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Nordex und Rocket Internet: Abstürze im SDAX

Wunderkinder des 21. Jahrhunderts – das sind Rocket Internet und der Windkraftanlagenbauer Nordex. Internet und Windenergie – das beides passt einfach zu gut in den Zeitgeist. Doch die Aktien beider Unternehmen stürzen dramatisch. Bei Rocket steigt ein Großaktionär aus, bei Nordex sinkt die Prognose deutlich. Sind die beiden Unternehmen Phaeton und Ikarus heutiger Tage? Sind sie – jeder in einem eigenen mythologischen Narrativ des 21. Jahrhunderts – zum Sturz verdammt? Müssen Anleger sofort verkaufen?

BÖRSE am Sonntag

Wunderkinder des 21. Jahrhunderts – das sind Rocket Internet und der Windkraftanlagenbauer Nordex. Internet und Windenergie – das beides passt einfach zu gut in den Zeitgeist. Doch die Aktien beider Unternehmen stürzen dramatisch. Bei Rocket steigt ein Großaktionär aus, bei Nordex sinkt die Prognose deutlich. Sind die beiden Unternehmen Phaeton und Ikarus heutiger Tage? Sind sie – jeder in einem eigenen mythologischen Narrativ des 21. Jahrhunderts – zum Sturz verdammt? Müssen Anleger sofort verkaufen?

ROCKET INTERNET: DIE RAKETE TRUDELT

Oliver Samwer gilt als großer Hoffnung der deutschen Internetwirtschafts. Start-Ups erfolgreich machen und dann verkaufen – diese Fähigkeit wird ihm zugesprochen. Doch das Bild hat in den mehr als zwei Jahren seit dem Börsengang seines Raketenladens tiefe Kratzer bekommen. Erst platzte der Börsengang von Hello Fresh, dann schmolzen die Erwartungen an den Börsengang von Delivery Hero dahin.

Der schwedische Großaktionär Kinnevik hat nun wohl die Notbremse gezogen. Er verkaufte die Hälfte seiner Beteiligung an der deutschen Internet-Holding Rocket Internet. Für die Berliner ist das absolut keine gute Nachricht. Die Rocket-Aktie brach um 17 Prozent ein, nachdem Kinnevik die Hälfte der 13,2 Prozent abgestoßen hatte, die er bis dato an Rocket Internet hielt – das sind nicht weniger 10,9 Millionen Rocket-Internet-Anteile. Die Schweden nahmen einen Abschlag von zehn Prozent vom Schlusskurs am Mittwoch letzter Woche in Kauf, um bloß die Papiere loszuwerden. Den Rest behielt er vielleicht nur, weil noch eine Haltefrist bis Mai auf ihnen liegt. 210 Millionen Euro erlöste Kinnevik nun an der Börse, aktuell beträgt der Anteil nur noch 6,6 Prozent.

Der Risikokapital-Investor Kinnevik hat mit Rocket Internet schon manche Stürme überstanden. Doch zwischen ihm und den Samwer-Brüdern kriselt es wohl schon länger. Im vergangenen Jahr hatten zwei Vertreter von Kinnevik den Aufsichtsrat verlassen. Samwer bestreitet indessen bis jetzt, dass es Konflikte mit den Schweden gebe. Die Veränderungen geschähen aus der Überzeugung, das Unternehmen weiter voranzutreiben.

Unterschiedliche Maßstäbe

Unstrittig dürfte aber sein, dass es erheblich divergierende Bewertungen der einzelnen, von Rocket Internet betreuten Start-Ups gab und gibt. So hatte Kinnevik die Werte der Online-Möbelhändlers Westwing und Home 24 mit weniger als der Hälfte dessen angesetzt, was Samwer für angemessen hielt. Sogar das recht weit fortgeschrittene Projekt HelloFresh hat Samwer mit 2,6 Milliarden, die Schweden dagegen nur mit zwei Milliarden Euro bewertet. Die Global Fashion Group kann zwar steigende Umsätze nachweisen, wurde aber von Kinnevik kürzlich ruckartig von 3,1 Milliarden Euro auf eine Milliarde abgewertet.

