Das Flaggschiff liegt auf Grund
Nicht einmal im ersten Jahr der weltweiten Finanzkrise war sie so wenig wert: Nach einem heftigen Kursrutsch zum Wochenstart ist die Aktie der Deutschen Bank endgültig am Tiefpunkt angelangt. Grund sind unter anderem eine drohende Milliardenstrafe in den USA – und Angela Merkel. Auch andere Banken trifft es schwer.
Nicht einmal im ersten Jahr der weltweiten Finanzkrise war sie so wenig wert: Nach einem heftigen Kursrutsch zum Wochenstart ist die Aktie der Deutschen Bank endgültig am Tiefpunkt angelangt. Grund sind unter anderem eine drohende Milliardenstrafe in den USA – und Angela Merkel. Auch andere Banken trifft es schwer.
Tiefrot ist der Montag: Die Aktie der Deutschen Bank stürzt zum Wochenstart um sechs Prozent ab und erreicht zwischenzeitlich einen historischen Tiefstwert von 10,63 Euro. In einem DAX mit 30 Verlierern steht die größte deutsche Bank damit am untersten Ende – wieder einmal. Zuletzt hatte bei Anlegern die Nachricht für Entsetzen gesorgt, dass die Bank in den USA womöglich 14 Milliarden Dollar Strafe für fragwürdige Hypothekengeschäfte zahlen muss. Die Immobiliendeals hatten zum Zusammenbrechen des amerikanischen Häusermarkts 2008 und damit zur weltweiten Finanzkrise beigetragen.
Ein Jahrzehnt des Niederganges
2007 war die Welt noch in Ordnung. Josef Ackermann war Vorstandsvorsitzender, sein Wort hatte Gewicht. Angela Merkel ließ es sich nicht nehmen, zu seinem 60. Geburtstag einen Empfang im Kanzleramt zu geben. Wie lange ist das her! Die Bundeskanzlerin steht heutzutage trotz der anhaltenden Misere der Deutschen Bank nicht als Retterin zur Verfügung, und so kursiert in der Branche bereits das Wort von der „riskantesten Bank der Welt“.
Wie der „Focus“ berichtet, signalisierte Angela Merkel dem Bankchef John Cryan bei einer vertraulichen Zusammenkunft im Sommer, dass von der Bundesregierung keine Hilfen zu erwarten seien. Die Deutsche Bank ließ wiederum mitteilen, dass Cryan die Kanzlerin „zu keinem Zeitpunkt“ darum gebeten habe, „dass die Regierung im Hypothekenverfahren mit dem amerikanischen Justizministerium interveniert.“ In der Finanzkrise von 2008 hatte die Deutsche Bank in Berlin für Staatshilfen in der Branche geworben, selbst aber dann keine in Anspruch nehmen wollen. Das säte Zwietracht zwischen Regierung und Geldhaus.
Die prekäre Entwicklung des Aktienkurses lässt jetzt die Debatte aufkochen, ob Deutschland im Zweifelsfall bereit wäre, die Bank zu stützen. „Die Deutsche Bank ist fest entschlossen, ihre Herausforderungen alleine zu lösen", sagt ein Banksprecher. Und Investoren sind gewiss, dass im Fall der Fälle der Staat bereitstünde. Doch es gibt eben auch die europäischen Regeln, wie Gläubiger an Rettungen beteiligt werden müssen. Das schürt Unsicherheit. Dabei könnte der Bank ein wenig Hilfe in den Verhandlungen mit den US-Behörden gar nicht schaden. Denn die angedrohten 14 Milliarden Dollar wären für das Institut ein regelrechtes Desaster, übersteigen sie ihre Rückstellungen doch um mehr als das Doppelte.
Selbst wenn sich die Summe in den noch am Anfang stehenden Verhandlungen noch drücken lässt – so günstig wie die US-Bank Goldman Sachs kommt die Deutsche Bank wohl nicht weg. Vom Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert hieß es dazu, dass sich das US-Justizministerium in der Vergangenheit mit anderen Kreditinstituten auf Vergleiche geeinigt habe. Die Regierung gehe daher davon aus, „dass auch am Ende dieses Verfahrens auf Grundlage der Gleichbehandlung ein faires Ergebnis erzielt wird“. Das Treffen mit John Cryan bestätigte Seibert hingegen nicht.
