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Winterkorn will VW-Mängelliste abstellen

Auf der Hauptversammlung von Volkswagen fehlt der Patriarch. Unter den Kleinaktionären wird trotzdem lebhaft über den Abgang von Ferdinand Piëch diskutiert. Doch dringlicher wird es sein, einen Blick auf die vielen Baustellen bei Deutschlands größtem Autobauer zu werfen. Das hat VW-Chef Winterkorn Martin Winterkorn heute auch angekündigt. Wie steht es um VW?

BÖRSE am Sonntag

Auf der Hauptversammlung von Volkswagen fehlt der Patriarch. Unter den Kleinaktionären wird trotzdem lebhaft über den Abgang von Ferdinand Piëch diskutiert. Doch dringlicher wird es sein, einen Blick auf die vielen Baustellen bei Deutschlands größtem Autobauer zu werfen. Das hat VW-Chef Winterkorn Martin Winterkorn heute auch angekündigt. Wie steht es um VW?

„Hinter uns liegen – vorsichtig gesagt – bewegte Tage“, sagte Vorstandschef Martin Winterkorn am Dienstag in Hannover auf der Hauptversammlung. Der Autobauer sei nun aber „in ruhigerem Fahrwasser unterwegs“, der Fokus liege wieder auf dem Geschäft – also, das ist für Beobachter unschwer zu erraten, wohl vor allem auf dem Sparprogramm. „Wir rechnen damit, dass deutlich über eine Milliarde Euro davon bereits im laufenden Jahr ergebniswirksam wird“, sagte Winterkorn. Insgesamt will der Autobauer bei seiner Hauptmarke rund um Golf und Passat etwa fünf Milliarden Euro bis 2017 einsparen. Das Programm soll die Gewinnkraft der Kernmarke von zuletzt nur 2,5 Prozent bis 2017 auf mindestens mehr als das Doppelte anheben. Ziel ist, dass dann sechs Prozent vom Umsatz als Betriebsgewinn hängenbleiben.

Volkswagen ist unter Konzernchef Winterkorn rasant gewachsen. Seit der Schwabe 2007 das Steuer bei den Wolfsburgern übernahm, wurden der Sportwagenbauer Porsche, die beiden Lkw-Bauer MAN und Scania sowie der Motorradhersteller Ducati in das Imperium eingegliedert. Der Absatz des weltumspannenden Autokonzerns mit inzwischen zwölf Marken kletterte um zwei Drittel auf mehr als zehn Millionen Fahrzeuge. Der Umsatz stieg erstmals über 200 Milliarden Euro, für VW arbeiten nahezu 600.000 Menschen, fast doppelt so viele wie vor sieben Jahren. Bei dem enormen Tempo von VW haben sich allerdings auch zahlreiche Risse aufgetan. Die Ertragskraft der Wolfsburger Kernmarke VW schwächelt, weil bei ihr ein Großteil der hohen Entwicklungskosten anfallen, von denen andere Marken wie Seat und Skoda profitieren. Vom Umsatz blieben im ersten Quartal 2015 magere zwei Prozent beim Betriebsgewinn hängen. Die Marke mit dem VW-Logo ächzt unter einer zu großen Zahl an Ausstattungsvarianten und Fahrzeugmodellen. Dadurch muss VW gegen hohe Kosten anverdienen, kann seine Wagen jedoch als Massenhersteller nur zu erschwinglichen Preisen verkaufen.

Auch die anderen Pkw-Marken schöpfen nach Meinung von Experten die Möglichkeiten nicht aus, die ein Konzern von der Größe Volkswagens bietet. Zwar profitieren die Wolfsburger bei den Kosten immer mehr von der Baukastentechnik, auf der nun auch der neue Passat und der Familienwagen Touran basieren. Doch tanzt nach Wahrnehmung des Betriebsrats noch so manche Marke bei der Gleichteilestrategie aus der Reihe. Betriebsratschef Bernd Osterloh glaubt, dass VW wesentlich mehr als die angekündigten fünf Milliarden einsparen könnte, wenn sich alle an die Vorgaben hielten.

Insidern zufolge will VW über alle Marken hinweg zehn Milliarden Euro sparen. Doch das könnte schwierig werden. Denn seit Jahren versuchen die Wolfsburger vergeblich, im Billigsegment Fuß zu fassen. Die Hoffnungen, dies zusammen mit Suzuki zu schaffen, sind geplatzt, weil sich der japanische Kleinwagenspezialist von VW dominiert sah. Aus der angestrebten Partnerschaft wurde ein Rosenkrieg. Währenddessen machen andere – allen voran der französische Konkurrent Renault mit seiner Billigtocher Dacia – das Geschäft. VW hat Insidern zufolge zuletzt mit dem chinesischen Hersteller Great Wall über eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung günstiger Autos gesprochen. VW-Chef Martin Winterkorn hat aber derzeit keine Übernahmepläne: „Es geht uns nicht allein um zusätzliche Verkäufe, sondern es muss für den Konzern vor allem betriebswirtschaftlich Sinn machen“, sagte er. Zwölf Marken im Konzernimperium, so sagt er, müssten reichen. Finanzchef Hans Dieter Pötsch dementiert zudem, dass VW plane, sich an Ferrari zu beteiligen. Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter.

