Dieselgate: Der Sturz des Phaeton
Die Phase der allgemeinen Empörung ist vorbei, dafür werden die Auswirkungen des Abgasskandals für Volkswagen zunehmend spürbar. 278 internationale Großanleger klagen beim Landgericht Braunschweig auf Schadensersatz, gleichzeitig verliert der Konzern erneut Marktanteile im europäischen Vergleich. Symbol der Krise ist das Aus eines einstigen Prestigeprojekts, mit dem Volkswagen hoch hinaus wollte und jetzt abgestürzt ist.
Die Phase der allgemeinen Empörung ist vorbei, dafür werden die Auswirkungen des Abgasskandals für Volkswagen zunehmend spürbar. 278 internationale Großanleger klagen beim Landgericht Braunschweig auf Schadensersatz, gleichzeitig verliert der Konzern erneut Marktanteile im europäischen Vergleich. Symbol der Krise ist das Aus eines einstigen Prestigeprojekts, mit dem Volkswagen hoch hinaus wollte und jetzt abgestürzt ist.
„Das ist erst der Anfang“: Dieser Satz von Andreas Tilp lässt Volkswagen erzittern. Denn der Tübinger Rechtsanwalt vertritt 278 institutionelle Großanleger bei einer neuen milliardenschweren Klage gegen den Wolfsburger Konzern, der seit dem vergangenen Sommer im Mahlstrom der Abgasaffäre steckt. Dies förderten Recherchen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR zutage. Nicht nur Volkswagen hat unter dem Skandal gelitten - mit dem Verfall des Aktienkurses verloren auch zahlreiche Investoren viel Geld. Innerhalb weniger Tage hatte sich der Wert von VW-Vorzugsaktien um mehr als die Hälfte verringert, und noch immer steht der Kurs mit rund 115 Euro knapp 30 Prozent niedriger als vor Bekanntwerden der Affäre. Daher sammeln sich unter Rechtsanwalt Tilp nun zahlreiche Anleger, die ab Mitte 2008 VW-Aktien gekauft haben.
Die große Frage ist nun: Hat Volkswagen seine Auskunftspflicht gegenüber Anteilseignern verletzt? Als schwarzer Tag im Kalender der Anleger steht der 18. September 2015, an dem die US-Umweltbehörde EPA die Manipulationen enthüllte. Das Landgericht Braunschweig, bei dem die Klage eingereicht wurde, muss beurteilen, ob die schleppende Aufklärung seitens des Konzerns zu spät kam. Fraglich ist, ob die Legende von der kleinen Gruppe von Technikern, die um 2006 eine Manipulationssoftware entwarf und sie, ohne dass die Konzernspitze davon wusste, in Millionen Autos verbaute, wahr ist - die Kläger sehen die Geschichte als Ausrede.
Schadensersatz in Höhe von 3,255 Milliarden Euro?
Sollten sie Recht bekommen, könnte Volkswagen zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von 3,255 Milliarden Euro gezwungen sein. Unter den 278 internationalen Klägern sind die Sparkassentochter Deka, der größte US-amerikanische Pensionsfonds CalPERS, eine Tochter der Allianz-Gruppe sowie weitere finanzkräftige Unternehmen aus aller Welt. Volkswagen sieht sich diesmal also nicht einer Sammelklage verärgerter Privatkunden wie in den USA ausgesetzt, sondern muss eine Bedrohung in neuer Dimension fürchten. Der mögliche finanzielle Schaden durch den Skandal ist kaum abzuschätzen, könnte sich aber schnell im zweistelligen Milliardenbereich bewegen, wenn man eventuelle Strafzahlungen und Bußgelder zusammenrechnet.