Pleiten, Pech und IT-Pannen
Was jedoch kann „fair“ bedeuten für eine Bank, die lange das deutsche Aushängeschild auf dem internationalen Finanzmarkt war und den Status eines „Flaggschiffs“ innehatte? Die im vergangenen Jahr jedoch einen neuen Tiefpunkt erreichte und den mit 6,7 Milliarden Euro größten Verlust in ihrer Geschichte verzeichnete? Die Anleger an der Börse scheinen darauf keine Antwort zu haben und ebenso wenig Vertrauen in eine schnelle Erholung der Bank. Aktuell beläuft sich der Börsenwert des Konzerns auf weniger als 15 Milliarden Euro, hat sich in den vergangenen zwölf Monaten also mehr als halbiert. Doch nicht nur auf der großen Bühne kann das Geldhaus nicht mehr überzeugen: Wie Ende der vergangenen Woche bekannt wurde, waren Kunden der Deutschen Bank zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate von einer IT-Panne auf ihrem Konto betroffen.
Im Juni waren über 13 Millionen Buchungen von 2,9 Millionen Kunden falsch angezeigt worden, das Ausmaß der jüngsten Störung ist noch unklar. Zudem verlor die Bank kürzlich ihren Platz in den Top 5 der größten Investmentbanken der Welt, die nun zu hundert Prozent US-amerikanisch sind. Doch die Deutsche Bank ist mit ihrer Krise nicht allein. Im Schatten ihres Absturzes siechen andere große Namen dahin. Etwa die Commerzbank, zweite Bankengröße im DAX und am Montag ebenfalls großer Verlierer mit einem Minus von über drei Prozent. Auch sie hat seit Jahresbeginn massiv an Börsenwert eingebüßt und wird vom Hauch der Krise umweht.
Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zufolge könnte in der Bank eine fünfstellige Zahl von Stellen gefährdet sein, aufgelöst werden soll vermutlich die Sparte für den Mittelstand. Ein groß angelegter Filialenabbau analog zur Deutschen Bank steht bisher jedoch nicht im Maßnahmenkatalog für Einsparungen. Die Commerzbank hatte im Zuge der Finanzkrise staatliche Hilfe in zweistelliger Milliardenhöhe erhalten und diese Stück für Stück zurückgezahlt. Daher war erwartet worden, dass auch der Deutschen Bank im Moment der schweren Krise unter die Arme gegriffen wird.
Auch andernorts: Der Bankensektor ächzt und leidet
Für Analyst Jasper Lawler von CMC Markets haben die Forderungen der US-Behörden das Potenzial, die Deutsche Bank über die Klippe springen zu lassen. Sie habe als eine der „systemrelevanten“ europäischen Banken eine der schwächsten Kapitalpositionen. Das schreckt Anleger ab, eine Kapitalerhöhung wird immer wahrscheinlicher. Doch auch für andere Banken wird die Luft stetig dünner. In der Schweiz leidet der Aktienindex SMI unter den Verlusten der Großbanken UBS (minus drei Prozent) und Credit Suisse (minus 2,7 Prozent). UBS gehört zu einer Reihe von Banken, die die Finanzbehörden in Nordrhein-Westfalen ins Visier genommen haben.
Wie der Rechercheverbund aus NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ herausfand, prüfen die Fahnder sogenannte „Cum-Ex“-Geschäfte von mehr als 20 Instituten in den USA, Großbritannien, der Schweiz und Frankreich. Darunter sollen JP Morgan, Morgan Stanley, Barclays, HSBC, BNP Paris und UBS sein. Die Deals, die sich ein mittlerweile geschlossenes Steuerschlupfloch zunutze machten, wurden bislang nicht eindeutig als illegal eingestuft. Dennoch dürften auch diese neuerlichen Ermittlungen das Ansehen so mancher Bank beschädigen.
Insgesamt steht die Bankenbranche unter gehörigem Druck. Die Geldpolitik der EZB etwa konnte die schwache Wirtschaftsdynamik in Europa bislang nicht anfachen. John Cryan äußerte jüngst: „Unternehmen halten sich aufgrund der anhaltenden Unsicherheit mit Investitionen zurück und fragen kaum mehr Kredite nach.“ Diese Entwicklung schadet auch dem Geschäft seiner Bank, was Milliardenstrafen wie in den USA noch empfindlicher macht. Es ist nicht auszuschließen, dass das einstige stolze Flaggschiff Deutsche Bank auch in diesem Jahr wieder Verluste schreibt und weiter auf Grund liegt. Für die Formulierung von Zukunftsaussichten bietet sich statt der Farbnuance „rosig“ erneut das heutige „tiefrot“ an. Anleger müssen auf einen baldigen Erfolg der Reformbemühungen und auf das Verhandlungsgeschick gegenüber den US-Behörden hoffen – ganz ohne Merkel.
Marius Mestermann