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Nachhaltiges Investieren: Jetzt wollen Rüstungsfirmen dazu gehören

Ehemals geächteten Rüstungsaktien erleben einen Boom, Aktien konventioneller Energieversorger eine Renaissance. Der Megatrend nachhaltiger Anlage landet auf dem Boden neuer Tatsachen. Schon fragen die ersten Investoren: Ist Landesverteidigung nicht ein besonders nachhaltiges Investment?

Christine Lambrecht (SPD), Bundesverteidigungsministerin, spricht vor einem Eurofighter mit einem Piloten (Bild: picture alliance/dpa | Christophe Gateau)

Ehemals geächteten Rüstungsaktien erleben einen Boom, Aktien konventioneller Energieversorger eine Renaissance. Der Megatrend nachhaltiger Anlage landet auf dem Boden neuer Tatsachen. Schon fragen die ersten Investoren: Ist Landesverteidigung nicht ein besonders nachhaltiges Investment?

Alle waren sie draufgesprungen auf den ESG-Zug. ESG – das steht für Environmental, Social and Corporate Governance und ist eine Bewertung der kollektiven Gewissenhaftigkeit eines Unternehmens für sein soziales und ökologisches Engagement. Nur wer hier etwas vorweisen kann, sei investitionswürdig hieß es von Banken, Börsen und Beratern. „Vom Trend zur Notwendigkeit“, titelten die Berater von KPMG mit Blick auf ESG im vergangenen Jahr. „Notwendiger Trend oder Hype?“, fragte das Bankhaus Metzler rhetorisch und kam zu dem Schluss, dass der Trend nicht zu stoppen sei.

Ist das jetzt alles Schnee von gestern? An den Märkten sieht es jedenfalls so aus, als sei Klimawandel, Diversität und Nachhaltigkeit gestern gewesen, Sprit und Panzer sind es heute.
Passiert ist eine „Zeitenwende“, die sicher geglaubte Garantien, Verträge, ja eigentlich die gesamte Weltordnung in Frage stellt. Allen voran in Europa erfordert der russische Einmarsch in die Ukraine ein neues Sicherheitsdenken. Das bedeutet insbesondere für Deutschland eine Kehrtwende in der Verteidigungspolitik und in der Energieversorgung.

Der Nachhaltigkeitsboom, der die Börsen zuletzt erreicht hatte, wird damit auf eine harte Probe gestellt. Das Volumen nachhaltiger Fonds, die auf Basis der ESG-Kriterien das Geld ihrer Kunden anlegen, war in den vergangenen zwei Jahren regelrecht explodiert. Rendite machen und dabei ein gutes Gewissen haben, kam gut an bei Anlegern und eröffnete vielen Banken neue Vermarktungsmöglichkeiten. Immer mehr nachhaltige Fonds wurden deshalb in der jüngeren Vergangenheit aufgelegt. 2021 waren es weltweit fast 6000. Mancher Experte sprach schon von der „grünen Blase“. Denn auch, wenn viele Fonds wenig strenge Kriterien haben und sich damit beispielsweise in vielen nachhaltigen ETFs nach wie vor Aktien von Ölkonzernen befinden, hat eine Umschichtung stattgefunden. Neben „dreckigen“ Energieaktien, waren dabei ganz besonders Rüstungsaktien verpönt. Und während sich eine BP- oder Shell-Aktie über den Best-in-Class-Ansatz hier und da gerade noch in ESG-Fonds unterbringen lies, gab es für viele Rüstungskonzerne wirklich keine Argumente.

Vertreter der Rüstungsindustrie selbst berichteten, dass sie Schwierigkeiten hatten, Kredite zu erhalten, da Banken ESG-Bedenken hatten. Der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall, Armin Papperger, sagte im Januar gegenüber Medien, dass sein Unternehmen etwa von der Landesbank Baden-Württemberg und der BayernLB aufgrund ihrer ESG-Bedenken von der Kreditvergabe ausgeschlossen worden sei.

Nun erlebt ausgerechnet diese Anlageklasse ihr Comeback – und liefert Argumente als investitionswürdig in die ESG-Kriterien aufgenommen zu werden. Nach Ansicht der BDSV jedenfalls, einer Lobbygruppe der deutschen Rüstungsindustrie, ist der Einmarsch Russlands in die Ukraine von großer Bedeutung für die Frage der sozialen Nachhaltigkeit in Europa. „Der Einmarsch zeigt, wie wichtig eine starke Landesverteidigung ist”, sagt Hans Christoph Atzpodien, Leiter des BDSV. „Ich appelliere an die EU, die Rüstungsindustrie als positiven Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit im Rahmen der ESG-Taxonomie anzuerkennen.”

Damit setzt das große Umdenken ein. Erste ESG-Experten sehen den Angriff Russlands auf die Ukraine als einen Beleg dafür, dass viele Asset Manager Kriegsrisiken systematisch ausgeblendet haben. Der zentrale Gedanke hinter der Idee des nachhaltigen Anlegens sei ja eigentlich, Investitionen vor Risiken zu schützen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Versäumnisse von Vermögensverwaltern und Datenanalyse-Firmen bei der Bewertung von Kriegsrisiken offengelegt, sagt ESG-Experte Sasja Beslik gegenüber der Financial Times. Beslik war bis vergangenen Sommer zuständig für nachhaltige Geldanlage bei der brasilianisch-schweizerischen Privatbank J. Safra Sarasin. Der Krieg zeige, dass ESG-Investoren versagt hätten, meint Beslik. Georgia Stewart, Geschäftsführerin von Tumelo, einem Anbieter von Technologien für verantwortungsbewusstes Investieren, sagte „Rüstungsunternehmen und Unternehmen für fossile Brennstoffe wird es geben, egal ob die Guten in sie investieren oder nicht. Wichtig ist, dass sie von verantwortungsbewussten Aktionären, die sich mit den Vorständen auseinandersetzen, streng kontrolliert werden.“

Nicht nur politisch vollzieht sich in Deutschland also gerade eine 180 Grad-Wende. Auch an den Märkten bahnt sie sich an. Schließlich will niemand alte Moral und neue Rendite zu weit auseinanderdriften lassen.          

Oliver Stock

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