Ashley Mear entschlüsselt Rituale der Superreichen
Die US-Soziologin Ashley Mears, selbst Ex-Top-Model, hat sich in die Rituale der Super-Reichen eingeschlichen, deren Vermögen auch in Pandemie-Zeiten noch wächst. Ergebnis: Frauen werden wie Kapital behandelt, das den eigenen Reichtum unterstreicht.
Die US-Soziologin Ashley Mears, selbst Ex-Top-Model, hat sich in die Rituale der Super-Reichen eingeschlichen, deren Vermögen auch in Pandemie-Zeiten noch wächst. Ergebnis: Frauen werden wie Kapital behandelt, das den eigenen Reichtum unterstreicht.
Von Oliver Stock
Die Beschreibung ist lebhaft: „Von da aus, wo ich stand, sah die Menge riesig aus, vielleicht tausend Menschen, meistens weiß, meistens jung, mehr als die Hälfte Frauen ... Unser Tisch war voll gestapelt mit großen Behältern, die mit Flaschen Schnaps und Champagner, ein wenig Evian-Wasser und Säften gefüllt waren. Und natürlich diese Reihen von Champagnerflöten und Gläsern. Fast jeder hielt einen Drink in der Hand."
Ashley Mears erzählt von ihren Undercover-Ausflügen. Die Soziologie-Professorin an der Universität Boston war bis vor zehn Jahren erfolgreiches Top-Model. Inzwischen forscht sie und schreibt Bestseller. Objekt ihre Untersuchungen: die Superreichen. Ihr jüngstes Buch hat in den USA stärker eingeschlagen als jede neue Enthüllung über den Präsidenten. Vom Wirtschaftsmagazin „Forbes“ bis zur ehrwürdigen „New York Times“ berichten die US-Medien über „Very impotant people: status and beauty in the global party circuit“. Für dieses Werk hat sich Mears - ganz in der Manier des deutschen Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff – in eine andere Welt begeben, zurück in ihre Zeit als Model.
Die beschriebene Szene könnte überall sein: New York, Hongkong, Monaco, Zürich, München. Der Ort spielt keine Rolle. Es sind Ausgaben in einer Größenordnung, die für mehr als 99 Prozent der Menschen unvorstellbar sind, die in so einem Club in einer Nacht über den Tresen fließen. Wie ist es möglich, 100 000 Dollar oder sogar eine Million in einer einzigen Nacht in einem Club auszugeben, fragt sich Mears.
Weltweites Vermögen wächst weiter
Ganz so abwegig ist ihre Fragestellung nicht. Noch das vergangene Jahr lief hervorragend für die Vermögenden. Der „Global Wealth Report“ den die Boston Consulting Group (BCG) alljährlich vorlegt, listet auf, dass das private Vermögen 2019 um zehn Prozent auf 226,4 Billionen US-Dollar gewachsen ist. Zum privaten Vermögen gehören Aktien, Anleihen, Fonds und Lebensversicherungen sowie Bargeld-Guthaben, Immobilien und physisches Gold zählen in dieser Statistik nicht dazu. Weltweit verfügen Privatpersonen nur in vier Ländern über mehr Vermögen als in Deutschland: Das sind die USA, China, Japan und Großbritannien. 2400 Menschen in Deutschland besitzen der Studie zufolge mehr als 100 Millionen Dollar.
Sie alle sind in der Lage, Summen wie Mears sie gezählt hat, mit leichter Hand auszugeben. Allerdings nicht da, wo Menschen zuschauen, die sich daran stören könnten. Das Leben der „big spender“ findet hinter fest verschlossenen Türen statt, hat Mears erfahren. „Auf dem globalen Party-Zirkus zeigen sich 0,1 Prozent der Menschen, die diese extreme Verschwendung leben.“ Abgeschirmt von Türstehern und Eintrittsgeldern, die für niemanden außer für sie erschwinglich seien.
Extreme Verschwendung hinter verschlossenen Türen
Ashley Mears nutzt für ihr Buch ihre erste Karriere als Model für ihre zweite als Autorin. Sie war das, was bei den Partys lapidar „Mädchen" genannt wird. Ein „Mädchen" wird in diesem Fall als „jung (normalerweise 16 bis 25 Jahre alt), dünn und groß (mindestens 1,75 Meter ohne Absätze) beschrieben. „Sie sind typischerweise, wenn auch nicht ausschließlich weiß", schreibt Mears. Die meisten von ihnen seien Models oder Instagram-Influencer, werden von Veranstaltern gebucht, die sich Promotoren nennt. Die Promotoren werden von Clubs bezahlt, um die „Mädchen“ zu großen Partynächten zu bringen. Und dann beginne das große Geldausgeben.
