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Nach Gewinneinbruch: Spürt Amazon die Grenzen des Wachstums?

Im dritten Quartal verdient Amazon deutlich weniger, als von Analysten erwartet. Und ausgerechnet im so wichtigen Cloud-Geschäft schwächelt das Wachstum. Jeff Bezos derweil will längst neue Umsatztreiber entdeckt haben. Und macht da weiter, wo er nie aufgehört hat.

BÖRSE am Sonntag

Im dritten Quartal verdient Amazon deutlich weniger, als von Analysten erwartet. Und ausgerechnet im so wichtigen Cloud-Geschäft schwächelt das Wachstum. Jeff Bezos derweil will längst neue Umsatztreiber entdeckt haben. Und macht da weiter, wo er nie aufgehört hat.

Schon zum zweiten Mal in Folge überrascht Amazon Analysten und Aktionäre mit einem deutlichen Ergebniseinbruch. Zum ersten Mal seit 2017 ist der Quartalsgewinn dazu im Jahresvergleich gesunken. Um 28 Prozent auf 2,1 Milliarden US-Dollar. Das operative Ergebnis ging von 3,7 auf 3,2 Milliarden Dollar zurück, der Gewinn je Aktie lag bei 4,23 Dollar. Experten waren im Schnitt von 4,59 Dollar ausgegangen. Höhere Kosten und teure Investitionen verlangen ihren Tribut. Dazu enttäuscht der Ausblick auf das Schlussquartal. Kletterte der Umsatz im abgelaufenen Vierteljahr noch um starke 24 Prozent auf 70 Milliarden Dollar, soll er in den letzten drei Monaten des Jahres zwischen 80 und 86,5 Milliarden Dollar liegen. Analysten waren von einer deutlich optimistischeren Prognose ausgegangen.

Folglich kassierten viele Experten ihre Kursziele. Die Investitionen in das Cloud- und Prime-Geschäft hätten den Gewinn stärker gedrückt, als erwartet, schrieb JPMorgan-Analyst Douglas Anmuth und senkte seine Kursprognose von 2.300 auf 2.200 Dollar ab. Derzeit kostet das Amazon-Papier 1.766 Dollar. Das Aufwärtspotenzial wäre damit immer noch groß. Goldman Sachs-Analyst Heath Terry senkte seine Erwartungen ebenfalls. 2.200 statt 2.350 Dollar lautet nun sein Kursziel. Die Abschwächung des Wachstums von Tochter AWS schüre Sorgen um einen zunehmenden Wettbewerb, schrieb Terry in einer Studie.

Diesen Wettbewerb treibt vor allem Microsoft an. Deren Cloud-Plattform Azure gilt Amazons AWS-Sparte als größter Konkurrent. Und inzwischen wächst jene spürbar schneller. Legten die AWS-Umsätze im dritten Quartal um 35 Prozent zu, stiegen die von Azure um 59 Prozent. Auf niedrigerem Niveau freilich, dennoch besteht für Amazon auf Dauer Gefahr die Marktführerschaft an Microsoft zu verlieren. Den lukrativen, bis zu neun Milliarden Dollar schweren Auftrag des US-Verteidigungsministeriums bekam nun auch der Konzern mit Sitz in Redmond und nicht der mit Sitz in Seattle.

Gleichzeitig erfährt Amazon auch in Sachen Online-Handel so etwas wie Konkurrenzdruck. Das Image des Großkonzerns schließlich gilt seit längerem nicht als das beste, was neuen Playern wie dem US-Einzelhandelsgiganten Walmart hilft. Der baut sein Online-Angebot derzeit massiv aus und schöpft Marktanteile ab.

Aktie auf Jahressicht im Minus

Die Anzeichen verdichten sich also, dass die eine oder andere Stellschraube in Amazons Konzernreich nicht mehr ganz so fest sitzt, wie sie es schon einmal tat. Das sahen offenbar auch Anleger so, die der Aktie des Online-Riesen nach Zahlenverkündung einen herben Kursverlust von rund acht Prozent beibrachten. Auch wenn sich das Papier davon inzwischen beinahe vollständig erholt hat, steht der Aktienkurs auf Jahressicht mit 1,1 Prozent im Minus. Für Amazon-Aktionäre ein seltener Anblick. Im Dreimonatszeitraum sind es sogar elf Prozent.

Bleibt bloß die Frage: Spürt selbst Amazon, dieser beinah unantastbar erscheinende Wachstumsgigant allmählich die Grenzen eben jenen Wachstums? Müssen sich auch Amazon-Anleger in Zukunft damit abfinden, dass die Zeit der großen, fast unheimlich erscheinenden Umsatz- und Ergebnissprünge vorbei ist? Oder handelt es sich doch nur um eine zwischenzeitliche Delle in Kurs und Bilanz, um eine kurze Verschnaufpause, die womöglich gar zum Einstieg lockt?