Ein Schreiben des auf Sammelklagen spezialisierten US-Anwalts Michael Hausfeld, das auf die Tische in Wolfsburg flatterte, zeugt davon, dass das drohende Ungemach noch wachsen kann. Hausfeld fordert Berichten von "Handelsblatt" und "Süddeutscher Zeitung" zufolge ein Treffen mit der Konzernspitze innerhalb der nächsten zwei Wochen. Offenbar wurde seine Kanzlei von deutschen Kunden und Unternehmen beauftragt worden, ihre Rechte wahrzunehmen. Im Raum steht die Diskrepanz zwischen deutschen und US-amerikanischen Kunden: In Übersee gibt VW Einkaufsgutscheine im Wert von bis zu 1000 Dollar an jene aus, die von den Manipulationen betroffen sind - hierzulande nicht.
2015 erfüllte sich für Volkswagen ein lang gehegter Traum: Erstmals konnte man Toyota beim weltweiten Quartalsabsatz überholen. Doch durch Dieselgate wurde nicht nur Anlegerkapital vernichtet, sondern auch Kundenvertrauen. In einem stark wachsenden europäischen Automarkt blieb Volkswagen im Februar deutlich hinter der Konkurrenz zurück. Zwar verbuchten die Wolfsburger ein Absatzplus von acht Prozent, Pkw der Marke VW wurden um 4,4 Prozent mehr verkauft als im Vorjahreszeitraum. Doch im Vergleich mit dem Spitzenreiter Daimler, der um 21,5 Prozent zulegte, oder BMW, wo es immerhin 13,9 Prozent waren, steht Volkswagen schlecht da. Zu den anstehenden juristischen Streitigkeiten gesellt sich also der wiederholte Verlust von Marktanteilen.
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Imageschaden und das Ende des Himmelritts
Damit bestätigt sich die Befürchtung, dass VW durch den Abgasskandal auch einen erheblichen Imageschaden mit Konsequenzen für den Absatz erlitten hat. Gleichzeitig müssen die Wolfsburger ein einstiges Prestigeprojekt beerdigen. In der Dresdener „Gläsernen Manufaktur“ gefertigt sollte der „Phaeton“ Volkswagens Vorzeigestück der Luxusklasse werden. Doch der Absatz blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Nun fiel das Modell erzwungenen Sparmaßnahmen zum Opfer und soll noch in diesem Jahr zum letzten Mal vom And laufen. Zwar soll es bereits Pläne geben, das Konzept ab 2020 mit einem Elektro-Pendant weiterzuverfolgen. Doch der jetzige Phaeton ist gescheitert.
Schon der Name der hochpreisigen Limousine war unglücklich gewählt: Phaeton, Sohn des Gottes Helios, schwang sich laut griechischer Mythologie einst auf den Sonnenwagen seines Vaters, um für einen Tag den Himmel zu erstürmen. Sein Übermut führte jedoch zu großer Zerstörung und verbrannter Erde, bis er schließlich von Zeus per Blitz gestoppt wurde, stürzte und starb - auch der Wagen wurde zerstört. Zwar wäre es übertrieben, über das Ende des Volkswagen-Konzerns zu orakeln. Dennoch sind die Parallelen zum Abgasskandal überdeutlich. Der Konzern wollte hoch hinaus, dabei waren offensichtlich auch unerlaubte Mittel recht. Doch das ging schief, Volkswagen war nach Dieselgate wie vom Schlag getroffen. Vielleicht ist es also sogar besser, wenn das unrühmliche Phaeton-Kapitel bald zu Ende geht.
Abseits aller Dichtungen und Mythen bewegen sich allerdings die unentwegt sensiblen Aktienmärkte, dort erholen sich VW-Vorzugsaktien nur langsam. Immerhin profitierte der Kurs zuletzt von der Meldung, dass deutsche Käufer nach einem ersten Gerichtsurteil kein Recht auf Rückgabe eines von der Manipulation betroffenen Fahrzeugs haben. Stattdessen ist ein umfangreicher Rückruf in die Werkstätten geplant - doch auch dieser verzögert sich nach aktuellem Stand um Wochen, weil das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Überprüfung des eingereichten Nachrüstungsvorschlags noch nicht abgeschlossen hat. Klar ist derzeit nur: Sollte sich der aktuelle Trend fortsetzen, wird Volkswagen noch viele Klagen und misstrauische Kunden ertragen müssen.
Marius Mestermann