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Kaeser in der Kritik: Krisenstimmung bei Siemens

Joe Kaesers mäßig erfolgreiche Reformen und ein unglücklicher Zukauf werden für Siemens immer mehr zum Problem. Nun präsentierte der Vorstandsvorsitzende einige böse Überraschungen für das erste Quartal 2015 – Anleger zeigten sich enttäuscht. Im Laufe der Woche verlor die Siemens-Aktie rund zehn Prozent. Es herrscht Krisenstimmung.

BÖRSE am Sonntag

Joe Kaesers mäßig erfolgreiche Reformen und ein unglücklicher Zukauf werden für Siemens immer mehr zum Problem. Nun präsentierte der Vorstandsvorsitzende einige böse Überraschungen für das erste Quartal 2015 – Anleger zeigten sich enttäuscht. Im Laufe der Woche verlor die Siemens-Aktie rund zehn Prozent. Es herrscht Krisenstimmung.

„Wir verwirklichen, worauf es ankommt“, mit diesen Worten will Siemens in die Zukunft, sprich gen 2020, schreiten. Den Aktionären des Technologiekonzerns kommt es aber wenig überraschend mehr auf Zahlen an als auf schöne Worte. Und diese Zahlen hat Siemens offenbar nicht verwirklicht, das zeigen die Reaktionen bei der Jahreshauptversammlung vom vergangenen Dienstag. Mit einem Umsatz von 17,4 Milliarden Euro im ersten Quartal 2015 (1. Oktober bis 31. Dezember 2014) verbesserte sich das Unternehmen zwar um fünf Prozent. Doch die Auftragszahlen gingen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um deutliche elf Prozent zurück. CEO Joe Kaeser musste vor allem eines erklären: Den Gewinneinbruch auf nur noch knapp 1,1 Milliarden Euro. 2014 hatte Siemens noch eine Summe von gut 1,4 Milliarden präsentiert – ein krasser Absturz um 25 Prozent.

Wie so häufig bei Siemens gibt es auch in diesem ersten Quartal enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Konzernsparten. Zahlreiche Umstrukturierungen in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass heute neun sogenannte „Divisionen“ bestehen. Die umsatzstärkste unter ihnen war im abgelaufenen Viertel Power and Gas mit knapp 2,9 Milliarden Euro. Doch genau diese Sparte ist auch das größte Sorgenkind: Aufgrund des fallenden Ölpreises, hoher Kosten beim Zukauf Dresser Rand (USA) sowie des großen Konkurrenzdrucks in der Branche. Besonders besorgniserregend ist im aktuellen Geschäftsbericht die Entwicklung der Ergebnismarge. Diese sank im Vergleich zum ersten Quartal des letzten Geschäftsjahres von gut 18 auf elf Prozent. Die Sparte ist unter anderem für die Herstellung von Gas- und Dampfturbinen zuständig, litt aber laut Siemens auch unter Produktionsüberkapazitäten.

Aktionäre: Unzufrieden mit Kaeser

Vom Umsatz her ist dies zwar auch die einzige Division, die ein Minus zu verzeichnen hat. Doch die gestiegenen Umsätze in den anderen Bereichen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Konkurrenten wie General Electric zuletzt deutlich bessere Zahlen präsentieren konnten. Joe Kaeser kündigte an, dass man wohl erst 2017 wieder mit den großen Rivalen mithalten könne. Essentielle Voraussetzung dafür sind natürlich Aufträge – und noch mehr Aufträge. Doch auch diese lagen im abgelaufenen Quartal mit 13 Prozent im Minus. Die ebenfalls sehr wichtige Sparte Healthcare trug indes über 2,8 Milliarden Euro zum Umsatz bei. Seit Anfang Oktober 2014 läuft diese als eigenständiges Geschäft innerhalb der Siemens AG. Dennoch gibt es auch dort Optimierungspotenzial, wie Kaeser auf der Jahreshauptversammlung betonte. Der Bereich müsse „seine Anstrengungen verstärken, um schnell wieder an die bisherigen herausragenden Leistungen anzuknüpfen“, sagte der 57-Jährige am Dienstag.