Wettkampf der Superreichen
Reiche Menschen zum Ausgeben zu bewegen, sei eigentlich eine ziemlich komplexe Angelegenheit, weil gerade Vermögende gut wüssten, wie sie ihren Reichtum zusammenhalten. Tatsächlich, so erklärt Mears, bestehe der beste Weg, die Geldbörse eines Milliardärs zu öffnen, darin, ihn einen anderen Milliardär vor die Nase zu setzen. Wenn es zwei Superreiche gibt, die in Clubs „Wale“ genannt werden, platziert sie das Club-Personal an Tischen gegenüber, in der Hoffnung, dass ihr Ego einen Ausgabenkrieg befeuere. Mears bemüht einen Ausdruck des US-Anthropologen Frank Boas: „Potlach“ nannte er die Geschenkzeremonien der Stammesführer entlang des pazifischen Nordwestens der USA. Bei diesen Zeremonien vernichtete der Anführer oft Gegenstände aus dem eigenen Besitz wie etwa Kanus oder Zelte, um seinen Reichtum zu demonstrieren.
Die Reichen von heute seien nicht anders, argumentiert Mears. Bei den Ausgaben für VIP-Tische und Champagner „verliert der Gastgeber viel Reichtum, gewinnt aber bei seinen Kollegen Anerkennung." Kanus oder Champagner: Es sei am Ende das gleiche.
Dazu gebe es weitere Tricks: „Haben Sie sich jemals gefragt, warum VIP-Bereiche in Clubs über anderen stehen?“, fragt Mears. Ausgaben seien ein Zuschauersport. Was bringt es, wenn nicht jeder sehen könne, dass absurde Geldsummen für einen Abend ausgegeben werden? Aus dem gleichen Grund stellten Nachtclubs eigene überdimensionierte Flaschen mit im Dunkeln leuchtenden Etiketten und Namen wie „Nebukadnezar“ her. Diese kommen normalerweise mit Feuerwerk an VIP-Tische und würden von attraktiven „Mädchen“ hochgehalten. Die gesamte Zeremonie soll dem Käufer Anerkennung verschaffen, und die hat ihren Preis.
Die „Mädchen“ seien dabei die wirkliche Auszeichnung. „Kunden geben weniger Geld aus, wenn sie nur von Zivilisten umgeben sind", bemerkt Mears und benutzt damit die Clubsprache, in der „Zivilisten“ diejenigen genannt werden, die „weder hübsch noch reich genug" sind. Die Autorin, die an dieser Stelle als Soziologin auftritt, spricht von „Mädchenkapital“. Wer darüber verfüge, erhalte Einladungen zu den begehrtesten Partys. „Mädchen“ in der Interpretation von Mears werden damit zu einer Währung, die den Eintritt in Clubs, einen Platz bei Dinnerpartys oder Einladungen auf Yachten ermöglicht. Die These der Autorin: In einer Welt, in der Geld keine Rolle spielt, handeln Milliardäre mit „Mädchenkapital“. In einem Haus, in dem auch Mears verkehrte, stieß sie auf 20 solcher „Mädchen“, die ihrem Gastgeber „einen stetigen Strom von Einladungen zu den exklusivsten Partys in der VIP-Szene zusicherten".
Die „Mädchen“ machen mit, wobei sie auf Grenzen achteten. „Es ist möglich, mit Freunden abzuhängen und sich von jemandem sagen zu lassen: 'Du bist wunderschön', damit du für nichts bezahlen musst", sagt Nora in einem Interview mit Mears. Von den Männern, die sie interviewt habe, seien einige wegen ihrer Extravaganz in Konflikt mit sich selbst geraten, berichtet Mears. Einige bereuten es später. „Wissen Sie, wie viele Menschen ich in Afrika ernähren oder mit Wasser versorgen könnte mit dem Geld“, habe einer rhetorisch gefragt. Aus soziologischer Sicht sei ein solcher Lebensstil mehr und mehr tabu.
„Very important people" wurde vor der Coronavirus-Pandemie geschrieben, aber Covid-19 macht die Studie noch interessanter. Der Lockdown hat die Ungleichheit zwischen arm und reich weltweit vergrößert. Es sind oft die ärmeren Haushalte, in denen einer den Arbeitsplatz verliert und die Ersparnisse herhalten müssen. Den Vermögenden wird die Krise dagegen weniger anhaben, sagen die Forscher von BCG in ihrem Wealth Report voraus. Die meisten von ihnen haben ihr Geld so breit angelegt, dass selbst ein langfristiger Konjunktureinbruch in Folge der Corona-Krise nicht dazu führt, dass sie ärmer werden. Im Gegenteil: Selbst im schlimmsten Fall kommen die Prognoseszenarien der BCG-Forscher auf ein Wachstum der deutschen Privatvermögen von 2,5 Prozent in diesem Jahr.
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