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Wirecard-Fiasko: Anlegern droht der Totalverlust

Bei Wirecard verdichten sich die Hinweise auf einen gigantischen Betrugsfall. Es geht um gefälschte Dokumente, falsche Unterschriften und fast zwei Milliarden Euro. Die Aktie stürzt ins Bodenlose. Die Existenz des Unternehmens steht auf dem Spiel – CEO Markus Braun tritt zurück.

Gegenstand eines Wirtschaftskrimis: Die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München. (Foto: Rico Markus / Shutterstock)

Bei Wirecard verdichten sich die Hinweise auf einen gigantischen Betrugsfall. Es geht um gefälschte Dokumente, falsche Unterschriften und fast zwei Milliarden Euro. Die Aktie stürzt ins Bodenlose. Die Existenz des Unternehmens steht auf dem Spiel – CEO Markus Braun tritt zurück.

Als Wirecard im Herbst 2018 den Sprung in den Dax schaffte und die Commerzbank aus eben diesem verdrängte, da überstrahlte die Aktie der Aschheimer am deutschen Börsenhimmel so gut wie alles. Der Kurs explodierte auf fast 200 Euro und der Bezahldienstleister wurde zur großen deutschen Tech-Hoffnung. Viele Voraussetzungen, um zu einem führenden Global Player im riesigen Wachstumsmarkt der Zahlungsabwicklungen zu werden, waren gegeben. Gewinne und Umsätze stiegen rasant, eine vielversprechende Kooperation folgte der nächsten. Analysten und Experten prophezeiten Unternehmen wie Aktie eine große Zukunft, viele Privatanleger sprangen auf. Ein möglicher deutscher Tech-Champion – es klang verlockend. Und wie auch nur hätte man ahnen können, was folgen sollte.

Es begann mit Bilanzfälschungs-Vorwürfen der Financial Times, die über Monate hinweg weder bestätigt noch widerlegt werden konnten. Das machte Wirecard schon vor über einem Jahr zum Spielball von Hedgefonds und wuchs sich mit zunehmender Dauer zu einer Glaubwürdigkeitskrise aus. Schon zu diesem Zeitpunkt war eigentlich klar: Diese Aktie ist nichts mehr für den „kleinen Mann“. Zu viel Risiko, zu viel Spekulation. Aber wer hoch eingestiegen war, wollte so schnell nicht raus, ebenso lockten die niedrigeren Kurse bei dem nach wie vor großen Wachstumspotenzial immer wieder zum Einstieg. Und wie auch nur hätte man ahnen können, was noch folgen sollte.

Die von Wirecard selbst bei KPMG in Auftrag gegebene Sonderprüfung der Bilanz, um die Vorwürfe endgültig auszuräumen, endete im Desaster, da sie nichts ausräumen konnte. Im Gegenteil: KPMG warf Wirecard sogar mangelnde Kooperationsbereitschaft vor. Das schickte die Aktie gemeinsam mit der mehrmaligen Verschiebung der Bilanzveröffentlichung endgültig auf Talfahrt. Das Vertrauen in die Führungsetage des Unternehmens war bei Investoren dahin. Und dennoch, die Hoffnung auf Aufklärung, sie war noch da. Und wie auch nur hätte man ahnen können, dass das alles nur ein kleiner Anfang von dem war, was noch kommen sollte.

Treuhandkonten könnten tatsächlich nicht existieren

Was am 18. Juni passierte, war bis dato an der deutsche Börse ohne Beispiel. Anstatt wie geplant endlich die Bilanz des vergangenen Jahres zu präsentieren, ließ der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY) die ganz große Bombe platzen und verweigerte Wirecard das Testat unter der Bilanz mit der Begründung, es gebe keine ausreichenden Prüfungsnachweise für Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme. Dazu soll es Hinweise darauf geben, dass EY von einem Treuhänder oder aus dem Bankenbereich, wo die Konten liegen, „unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden“.

So wurde innerhalb eines Tages aus einer Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise eine Existenzkrise. Anleger flüchteten in Scharen aus den Papieren des Zahlungsabwicklers, zwischenzeitlich gab die Aktie um über 70 Prozent nach. Tags drauf fiel der Kurs erneut um fast 50 Prozent. So verdichteten sich nämlich die Anzeichen, dass die Treuhandkonten tatsächlich nicht existieren. Die philippinische Bank BDO Unibank, bei der eines der Konten angeblich liegen soll, stellte schließlich fest: „Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt.“

Die Konkurrenzfähigkeit ist wohl langfristig dahin

Nicht einmal Schnäppchenjäger konnten sich also noch für die Aktie begeistern. Im freien Fall stürzte der Kurs auf rund 20 Euro ab und damit auf ein Zehntel seines Wertes aus dem September 2018. Die Hinweise auf einen riesigen Betrugsfall verdichten sich zunehmend. „Die Anleger fliehen aus der Aktie. Es droht der Rückzug von Kunden und die Kündigung von Krediten, was zu finanziellen Engpässen führen könnte“, erklärte Robert Halver, Marktstratege bei der Baader Bank. Kurzfristig könne der Worst Case einer Zahlungsunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden, wenn die Banken ihre Außenstände einforderten, schrieb Oddo BHF-Analyst Stephane Houri. Zunächst unwahrscheinlich, ist der drohende Verlust jedweder Konkurrenzfähgikeit das weit größere Problem. „Die Aktien der Wirecard-Konkurrenten gehören in diesen Stunden nicht umsonst zu den Gewinnern an der Börse“ schriebt Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst CMC Market, in einem Kommentar. Neue Kunden werden jetzt wohl die Konkurrenz bevorzugen. Ein Bezahldienstleister, der seine eigenen Finanzen nicht im Griff hat, das ist schlicht eine Marketing-Vollkatastrophe. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die gesamte Branche durchstartet. Was Wirecard jetzt verpasst, könnte für immer verpasst sein.

Eine existenzbedrohende Krise

Selbst, wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass das Unternehmen tatsächlich, wie von seinem inzwischen zurückgetretenen Chef Markus Braun mehrmals betont, „Opfer eines gigantischen Betrugs“ geworden ist. „Dass sich nun sogar das Finanzministerium einschaltet und betont mit der BaFin und Bundesbank an dem Fall zu arbeiten, lässt die Deutung zu, dass doch etwas mehr hinter einer solchen Version stecken könnte“, meint Stanzl. Derzeit aber gehe die Börse vom Schlimmsten aus. „Die Spekulationen gehen dahin, dass die Aktie vom Handel ausgeschlossen werden könnte, wenn Wirecard eine Schuld oder Mitschuld gegeben würde. Anleger, die dann die Aktie noch besäßen, würden zunächst vielleicht längere Zeit keinen Preis für ihre Papiere bekommen und nicht wissen, was am Ende von ihrem Investment noch übrigbleibt.“ Die weitere Mitgliedschaft im DAX ist daneben mehr als fraglich. „Der Skandal weitet sich zu einer existenzbedrohenden Krise aus“, kommentierte Analyst Wolfgang Donie von der NordLB.

Der einst so hell strahlende Börsen-Stern, der zuletzt schon stark verblasste, er droht nun ganz vom Himmel zu stürzen und zu verglühen. Das wäre nicht nur für Wirecard und die Anleger das größte anzunehmende Desaster, es wäre auch für Tech-Deutschland ein Debakel.

OG

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