Von den erschienenen Aktionären musste er sich einiges an Kritik gefallen lassen. Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment etwa kritisierte, dass die Sparpläne und Umstrukturierungen bisher noch nicht zu einer deutlichen Verbesserung beigetragen haben: "Wie viele Übergangsjahre wollen Sie uns noch zumuten, Herr Kaeser?“ Bereits im letzten Jahr hatte Siemens mit rückläufigen Auftragszahlen zu kämpfen. Für 2015 bezeichnet Siemens sein Geschäftsumfeld aufgrund geopolitischer Spannungen als „komplex“. Das Umsatzniveau soll auf organischer Basis auf dem Vorjahresniveau bleiben, die Prognose wurde bestätigt. Erste Konsequenzen aus der Krise waren einige Personalrotationen. Sowohl Hermann Requardt aus der medizintechnischen Abteilung als auch Roland Fischer von Siemens Power and Gas räumten ihre Posten. Weiter Einschnitte sollen folgen. Letzterer erhielt von Joe Kaeser bestenfalls ernüchternde Abschiedsworte: "Es gibt kein anderes Geschäft im Hause mit einem vergleichbar großen Handlungsbedarf - auch deshalb, weil die Zeichen der Zeit nicht ausreichend erkannt wurden." Zusätzlich gibt es Spekulationen über die Streichung von rund 1.200 Arbeitsstellen im Konzern.

Verkaufsempfehlungen und viel Kritik

Bei Siemens laufen offenbar nicht nur die Geschäfte aufgrund von äußeren Faktoren stockend, auch interne Querelen und falsche Entscheidungen sorgen für ein insgesamt recht desaströses Bild. Ähnlich sahen es die Anleger an der Börse. Im Laufe der vergangenen Woche stürzte der Aktienkurs des Konzerns mit Sitz in München und Berlin rasant in die Tiefe und war sogar Schlusslicht im DAX. Insgesamt verlor das Papier bis zum Freitag fast zehn Prozent und musste alles an zusätzlichem Börsenwert wieder abgeben, was seit Anfang Januar hinzugekommen war. Die turbulente Woche schloss der Kurs mit 93 Euro ab. Die Analysten zeigten sich insgesamt von den verfehlten Prognosen enttäuscht. James Stettler von Barclays Capital stufte die Siemens-Aktie auf ein Kursziel von 90 Euro herab und zweifelte an der Fähigkeit des Konzerns, die eigene Vorhersage für 2015 erfüllen zu können. Das Bankhaus Metzler singt im gleichen Chor, mit der Stimme von Analyst Ulrich Tabert: Auch er errechnete ein Kursziel von 90 Euro und riet klar zum Verkauf.

Technologischen Fortschritt und Innovation könnte Siemens dringend gebrauchen. Zwar präsentiert sich der Konzern noch immer optimistisch und rechnet beispielweise mit einem steigenden Ölpreis. Doch langfristig muss die Konzernleitung aufpassen, dass sie das Vertrauen der Investoren mit überzeugenden und tatsächlich funktionierenden Konzepten behält. Auch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme hatte zuletzt einiges an Gegenwind zu spüren bekommen. Doch es ist natürlich leichter gesagt als getan. Einige effizienzsteigernde Maßnahmen wie die Umstrukturierung des letzten Jahres könnten ihre Wirkung durchaus noch entfalten. An der Börse hilft das erstmal nichts: Zum Fall vom Zwischenhoch bei 102,90 Euro trug sicherlich auch die Dividende bei, welche Siemens großzügig um 30 Cent auf 3,30 Euro erhöhte. Es ist wohl ein Stück Wiedergutmachung für die so geschundenen Aktionäre, die dem CEO vieles an Negativentwicklungen persönlich ankreiden. Vielleicht hat Kaeser den Leitspruch daher tiefer verinnerlicht, als man auf den ersten Blick glauben mag: „Wir verwirklichen, worauf es ankommt.“