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Aufholjagd im Land der Ideen

Die erste Halbzeit im digitalen Zeitalter scheint verloren. Können Siemens und Deutsche Telekom mit „Industrie 4.0“ als Spielmacher für Deutschland den Anschluss an die globalen Top-Ligen der Digitalisierung schaffen?

BÖRSE am Sonntag

Die erste Halbzeit im digitalen Zeitalter scheint verloren. Können Siemens und Deutsche Telekom mit „Industrie 4.0“ als Spielmacher für Deutschland den Anschluss an die globalen Top-Ligen der Digitalisierung schaffen?

Deutschland und Europa haben die erste Halbzeit der Digitalisierung verloren. Das sieht zumindest der Telekom-Chef Timotheus Höttges so. Deutschland-Bashing und Industrie-Kritik gehören in den letzten Wochen schon fast zum guten Ton. Kaum eine Nachrichtensendung oder Stammtischgespräche kommen derzeit ohne negative Floskeln aus. Nach schlechten Konjunkturzahlen und einem schwachen Ifo-Geschäftsklimaindex bemängeln Experten, Politiker und Wirtschaftsbosse gleichermaßen die Standortprobleme, die bis vor wenigen Monaten scheinbar noch nicht existent waren.

Die Aktionäre sind ohnehin noch verstimmt ob der Situation an den Märkten. Erst seit zwei Wochen zeigt der Dax-Trend wieder aufwärts. Ist Deutschland noch das „Land der Ideen“, das avantgardistisch gesellschaftliche und technologische Themen anspricht und umsetzt? Ein paar Firmen nehmen sich im Besonderen einer radikalen Digitalisierung und Innovativität an, um den Anschluss an die USA nicht gänzlich zu verlieren. Auch den aufstrebenden Asiaten möchten sie Paroli bieten und dort weiterhin Geschäfte machen.

Die Deutsche Telekom und Siemens wollen nun zusammen die Kapitänsbinde tragen und gemeinsam die zweite Halbzeit der Digitalisierung gewinnen. Dazu vereinbarten sie bereits auf der CEBIT im März ein Forschungsbündnis, das jetzt auch offiziell besiegelt wurde. In der ersten Phase sollen Anlagen in den Siemens-Forschungslaboren in Nürnberg, Karlsruhe und München über das bestehende Glasfaser- und LTE-Netz der Telekom verbunden werden. Das Ziel dieser Forschung ist es, herauszufinden ob die deutsche Infrastruktur eine Hightech-Industrie überhaupt tragen kann.

Die sogenannte Industrie 4.0 ist nicht nur ein Steckenpferd der Siemens Vision, sondern auch der Titel für die neue Hightech-Strategie der Bundesregierung. Das Siemens-Elektronikwerk Amberg in der bayerischen Oberpfalz ist so etwas wie ein Schaufenster in die Zukunft. Dieses Werk wurde stetig modernisiert und funktioniert inzwischen weitgehend automatisiert. 75 Prozent der Wertschöpfungskette bewältigen Maschinen bereits eigenständig. Mitdenkende und intelligente Systeme zeichnen die Industrie 4.0 aus: Die Computer und Maschinen kommunizieren untereinander und verbessern die Produktion und Produktivität dadurch ständig. Seit dem Bau des Werkes 1989 wurde die Belegschaftsgröße von rund 1000 Mitarbeitern konstant gehalten. Der Umsatz konnte in dieser Zeit aber durch Optimierungen um das siebenfache gesteigert werden. Derartige Fortschritte in Fabriken kann man daher getrost als vierte industrielle Revolution betiteln.

Insgesamt positive Aussichten

Doch lassen sich mit der Digitalisierung von Fertigungsprozessen auch Aktienportfolios aufbessern? Sowohl die Telekom-Aktie als auch das Siemens-Papier litten im vergangenen Monat wie der DAX im Allgemeinen und konnten erst seit zwei Wochen wieder zulegen. Die allgemeine Marktsituation ist noch recht wackelig, aber die Analysten geben positive Signale: Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel schrieb am Donnerstag, dass er für das vierte Geschäftsquartal von Siemens solide Resultate erwarte, die den Aktienkurs antreiben sollten. Zudem seien die Auftragseingänge stark.

Am 6. November werden CEO Joe Kaeser zusammen mit Finanzvorstand Ralf Thomas die Q4-Zahlen präsentieren. Dann sollen sich auch schon erste positive Effekte der Siemens Vision 2020 auf dem Papier widerspiegeln.
Am selben Tag wird die Deutsche Telekom ihre Zahlen für das dritte Quartal präsentieren. Dabei wird sich wohl wieder einmal zeigen, dass der US-amerikanische Markt für Telekom boomt, Europa aber schwächelt. Zwar gibt es keine Strategie mit dem Namen Telekom Vision 2020, aber klare Ziele hat das Unternehmen unter der Führung von Höttges allemal: „Mehr Innovation durch Partnering und mehr Marktnähe“ – das will Telekom erreichen und gleichzeitig die besten Netze bereitstellen. Genau wie bei Siemens gehen mit Umstrukturierungen auch Stellen verloren. So kündigte die Deutsche Telekom diese Woche an, bis 2018 „einige hundert Stellen“ im Sektor Digital Business Unit abzubauen.

Merkwürdigerweise ist die 4.000 Mitarbeiter starke Abteilung genau die, die Zukunftsideen haben soll und kreative Ideen hervorbringen soll. Also eine zentrale Komponente in den Digitalisierungsprojekten. Telekoms erfolgreiche Cloud-Services gehen beispielsweise vom Digital Business Unit aus. Die Innovationskraft soll in Zukunft auch an anderer Stelle im Unternehmen gestärkt werden, heißt es. Das wird dann auch nötig sein – doppelt, sozusagen.

Fazit

Industrie 4.0 ist längst in aller Munde. Die Bundesregierung und diverse Unternehmen wollen damit eine gute Basis für den zukünftigen Erfolg der deutschen Industrie schaffen. Siemens und Telekom prüfen in einem gemeinsamen Forschungsbündnis nun die Möglichkeiten für Hightech-Produktion in diesem Land. Die digitale Revolution in der Industrie ist nicht nur aus einer profitorientierten Sichtweise für Unternehmen interessant, sondern auch ein ganz zentraler Eckpfeiler für den technologischen Standort Deutschland.