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Siemens: Auf zu neuen Ufern

Die Vision 2020 von Siemens steht für Industrie 4.0 und das konsequente Investment in zukunftsorientierte Marktfelder. Auch wenn die Unternehmensumstrukturierung von Vorstandschef Joe Kaeser kostspielig und risikobehaftet erscheint, überzeugt sie Aktionäre. Das Siemens-Papier gehört aktuell zu den ganz heißen Eisen an der Börse.

BÖRSE am Sonntag

Die Vision 2020 von Siemens steht für Industrie 4.0 und das konsequente Investment in zukunftsorientierte Marktfelder. Auch wenn die Unternehmensumstrukturierung von Vorstandschef Joe Kaeser kostspielig und risikobehaftet erscheint, überzeugt sie Aktionäre. Das Siemens-Papier gehört aktuell zu den ganz heißen Eisen an der Börse.

„Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen." So lautet ein berühmtes Zitat von Helmut Schmidt. In der heutigen schnelllebigen Zeit aber, die durch permanente Veränderungen und Innovationen getrieben ist, wirkt dieser Ausspruch alt und ungebräuchlich wie der im Aschenbecher liegende Zigarettenstumpen von gestern. „Wer Visionen hat, der sollte zum Aktionär gehen“, umschriebe die aktuelle Situation aus Börsenperspektive wohl besser. Ein gutes Beispiel wie sehr Reform- und Erneuerungswille bei den Anlegern gefragt ist, liefert Siemens. Das 170-jährige Traditionsunternehmen erobert mit seiner im Frühjahr 2014 vorgestellten Strategie „Vision 2020“ derzeit die Herzen der Börsianer. Im vergangenen Jahr stieg das Papier um 30 Prozent und auch 2017 gehört es zu den besten Titeln im Dax. Die Aktie steht so hoch wie seit 10 Jahren nicht mehr.

Die klare Ausrichtung auf zukunftsorientierte Branchen und Marktfelder, die den Weltkonzern tiefgreifend umbaut, beginnt sich auszuzahlen. Der Vorstandsvorsitzende von Siemens, Joe Kaeser, bereitet dabei konsequent sein Unternehmen für die digitale Zukunft vor- und scheut vor kostspieligen Investitionen nicht zurück. Alleine im letzten Jahr gab der Münchner Konzern etwa 9 Milliarden Euro für Softwarefirmen aus, um seine Stellung beim zukunftsträchtigen Thema "Industrie 4.0" weiter ausbauen zu können. Besonders der 4,5 Milliarde Dollar schwere Griff nach Mentor Graphics, einem Spezialisten für Automatisierungssoftware, sorgt dabei für Aufsehen. „Mentor komplementiert unser starkes Angebot bei Mechanik und Software mit dem Design, Test und der Simulation von elektrischen und elektronischen Systemen", zeigt sich Siemens-Vorstand Klaus Helmrich von diesem Zukauf überzeugt. Experten hingegen staunen bisweilen nicht schlecht. Schließlich stellt Mentor Graphics Software für die Konstruktion von Halbleitern her. Und genau aus diesem sehr speziellen Gebiet zogen sich die Bayern mit der Trennung von Infineon vor eineinhalb Jahrzehnten zurück. Kritiker weisen zudem auf den extrem teuren Übernahmepreis hin, der mit einem hohen Risiko einhergehen könnte. Durch den Kauf von Mentor kostet der Aufbau des Industriesoftwaregeschäfts Siemens nun ähnlich viel wie der Einstieg in die Labordiagnostik. Dieser erwies sich trotz der hochgesteckten Hoffnungen letztendlich als Flop. Ein solcher droht auch im Softwaregeschäft, das trotz aller Verheißungen als riskant einzuschätzen ist.

Als weitere Hoffnungsträger gelten für Siemens die Bereiche Energy Management und Wind Power & Renewables. Allerdings lagen hierbei die Margen im angelaufenen Jahr schlechter als in allen anderen Unternehmensteilen. Negativ könnte sich auf diese Sparten künftig auch die Präsidentschaft von Donald Trump auswirken, der eher als Freund der Ölbranche und von fossilen Brennstoffen gilt. Möglicherweise muss Siemens hier Geduld aufbringen, die sich erst längerfristig bezahlt machen könnte. Kurzfristig steht hingegen der Milliarden-IPO der Medizintechnik-Sparte Healthineers auf der Agenda, der einer der größten Börsengänge der vergangenen Jahre im deutschsprachigen Raum werden könnte. Dieser dürfte frühestens im Herbst über die Bühne gehen und soll dem Konzern einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt ermöglichen. Experten schreiben dem Bereich einen Wert von 36 bis 37 Milliarden Euro zu, wobei es unwahrscheinlich ist, dass Siemens die gesamte Sparte an die Börse bringt. Healthineers gilt als Marktführer bei bildgebenden Verfahren wie Computer-Tomografie (CT), will aber auch in Wachstumssegmente wie die Molekulardiagnostik investieren.

