Vodafone schafft den Turnaround
Vodafone entwickelt sich besser als gedacht. Erstmals seit 2008 hat der britische Telekom-Riese seinen operativen Gewinn wieder aus eigener Kraft gesteigert. Auch in Deutschland zeigen sich erste Zeichen der Erholung.
Vodafone entwickelt sich besser als gedacht. Erstmals seit 2008 hat der britische Telekom-Riese seinen operativen Gewinn wieder aus eigener Kraft gesteigert. Auch in Deutschland zeigen sich erste Zeichen der Erholung.
Es war eine lange Durststrecke für Vodafone. Quartal um Quartal stand vor dem Serviceumsatz ein dickes Minus. 14 Quartale in Folge. Bis zu diesem Dienstag. Hannes Ametsreiter, seit Oktober vergangenen Jahres Chef der deutschen Vodafone-Tochter, sitzt zurückgelehnt an einem Konferenztisch im 18. Stockwerk der Düsseldorfer Unternehmenszentrale. Das Gesicht des Managers umspielt ein leichtes Lächeln. „Die rote Rennmaschine kommt wieder auf Touren“, sagt er und lässt seinen Finanzvorstand Andreas Siemen den Grund für seine Zufriedenheit erklären.
Im abgelaufenen vierten Quartal zu Ende März ist der Serviceumsatz, also die Einnahmen aus Sprach- und Datendiensten, seit mehr als drei Jahren wieder gestiegen. 1,6 Prozent legte er im Vergleich zu Vorjahr zu und steht damit nun bei 2,46 Milliarden Euro. Der Großteil davon stammt aus dem Festnetz-Geschäft durch den Zukauf von Kabel Deutschland, und im Gesamtjahr 2015/16 lag er immer noch 0,4 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Aber das stört in Düsseldorf an diesem Tag niemand. „Wir wachsen wieder“, sagt Ametsreiter. Finanzvorstand Siemen betont, man habe auch die Kosten in den vergangenen zwei Jahren reduzieren können. Zudem lägen sie beim Zusammenschluss mit Kabel Deutschland überm Plan, was wiederrum früher Einsparungen ermöglicht.
Doch auch wenn in Düsseldorf an diesem Tag Erleichterung vorherrscht, noch ist das Unternehmen lange nicht am Ziel. „Ein gutes Quartal ist ein Etappensieg, der Rest ist harte Arbeit“, erklärt Ametsreiter. Vodafone will langfristig wieder zu Marktführer Deutsche Telekom aufschließen. Einst hatten die Düsseldorfer sogar mehr Kunden als die Bonner, doch hat sie Qualitätsprobleme in den Netzen viele Kunden gekostet. Also galt es zu investieren.
London war knauserig
Doch in der Zentrale in London sei man knauserig gewesen, erzählen einige. Dabei hätte man dort auf schnelleres Wachstum gepocht. Offizielle Zahlen zu Investitionen in Deutschland gibt der Konzern nicht heraus. Dieses Missverhältnis zwischen Anspruch und Einsatz der Konzernmutter soll auch der Grund für den überraschenden Ausstieg des vorigen Chefs Jens Schulte-Bockum gewesen sein.
Doch auch in London ändern sich die Zeiten. Der Blick aus dem Konferenzraum im obersten Stockwerk eines Hochhauses in der Londoner City, in dem Vodafone-Chef Vittorio Colao am Dienstag die Jahreszahlen des Konzerns vorlegt, reicht über die Dächer der Stadt bis hin zur Kathedrale St. Paul's. Es ist eine Kulisse, die Colao nicht ohne Hintersinn gewählt haben dürfte. Denn die Ziffern, die der zweitgrößte Mobilfunkkonzern der Welt nach China Mobile präsentierte, haben eine wichtige Eigenschaft mit dem Ort ihrer Verkündigung gemeinsam: Sie liegen deutlich höher als gewohnt.
So zeigte sich der 54-Jährige Italiener an der Spitze des britischen Telekommunikationskonzerns angesichts eines wieder wachsenden Geschäfts im hart umkämpften europäischen Markt überraschend optimistisch für die weitere Entwicklung. Für das neue, seit April laufende Geschäftsjahr stellte Colao ein Wachstum des operativen Ergebnisses zwischen drei und sechs Prozent in Aussicht. „Ich bin zuversichtlich, dass der positive Schwung anhält.“
Langsam aus der Defensive
Die ungewohnte Zuversicht hat einen triftigen Grund. Denn der britische Mobilfunkkonzern schnitt im abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/16 operativ besser ab als viele Experten gedacht hatten. Im Geschäftsjahr per Ende März sanken die Einnahmen zwar um drei Prozent auf 41,0 Milliarden britische Pfund. Der Rückgang sei vor allem auf negative Wechselkurseffekte zurückzuführen. Organisch habe Vodafone ein Wachstum von 2,3 Prozent erzielt. Noch wichtiger für viele Investoren waren jedoch zwei andere Ziffern: Auf Jahressicht sei es das erste Mal seit 2008 gewesen, dass der Konzern sowohl bei Umsatz als auch beim operativen Ergebnis aus eigener Kraft zugelegt habe, betonte Colao.