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Sehr gemischt sieht für die VW-Strategen der Blick auf die Weltkarte aus. Auf dem wichtigen US-Markt fristet VW ein Nischendasein, obwohl die Wolfsburger in Chattanooga ein neues Werk errichtet haben. Die Aufholjagd ist ins Stocken geraten, bevor sie richtig angefangen hat. Denn der extra auf den Geschmack der Amerikaner abgestimmte US-Passat verkauft sich nur schleppend, weil die Konkurrenz ihre Modelle schneller erneuert. Zudem hat VW im Land der Straßenkreuzer und Geländewagen keine entsprechenden Modelle im Angebot. Das rächt sich jetzt, da die Spritpreise niedrig sind. Die von Winterkorn angekündigten großen SUV kommen erst 2016/2017. Bis dahin könnte VW jenseits des Atlantiks vollends ins Abseits geraten, fürchten Experten. In der Volksrepublik China sind die Wolfsburger mit fast 40 Prozent dagegen Marktführer. Die Stärke kann sich jedoch schnell in ein Risiko verwandeln. Denn der chinesische Markt wächst bei weitem nicht mehr so rasant wie noch vor einigen Jahren. In den ersten Monaten 2015 sanken die Absätze der Kernmarke VW sogar. Und in Südamerika, wo die Wolfsburger einst der Konkurrenz davonfuhren, schrumpft der Absatz seit einiger Zeit dramatisch, weil sich der VW zu lange auf dem Erfolg der vergangenen Jahre ausgeruht hat. Piëch soll dies neben anderen Themen im Aufsichtsrat offen angeprangert haben.

Die vom mittlerweile abgetretenen Ferdinand Piëch geforderte Allianz der beiden Lkw-Töchter MAN und Scania kommt nur schleppend in Gang. Am Montag beschloss der Aufsichtsrat die lang erwartete Gründung einer Holding für die beiden Lkw-Marken. Piëch hatte seit Jahren einen eigenen Lkw-Konzern schaffen wollen, um VW auf Augenhöhe mit Konkurrenten wie Daimler und Volvo zu bringen. Für mehr Bewegung soll nun der von Daimler zu VW gewechselte Lkw-Boss Andreas Renschler sorgen.

Der Piëch-Streit spaltet die Kleinaktionäre

Die Unsicherheit ist spürbar, wenn man die Aktionäre auf der Volkswagen-Hauptversammlung fragt, wie sie die Personaldiskussionen um Konzernchef Martin Winterkorn erlebt haben. Auch wenn Patriarch Ferdinand Piëch selbst nicht nach Hannover gekommen ist, wird an fast allen Tischen diskutiert, wie es ohne ihn weitergeht. Viele ehemalige Mitarbeiter sind unter den Anteilseignern, die sich zwischen den Autos der zwölf Konzernmarken drängen. Niemand will offen Kritik an Winterkorn üben. Aber Piëch, der jahrelange Patriarch, hat unter den Kleinaktionären immer noch einen hohen Rückhalt – trotz seines unrühmlichen Abgangs. Für den Aufsichtsratsvorsitz wünschen sich viele einen externen Kandidaten: Wolfgang Reitzle. Den erfahrenen Manager hatte auch Piëch selbst für seine Nachfolge ins Gespräch gebracht. Ohnehin machen sich die Kleinaktionäre große Sorgen, dass Piëch im Nachhinein zurückschlagen könnte – und seine Anteile am Autobauer verkauft. „Mir hat es nicht gefallen, wie man Piëch rausgemobbt hat“, sagt Jürgen Spicher. Er hat 35 Jahre für Volkswagen gearbeitet – natürlich auch unter der Führung von Piëch. Und er lobt dessen Verdienste. Spicher glaubt nicht daran, dass Winterkorn, der Gwinner des jüngsten Führungsstreits, nun tatsächlich mit längerem Vertrag ausgestattet wird: „Möglich, dass er dann sogar ganz von der Bildfläche verschwindet." Doch auch Winterkorns Verdienste werden von kaum einem Anteilseigner in Frage gestellt, den man auf der Hauptversammlung auf die Personaldebatte anspricht. Der Streit – er spaltet besonders die Kleinaktionäre. Handelsblatt / Lukas Bay