Sollte nun der Schwede auch seine restlichen Anteile an der wilden Berliner Start-Up-Rakete zum Ende Mai, dem frühestmöglichen Zeitpunkt also, verkaufen, wäre das eine Hiobsbotschaft für die Samwers. Künftige Finanzierungspartner könnten sich fragen, wie es zu einer solch abrupten Trennung kommen konnte. Das dürfte nicht ganz einfach zu vermitteln sein.

Kurzfristig sind keine akuten Liquiditätsengpässe oder Schieflagen durch die geringere Marktkapitalisierung zu erwarten. Erst im Januar hatte Rocket Internet eine Milliarde Dollar über seinen  Internet-Fonds Rocket Internet Capital Partners (RICP) eingesammelt. Und das ist ein gewichtiges Argument dafür, noch eine gute Weile durchzuhalten.

Anleger sollten risikobewusst sein

Ende Dezember 2016 hatte die Beteiligung nur noch einen Wert von 420 Millionen Euro – das waren 29 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Die Divergenzen in den Bewertungen von Start-Up-Unternehmen sollten Anleger höher gewichten als die Tatsache, dass Rocket Internet am US-Markt eine Milliarde einsammeln konnte. Wer von seiner Altersversorgung mit Sicherheit noch etwas haben möchte, sollte die Finger von Rocket Internet lassen. Wer allerdings etwas Spielgeld übrig hat, sollte zugreifen, wenn Investor Kinnevik wieder ein paar Millionen der Raketen-Aktien unters Volk bringt.

NORDEX: EINE FLAUTE DROHT

Der Schock für Nordex-Aktionäre kam im November. Der Windkraft-Riese musste aufgrund von „Verschiebungen bei Projektumsätzen“ den Ausblick für 2016 auf das untere Ende der Prognosespanne senken. Ganz im Gegenteil hatten die Anleger auf eine Anhebung der Prognose gehofft. Am Donnerstag folgte dann der nächste Schock, denn Nordex legte enttäuschende Ausblicke auf die Jahre 2017 und 2018 vor. Vor allem die Geschäfte in Kernmärkten wie Brasilien, Indien und Südafrika liefen schlechter. Insgesamt verschieben sich Projekte in Südafrika und Brasilien im Volumen von 450 Millionen Euro.

Die Nordex Aktie stürzte angesichts der neuerlichen schlechten Nachricht um insgesamt über 30 Prozent fast ungebremst auf unter 14 Euro. Damit ist ein Kursniveau erreicht, das die Aktie vor rund zwei Jahren nach oben verlassen hatte – knapp 33 Euro kostete das Papier zum Beispiel an Weihnachten 2015, zum Jahreswechsel 2015/2016 wurde ein Spitzenwert von 33,90 Euro erreicht. Ein Grund für die damalige Euphorie: Nordex hatte Anfang 2016 die spanische Acciona erworben. Mit der neuen Tochter, die vor allem in den USA und Südamerika unterwegs ist und 2015 950 Millionen Euro erlöst hatte, wollte der Konzern bis 2018 den Umsatz verdoppeln und damit zum Weltmarktführer Vestas aufschließen.

Die Wachstumsstory ist raus

„Die Prognose für 2018 war sehr optimistisch. Aber die jetzigen Erwartungen sind ein Schock. Die Wachstumsstory ist raus“, kommentierte Holger Fechner von der NordLB den Kurssturz. Rein rechnerisch werde der operative Gewinn (Ebitda) im kommenden Jahr 160 bis 170 Millionen Euro unter den ursprünglichen Planungen liegen. Damit könnte der Gewinn unter dem von 2016 fallen. „Die gegenwärtigen Arbeiten zur Aufstellung des Abschlusses für das Geschäftsjahr 2016 lassen bereits erkennen, dass sich die weiteren finanziellen Kennzahlen im Rahmen der Prognose befinden“, hält Nordex dagegen.