Im laufenden Geschäftsjahr rechnet das Management nun mit einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 15,7 bis 16,2 Milliarden Euro. Analysten hatten bisher mit deutlich weniger gerechnet. Der rote Riese findet damit seit langem wieder aus der Defensive. In den vergangenen Jahren war das Geschäft auf vielen wichtigen europäischen Märkten gebröckelt. Doch dank der Erholung in Europa und eines starken Wachstums in Schwellenländern geht der Konzern nun zuversichtlicher in das seit April laufende neue Geschäftsjahr als bisher.
So kündigte Colao an, dass die Dividende künftig steigen wird. Für das vergangene Jahr will der Konzern inklusive der Schlussdividende 11,45 Pence zahlen, was umgerechnet rund 14,48 Cent je Aktie bedeutet. Einziger dunkler Fleck in den Geschäftszahlen war ein Minus unter dem Strich, wofür jedoch Steuereffekte verantwortlich waren. Die Freude der Investoren konnte dies nicht trüben: Die Aktie legte um zeitweise mehr als zwei Prozent zu.
Auf dem wichtigen britischen Heimatmarkt erwartet der Vodafone-Boss nach der geplatzten Übernahme der britischen O2 durch die Mischkonzern Hutchison aus Hongkong kein Ende der Konsolidierung. Es werde voraussichtlich Allianzen geben, womöglich auch Übernahmen - aber wer mit wem, das sei schwer auszumachen, sagte Colao.
„Erfolg ist die Summe richtiger Entscheidungen“
Erst vergangene Woche hatte die EU-Kommission die geplante Milliarden-Fusion der Mobilfunk-Anbieter O2 und Three in Großbritannien untersagt. Es gebe die Sorge, dass für britische Mobilfunk-Kunden die Preise steigen und das Angebot schrumpfen könnte, begründete EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den Schritt. Colao allerdings wird auch bei einer weiteren Konsolidierung am britischen Mobilfunkmarkt nur die Rolle eines Zuschauers einnehmen können.
Schon aus kartellrechtlichen Gründen bleibt für die Nummer drei in Großbritannien eine größere Übernahme in Großbritannien lediglich ein Gedankenspiel. Ausschließen will Colao als erfahrener Manager allerdings dennoch nichts. „Wir sind offen für alles“, lautet seine Antwort auf die Frage, ob der Mobilfunker sein Geschäft auf der Insel neu sortieren könnte.
Auch in Deutschland richtet sich der Blick derzeit gen Brüssel und EU-Kommission. Die Deutsche Telekom hatte bereits im vergangenen Jahr einen äußerst umstrittenen Antrag zum exklusiven Breitband-Ausbau spezieller Regionen bei der Bundesnetzagentur gestellt. Diese hatte ihn mit Änderungen genehmigt, doch die EU-Kommission will ihn nun erst einmal vertieft prüfen. Sollte der Antrag positiv für die Telekom beschieden werden, setzt das Vodafone wieder stärker unter Druck.
Das Hauptwachstum in Deutschland stammt aus dem Festnetz-Geschäft. Das Unternehmen profitiert stark durch den Zukauf von Kabel Deutschland und der Tatsache, dass auch deren Breitband-Infrastruktur bereits im Boden liegt. Derzeit punktet die Vodafone-Tochter, weil sie in vielen Orten schnelleres Internet anbieten kann, als die Telekom. Sollte diese ebenfalls ihr Kabel hochrüsten dürfen, wird es zu einem starken Wettbewerb kommen, der sich wahrscheinlich auch auf die Preise auswirkt.
Ametsreiter fordert daher, technisch ebenfalls Zugang zu den Leitungen der Telekom bekommen zu können, damit Vodafone vergleichbare Produkte anbieten kann. Bis Vodafone in Deutschland wieder die Telekom überflügelt, könnte es noch etwas dauern und hänge von vielen Faktoren ab. Chef Ametsreiter ist das klar: „Erfolg ist immer die Summe einzelner richtiger Entscheidungen“, sagt er. Handelsblatt / Carsten Herz