Die Weichen für die Zukunft sind also gestellt, das Traditionsunternehmen befindet sich in einem fortwährenden Veränderungsprozess. Für 2018 rechnen Analysten im Durchschnitt mit einem Gewinn von 8,15 Euro je Anteilsschein, was ein KGV von 13 bedeutet. Verglichen mit dem 10-Jahres-Durchschnitt, der einen Wert von 15,1 aufweist, ist das günstig. Aktuell beträgt das KGV 17, während die Dividendenrendite für das Geschäftsjahr 2015/16 bei 2,9 Prozent liegt. Die US-Investmentbank Goldman Sachs ist dennoch skeptisch und rät zum Verkauf der Aktie. Das Kursziel wurde von 118 Euro auf 100 Euro gesenkt. Der überdurchschnittliche Kursanstieg der Aktie seit März 2016 sei gerechtfertigt gewesen, da der Elektrokonzern den Renditerückstand zur Konkurrenz fast aufgeholt habe, schrieb Analystin Daniela Costa in einer Studie. Doch nun sieht er nur noch wenig Spielraum für weitere Kostensenkungen und rechnet mit sinkenden Konsensschätzungen. Die Baader Bank hingegen rät zum Kauf der Aktie und belässt das Kursziel 125 Euro. Analyst Günther Hollfelder rechnet laut einer Studie mit einer ordentlichen Umsatz- und Ergebnisentwicklung des Elektrokonzerns.

Die jüngsten Zahlen belegen: Siemens ist dabei auf dem richtigen Weg. Während der Umsatz um ein Prozent auf 19,1 Milliarden Euro anstieg, kletterte der Gewinn nach Steuern im ersten Quartal um ein Viertel auf 1,9 Milliarden Euro. Somit wächst Siemens trotz des schwierigen Umfeldes weiter aus eigener Kraft. Anders sieht es beispielweise bei Erzrivale General Electric aus. Der US-amerikanische Mischkonzern musste im Zeitraum von Oktober bis Dezember einen Rückgang der Erlöse um zwei Prozent auf 33,1 Milliarden Dollar hinnehmen. Und auch der Schweizer ABB-Konzern kann derzeit kein Wachstum vermelden. Siemens-Chef Joe Kaeser bricht dennoch nicht in Euphorie aus: „Wir sind gut beraten, auf dem Boden und bescheiden zu bleiben“, kommentiert er das positive Zahlenwerk seines Unternehmens nüchtern. Zwar bereiten ihm die schwächelnde Konjunktur in wichtigen Märkten sowie ein Rückgang der neu aquirierten Großaufträge im Vergleich zum Vorjahresquartal Sorgen.

Doch angesichts einer Marktkapitalisierung, die pünktlich zur Hauptversammlung am 1. Februar die Marke von 100 Milliarden Euro überflügelte, könnte die Stimmung des Vorstandsvorsitzenden eigentlich ausgelassener sein. Zumal das operative Ergebnis im industriellen Geschäft – diese Kennziffer gilt als eine der bedeutsamsten überhaupt- im ersten Quartal 2016/17 um 26 Prozent auf 2,5 Milliarden Euro kletterte. Das entspricht einer Umsatzrendite von 13 Prozent nach 10,4 Prozent im Vorjahreszeitraum. Als Folge hebt Siemens seine Prognose für das Gesamtjahr deutlich an: Auf 11 bis 12 Prozent statt bisher 10,5 bis 11 Prozent. Für das laufende Geschäftsjahr 2017 rechnen die Münchner nun mit einem Gewinn je Aktie von 7,20 bis 7,70 Euro. Ausgesprochen stark ist zudem die Eigenkapitalrendite von 24 Prozent und die EBIT-Marge von 11 Prozent. Folglich hebt die Commerzbank ihr Kursziel für Siemens von 112 Euro auf 121 Euro an. Die Rentabilität des Elektrokonzerns und auch der Geldumschlag seien im ersten Geschäftsquartal herausragend gewesen, so die Analysten in ihrer Einschätzung. Die Anhebung des Jahresgewinnziels 2016/17 sei nach dem Quartalsausweis stimmig.