Doch das hielt den Kurssturz nicht auf: Pendelte das Papier am Donnerstag vor der Gewinnwarnung noch bei Kursen knapp unterhalb von 20 Euro, so rauschte die Windenergieaktie zum Wochenschluss auf 13,265 Euro nach unten. Im späten XETRA-Handel erholte sich Nordex auf 13,44 Euro, Tradegate meldet 13,397 Euro. Das ist nurmehr etwas mehr als ein Drittel vom Weihnachtskurs 2015. Amir Roshan Zamir von MM Warburg kommentierte dazu, die Rücknahme der Umsatzprognose für 2018 von rund einer Milliarde Euro sei dramatisch: „Die ursprünglich angepeilten 4,2 bis 4,5 Milliarden Euro erschienen zwar überzogen, aber die nun angekündigtem 3,4 bis 3,6 Milliarden Euro sind sehr enttäuschend.“ Bei der Begründung blieben zudem offene Fragen auch in Bezug auf den Preisdruck, denn Geschäfte in Deutschland und den USA liefen auf Hochtouren. Mit Blick auf die gesenkte Prognose vermutet er: „Da scheint es in den übrigen Märkten wie etwa der Türkei offenbar kein Wachstum mehr zu geben.“

Kaufempehlung trotz Kurssturz

Johannes Stoffels von der Deutschen Bank empfiehlt die Nordex-Aktie trotzdem: Der Kurs von Nordex stehe zwar massiv unter Druck. Das deutliche Minus zeigt aus Sicht der Analysten der Deutschen Bank, dass der Markt das Vertrauen in Nordex völlig verloren habe. Ähnliches hatten zuvor schon andere Analystenhäuser gesagt. Der Experten der Deutschen Bank bleibt jedoch bei der Halteempfehlung für die Aktien von Nordex und rät sogar zum Nachkaufen. Das Kursziel für Nordex fällt hingegen auch seiner Meinung nach von 31,00 Euro auf 21,00 Euro. Die neuen, weniger ambitionierten Ziele sollten aber machbar sein – und das bei geringen Risiken.

Für das laufende Jahr jedenfalls rechnet Nordex-Chef Lars-bondo Krogsgaard jedenfalls nur noch mit einem Umsatz von 3,1 bis 3,3 Milliarden Euro statt bislang 3,35 Milliarden. Die operative Umsatzrendite (Ebitda-Marge) soll zwischen 7,8 bis 8,2 Prozent liegen und damit unter dem Vorjahreswert von 8,3 Prozent. Krogsgard beharrt indes trotz gesunkener Prognosen darauf, „dass sich die weiteren finanziellen Kennzahlen im Rahmen der Prognose befinden“. Für 2018 strebt Nordex bei einem Umsatz von 3,4 bis 3,6 Milliarden Euro eine stabile Marge an. Ursprünglich waren 4,2 bis 4,5 Milliarden Euro avisiert worden bei einer Ebitda-Marge von über zehn Prozent. Anleger sollten sich angesichts dessen überlegen, wie hoch sie ins Risiko gehen möchten.

Aber warum eigentlich nicht?

Ins Risiko gehen – das ist ein gutes Wort für ein Engagement in die Anteile von Nordex wie für Rocket Internet. Wer seine Altervorsorge noch nicht in trockenen Tüchern hat, sollte diese Werte als Beimischung zum Depot in Erwägung ziehen. Wer hingegen schon von Spielgeld reden kann, sollte sich zuerst Nordex und dann Rocket Internet ruhig einmal näher anschauen. Aktien zu besitzen bedeutet immer auch ein Wagnis. sig