiligt. Zudem hatte der Messanger-Dienst bereits 2015 den Credit-Suisse-Banker Imram Khan engagiert, der mit Alibaba schon einen der größten Börsengänge in den USA zu verantworten hatte. Zusammen mit der Aussage von Snapchat CEO Evan Spiegel, dass ein Börsengang unbedingt nötig sei, deutet nun vieles daraufhin, dass das Unternehmen schon fünf Jahre nach seiner Gründung in den Aktienmarkt einsteigen will.
Aber auch wenn die Euphorie groß ist, sollten Anleger noch vorsichtig sein. Denn das neue „Einhorn“, wie Startups mit einem Marktwert von über einer Milliarde Dollar genannt werden, steht aktuell noch auf wackeligen Füßen. Zwar konnte Spiegel zuletzt mit immer neuen Erfolgsmeldungen die Investoren begeistern. Doch allen dürfte bewusst sein, dass Snapchat momentan noch alles andere als profitabel ist. Was dem Dienst auf lange Sicht aber wirklich gefährlich werden könnte, ist sein eigener Markenkern. Denn Snapchats Erfolg basiert darauf, dass die Jugendlichen dort momentan noch unter sich sind. Um gewinnbringend zu werden, muss der Dienst aber auch andere Zielgruppen ansprechen.
Mit der Live-Story-Funktion versuchen die Verantwortlichen beispielsweise schon das journalistische Potenzial im Bereich der Echtzeit-Nachrichten auszuschöpfen und so Twitter das Wasser abzugraben. Aber dieser Weg ist nicht ohne Risiken, denn die Jugendlichen könnten schon bald vergrault werden und zum nächsten Dienst abwandern. Gelingt dieser Spagat, dürfte Snapchat eine große Zukunft bevorstehen. Geht diese Vision jedoch schief, wird aus dem jetzigen „unicorn“ wohl schon in wenigen Jahren ein „unicorpse“. Robin Schenkewitz