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AKTIEN & MÄRKTE  UNTERNEHMEN  FONDS  ZERTIFIKATE  Rohstoffe   Denkzeit Lebensart Dies scheint auf den ersten Blick eine sehr heftige Kursreaktion zu sein, erklärt sich aber auf den zweiten Blick angesichts der hohen ökonomischen Unwägbarkeiten. Neben den Strafzahlungen Chris-Oliver Schickentanz Chefanlagestratege bei der Commerzbank an die US-Behörden wird die Rückrufaktion und Nachbesserung der Motoren ins Geld gehen. Darüber hinaus droht zivilrechtliches Ungemach. Die ersten Sammelklagen in den USA und Kanada von geprellten VW-Fahrern sind bereits aktenkundig. Auch die deutsche Börsenaufsicht hat ein wachsames Auge auf die Affäre. Sollten sich die aktuellen Verdachtsmomente bestätigen, dass Volkswagen das eigene Fehlverhalten bereits Anfang September gegenüber den US-Behörden eingestanden hat, die (Börsen-) Öffentlichkeit aber erst drei Wochen später ins Vernehmen setzte, wären Schadensersatzforderungen von Aktionären wahrscheinlich. Hinzu kommt noch der massive Reputationsschaden, der die Absatzzahlen der VW-Marken Audi, Skoda und Volkswagen in den kommenden Monaten, vielleicht sogar Jahren bremsen dürfte. Doch neben diesen unternehmensspezifischen Konsequenzen leiden auch viele andere Marktsegmente unter der „Dieselgate“- Affäre. Da sind zunächst einmal die anderen deutschen Automobilkonzerne zu nennen. Daimler und BMW sind durch den VWSkandal in Sippenhaft genommen worden und stehen nun ebenfalls unter Generalverdacht. Das Grundprinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ mag zwar vor Gericht gelten, an der Börse jedoch gibt es andere Gesetzmäßigkeiten. Hier heiß es eher: Im Zweifel auf den Verkaufsknopf drücken. Deutsche Ingenieurskunst scheint von einem Augenblick kein Qualitätsmerkmal sondern ein Mangel zu sein. Und tatsächlich: „Dieselgate“ wird dazu führen, dass das Wachstum von Dieselfahrzeugen in den USA deutlich hinter den Hoffnungen der Autokonzerne zurückbleiben wird. Entsprechend werden sich auch für Daimler und BMW die teils üppigen Investitionen in die Dieseltechnologie schlechter amortisieren. Und auch der Dax leidet. Denn erstmals seit anderthalb Jahren sehen wir VW-bedingt negative Gewinnrevisionen für den deutschen Leitindex. Noch tappen die Analysten über die exakten Gewinneffekte im Dunkel. Doch unterstellt man, dass der VW-Gewinn in 2015 und 2016 maximal halb so hoch ausfallen wird wie bisher erwartet, würde der Indexgewinn für den Dax allein deswegen um 6-7% leiden. Dies erscheint angesichts der heftigen Kursverluste nicht dramatisch. Trotzdem dürfte dies bei vielen institutionellen Anleger zu größerer Zurückhaltung führen. Denn hier werden meist quantitative Modelle als Entscheidungshilfe genutzt, bei denen negative Gewinnrevisionen meist als K.O.-Kriterium für ein Investment gelten. Die trotz dieser niedrigeren Gewinnerwartungen attraktive Bewertung des Dax – mit einem KGV von 12 liegen die deutschen Standardwerten mittlerweile gut 20% unter dem durchschnittlichen Bewertungsniveau der vergangenen 35 Jahre – dürfte von daher noch etwas länger niedrig bleiben. Selbst die globalen Rohstoffmärkte sind von der VW-Krise tangiert. So ging der Platinpreis auf Talfahrt, weil das Edelmetall einer der wichtigsten Komponenten in Diesel-Katalysatoren ist. Rund 40% der weltweiten Platinnachfrage kommt aus der Autoindustrie... und die Diesel-Technologie ist dabei einer der wesentlichen Treiber. Doch so einleuchtend der Zusammenhang auf den ersten Blick auch sein mag: Mittelfristig spricht vieles für eine steigende Platin- Nachfrage. Denn ein Ergebnis der aktuellen VW-Krise dürften verschärfte Abgasanforderungen sein. Diese werden die Autokonzerne nur dann einhalten, wenn künftig mehr Platin in den Katalysatoren verbaut wird. Und dies dürfte die negative Absatzentwicklung mindestens kompensieren. Damit sind wir bei einer wesentlichen Erkenntnis: Die VW-Affäre kennt nicht nur Verlierer. Die Nachfrage nach Elektroantrieben – sei es als Plug In, Hybrid oder Alleinlösung – wird in den kommenden Jahren sicher weiter steigen. Damit sollten die Autozulieferer Continental und Leonie sowie die spezialisierten Batterieanbieter profitieren. Und auch im direkten Dunstkreis des Wolfsburger VWKonzerns gibt es attraktive Anlagemöglichkeiten: die klassischen Unternehmensanleihen von VW haben einen deutlichen Renditeanstieg hinter sich.Mittlerweile rentieren sie höher als Anleihen schwächerer Bonität. Dies erscheint dann doch überzogen pessimistisch. Kolumne 15 BÖRSE am Sonntag · 40/1 5


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