VW-Aktie crasht in Diesel-Sumpf
Volkswagen hat die Abgaswerte seiner Dieselmotoren in den USA manipuliert. Anleger entziehen der VW-Aktie das Vertrauen, das Papier stürzt 25 Prozent ins Minus. In den USA werden Diesel-Fahrzeuge aus dem Handel genommen, erste Rücktrittsforderungen an die Adresse Winterkorn werden laut.
Das ist der größte Kurssturz seit sechs Jahren. Mit 130,65 Euro waren VW-Aktien heute in Frankfurt so billig wie zuletzt im Juli 2012. Durch den aktuellen Kurssturz verlor der Wolfsburger Konzern rund 19 Milliarden Euro an Börsenwert. Oder anderes gerechnet. Der Verlust des Börsenwertes wiegt so schwer wie 1,3 Millionen VW Golfs in der Standardausführung mit einem 1,2 Liter TSI-Motor, der beim VW-Großhändler Gottfried-Schulz für 14.990 Euro angeboten wird. Weiter: die gesamte Marktkapitalisierung der Commerzbank beträgt gerade einmal 12,6 Milliarden Euro. „Unglaublich“, kommentiere ein Händler. „Die Abgas-Affäre dürfte den Markennamen ordentlich in Mitleidenschaft ziehen.“
VW hatte zuvor Abgas-Manipulationen zugegeben, die eine Milliarden-Strafe in den USA nach sich ziehen könnten. Konzern-Chef Martin Winterkorn kündigte am Sonntag eine externe Untersuchung der Vorgänge an. Als erste Reaktion hat Volkswagen den Verkauf einiger Diesel-Fahrzeuge in den USA gestoppt. US-Autohändler seien angewiesen worden, bestimmte Wagen des Modelljahres 2015 zurückzuhalten, sagte ein VW-Vertreter am Sonntagabend. Die Zahl der betroffenen Fahrzeuge dürfte bei 482.000 liegen.
Autoexperte fordert Winterkorns Kopf
Von Seiten der Autoexperten wird der Ton in der Abgab-Affäre schärfer. Professor Ferdinand Dudenhöffer legt Konzernchef Winterkorn den Rücktritt nahe. Als direkt Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung habe der Vorstandsvorsitzende entweder von den Manipulationen gewusst oder sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte Dudenhöfer der „Frankfurter Rundschau“ vom Montag. „In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist.“ Der Skandal sei für VW eine „Imagekatastrophe par excellence“.
Autoexperte Stefan Bratzel, der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, weist auf den Imageschaden für VW hin. „Das ist ein deutsches Thema. Da sind alle in der Sippenhaftung“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Volkswagen mit seiner Tochter Audi sei das Aushängeschild der deutschen Automobilindustrie. Die stärkere Einführung des Dieselantriebs in den USA könne die Branche vorerst vergessen.
Nach Einschätzung von Heino Ruland vom Brokerhaus ICF muss VW neben der Strafe auch mit Sammelklagen von US-Autohaltern rechnen. „Das wird teuer“, erklärte er. Außerdem sei offen, ob die Prüfergebnisse auch in anderen Staaten falsch seien. Aus Sicht von Equinet-Analyst Holger Schmidt sind die Abgas-Manipulationen ein größerer Rückschlag für VW nicht nur in den USA sondern auch in anderen Märkten. Es werde Zeit brauchen, um den Schaden zu reparieren. Der Experte stufte die Aktien „neutral“ auf „reduce“ herunter.
Die gesamte deutsche Autoindustrie ist betroffen
Mit einer speziellen Software soll Volkswagen also die US-Behörden über die wahre Umweltbelastung durch ihre Dieselmotoren getäuscht haben. Ein Vorwurf, der den Konzern teuer zu stehen kommen könnte. Und der das mühsam aufgebaute Vertrauen der Amerikaner in die Dieseltechnologie nachhaltig zerstören könnte. In einem Land, in dem das Benzin mit umgerechnet 53,5 Euro-Cent pro Liter noch günstiger ist als der vergleichsweise hoch besteuerte Diesel, haben es die Selbstzünder ohnehin schon schwer genug.
Der Skandal um die manipulierten Abgaswerte von VW ist damit eine Katastrophe für die gesamte deutsche Autoindustrie. Denn der schmutzige Diesel beherrscht wieder die Öffentlichkeit. In einer gemeinsamen Kampagne werben Audi, BMW, Mercedes, Bosch und VW seit Jahren für den „Clean Diesel“. Darin loben die Autobauer den hohen Drehmoment und vor allem die hohe Effizienz der Technologie. „Das ist nicht mehr der Diesel deines Großvaters“, verspricht die Kampagne.
Das Kalkül dahinter: Der Diesel soll den Amerikanern als Alternative zum Hybridantrieb schmackhaft gemacht werden. Bis 2025 müssen die Autobauer ihre Kraftstoffeffizienz auf 54,5 Meilen pro Gallone steigern – so schreibt es das Gesetz vor. Bisher liegen sie noch deutlich darunter. Nur zwei Technologien scheinen geeignet, um den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen: der Hybrid- und der Dieselantrieb. Dem VW-Rivalen Toyota dürfte der jüngste Skandal darum in die Karten spielen. Die Japaner sind in den USA schon heute besser aufgestellt als der große Konkurrent aus Wolfsburg – und gelten in der Hybridtechnologie als der führende Anbieter. Seit Jahren lobt Toyota darum den niedrigen Verbrauch der halbelektrischen Fahrzeuge.
Auswirkungen auch auf Europa
Die Dieseleuphorie der deutschen Hersteller dürfte durch die Manipulationen von VW einen deutlichen Dämpfer erfahren. Ob und wie die amerikanischen Kunden auf die jüngsten Enthüllungen reagieren werden, ist noch offen. Falls die Dieselverkäufe darunter leiden, dürfte das nicht nur VW treffen. Immerhin beträgt der Anteil der Deutschen an den Dieselverkäufen in den USA immer noch etwa 94 Prozent. Aber auch global wirft der Skandal eine Frage auf, die der Technologie nachhaltig schaden kann: Wie sauber ist der Diesel wirklich?
Auch in Europa scheinen die Testmethoden nicht geeignet, um die tatsächliche Schadstoffbelastung der Dieselmotoren nachzuweisen. In einer Feldstudie hatte das International Council of Clean Transportation (ICCT) Ende 2014 nachgewiesen, dass die realen Stickoxid-Emissionen moderner Diesel-Autos im Schnitt sieben Mal höher liegen, als es die europäische Abgasnorm Euro 6 erlaubt. Das vernichtende Fazit der Tester: „Große Unterschiede zwischen dem Emissionsverhalten der getesteten Fahrzeuge weisen darauf hin, dass die Technologien für saubere Diesel-Pkw bereits heute existieren, diese jedoch bislang nicht von allen Fahrzeugherstellern auch entsprechend eingesetzt werden.“ In anderen Ländern wird der Diesel auf die rote Liste gesetzt: Schon heute wollen die Franzosen die Selbstzünder am liebsten aus ihren Städten verbannen. Mehrere französische Politiker werben gar für ein Dieselverbot. Die Diskussion in Deutschland um die schmutzigen Seiten des sauberen Diesels dürfte mit dem VW-Skandal in den USA erst begonnen haben. sig mit Material vom Handelsblatt / Lukas Bay / afp / dpa / rtr