Tatsächlich muss Amazon in Zukunft mehr Konkurrenzdruck aushalten. Früher in vielen Bereichen mehr oder minder allein auf weiter Flur, oft in der First-Mover-Position, bieten dem Internet-Giganten inzwischen immer mehr Firmen Paroli. Dazu ist Amazon an der Börse extrem hoch bewertet. Die Marktkapitalisierung beträgt umgerechnet 790 Milliarden Euro, der KGV-Wert liegt bei 83. Und das obwohl Amazon inzwischen – trotz der Einbußen in den vergangenen beiden Quartalen – zur Gewinnmaschine geworden ist. Die Erwartungen sind riesig, weshalb kleinste Verfehlungen zu Kurseinbrüchen führen können. Wer auf kurze Sicht anlegt, darf deshalb wohl mit einer hohen Volatilität rechnen und sollte starke Nerven haben.

Amazons Investitionsgier ist einmalig

Auf die lange Frist gesehen, könnte sich dagegen etwas abspielen, was Kenner der Amazon-Aktie in der Vergangenheit schon oft haben beobachten dürfen. Eher enttäuschende Quartalsergebnisse, freilich gekoppelt an die stets hohen Erwartungen, hat der Konzern um Gründer und CEO Jeff Bezos schließlich schon häufiger präsentiert. An der Börse ging es für den Konzern daraufhin öfters bergab. Allerdings hat sich die Aktie ein ums andere Mal erholt. Sogar mehr als das. Als ihr Kurs im zweiten Halbjahr 2017 nach schwachen Ergebnissen von 1.050 auf 950 Dollar fiel, erholte er sich innerhalb kürzester Zeit und stieg in den darauffolgenden Monaten auf über 2.000 Dollar. Im Herbst 2018 folgte erneut ein Einbruch. Im Rahmen der allgemeinen Marktturbulenzen zu diesem Zeitpunkt fiel er besonders heftig aus. Die Aktie kostete zwischenzeitlich weniger als 1.400 Dollar. Nicht einmal ein Jahr benötigte der Kurs, um wieder über die 2.000 Dollar-Marke zu klettern.

Diese Stehaufmännchen-Mentalität per Excellence ist der Tatsache geschuldet, dass Jeff Bezos sich stets treu geblieben ist. Der reichste Mensch der Welt hat Investitionen in die Zukunft schon immer mehr Wert beigemessen als kurzfristigen Gewinnsteigerungen. Einer EY-Studie nach bleibt Amazon der Konzern mit den weltweit höchsten Investitionen. Schon 2018 ganz vorn, investieren die Amerikaner mit 24,4 Milliarden Dollar in diesem Jahr noch einmal knapp 30 Prozent mehr. Eine Summe, die sich einige Konkurrenten wünschen würden an Umsatz zu erzielen.

Nun also schwächeln Gewinn und Aktie wieder. Aus genau jenem Grund. Bezos investiert kräftig in das Prime-Angebot seines Konzerns. Lieferungen innerhalb eines Tages sollen zur Normalität werden. Ein kostenintensives Unterfangen. Allein im laufenden, vierten Quartal sind dafür 1,5 Milliarden Dollar eingeplant.

Auf Dauer könnten sich die Investitionen auszahlen. Die Initiative erweise sich bereits als Umsatztreiber, schrieb JPMorgan-Experte Anmuth. Jeff Bezos ist ohnehin überzeugt: „Die Prime-Kunden lieben den Wechsel auf die eintägige Lieferung“, sagte er. „Sie haben dieses Jahr bereits Milliarden Artikel mit kostenloser Eintages-Lieferung bestellt.“

Fazit

Damit bleibt als Fazit. Kurzfristig steigen bei Amazon mal wieder die Kosten. Dazu bekommt die Cloud-Sparte als zuverlässige Gewinnmaschine den Atem der Konkurrenz zu spüren. Und auch im Online-Handel oder im Video-On-Demand-Bereich tauchen immer mehr ernstzunehmende Wettbewerber auf. Auf kurze Sicht könnte darunter weiter der Gewinn leiden. In Teilen auch das Umsatzwachstum. Langfristig scheint bei Amazon dagegen alles beim Alten: Lieber wird zu viel investiert, als zu wenig. Kein Trend soll verpasst werden. Konkurrenten zur Not mit noch besseren Angeboten und Kampfpreisen aus dem Markt gedrängt werden. Für den Moment mag Amazon also die Grenzen des Wachstums spüren, in Zukunft scheint für den Konzerngiganten weiterhin vieles möglich. Auch an der Börse.

Oliver Götz