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Sanofi: Maas rechnet mit ersten Impfstoff-Ergebnissen bis Spätsommer, mit Selbsttest-App bis Ende des Jahres

Sanofi zählt zu einem der vielversprechenden Unternehmen, die an einem Impfstoff gegen Covid-19 forschen. Der Sanofi-Vorstand Jochen Maas, einer der renommiertesten Pharmaforscher Deutschlands, ist sich sicher, dass im Spätsommer mit ersten Ergebnissen gerechnet werden kann. Zudem will das Pharma-Unternehmen einen Corona-Selbsttest via Smartphone bis Ende des Jahres auf den Markt bringen. Im exklusiven Interview mit der BÖRSE am Sonntag fordert Maas Verbesserungen der Forschungsbedingungen in Deutschland, deutlich bessere Kooperationen aller Forschungsinstitutionen und erklärt, wieso sein Unternehmen Produktionsketten jetzt wieder zurück nach Europa verlegt.

Impulsgeber der Pharmabranche: Jochen Maas, Sanofi-Vorstand, spricht auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2020 vor Spitzenpolitikern, CEOs und Medienmachern.

Sanofi zählt zu einem der vielversprechenden Unternehmen, die an einem Impfstoff gegen Covid-19 forschen. Der Sanofi-Vorstand Jochen Maas, einer der renommiertesten Pharmaforscher Deutschlands, ist sich sicher, dass im Spätsommer mit ersten Ergebnissen gerechnet werden kann. Zudem will das Pharma-Unternehmen einen Corona-Selbsttest via Smartphone bis Ende des Jahres auf den Markt bringen. Im exklusiven Interview mit der BÖRSE am Sonntag fordert Maas Verbesserungen der Forschungsbedingungen in Deutschland, deutlich bessere Kooperationen aller Forschungsinstitutionen und erklärt, wieso sein Unternehmen Produktionsketten jetzt wieder zurück nach Europa verlegt.

BÖRSE am Sonntag: Für Sie als Geschäftsführer der Bereiche Forschung und Entwicklung muss die Corona-Krise eine sehr herausfordernde und gleichzeitig beruflich spannende Zeit sein …

Jochen Maas: Ist es definitiv. Herausfordernd, weil wir einerseits mit den Beschränkungen durch COVID-19 intern umgehen müssen, aber gleichzeitig unsere Patienten weltweit mit unseren Arzneimitteln versorgen wollen. Unsere Produktion hat „durchgearbeitet“, den Forschungsbereich hatten wir für eine kurze Zeit heruntergefahren. Aktuell starten wir sowohl Labor- als auch andere Aktivitäten wieder, natürlich unter Beachtung aller Sicherheitsaspekte. Eine Situation, die für alle Neuland darstellt. Spannend ist die Zeit natürlich auch, denn die Suche nach wirksamen Arzneimitteln und noch mehr die nach einem Impfstoff ist für jeden Forscher eine Herausforderung, völlig egal ob dieser im akademischen, industriellen oder behördlichen Umfeld tätig ist.

Weltweit wird unter Hochdruck an einem Covid-19 Impfstoff geforscht. Bis wann kann realistisch damit gerechnet werden?

Die ersten Probanden wurden ja bereits behandelt, mit verschiedenen Ansätzen: mRNA-Vakzine, „klassische“ Impfstoffe, unspezifische Immunitäts-Inducer und passive Immunisierungsversuche. Mehr als 100 Firmen und Institutionen forschen hier aktuell und ich bin ziemlich sicher, dass bereits im Spätsommer erste Ergebnisse vorliegen werden. Das bedeutet aber leider noch nicht, dass dann schon ein Impfstoff für alle zur Verfügung steht. Man muss hier im Kopf haben, dass Impfstoffe im Gegensatz zu Medikamenten nicht Patienten, sondern gesunden Menschen appliziert werden. Dementsprechend sind die Sicherheitsanforderungen noch höher. Das gilt vor allem für die wissenschaftlich sehr attraktiven mRNA-Vakzinen. Denn bisher ist weltweit noch kein einziger Impfstoff dieser Art zugelassen. Und dann steht noch die Frage der Menge der zur Verfügung stehenden Impfdosen im Raum. Es reicht nicht, einen wirksamen Impfstoffkandidaten zur Verfügung zu haben. Er muss auch in ausreichender Menge produziert werden. Man muss sich die benötigte Menge einmal vor Augen führen. Sanofi produziert momentan über alle aktuell verfügbaren Impfstoffe hinweg etwa eine Milliarde Impfdosen pro Jahr. Dann kommt aber für Covid-19 eine Nachfrage von mehreren Milliarden Menschen on Top.

Forschung kostet Geld. Steigt das finanzielle Risiko mit der Forschungsgeschwindigkeit?

Mit steigender Geschwindigkeit steigt die Gefahr von Fehlschlägen. Die dürfen nie, wirklich nie, auf Kosten der Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten oder Impfstoffen gehen. Aber Fehlschläge kosten immer Geld, deshalb versuchen wir alles Mögliche, diese zu vermeiden. Vielleicht steigt so mit der Forschungsgeschwindigkeit das finanzielle Risiko, aber definitiv nicht das Risiko für die Menschen. Und dem Wohl der Menschen und Patienten sind wir alle verpflichtet.

In einem kürzlich erschienen FAZ-Artikel heißt es, dass die beschränkten Produktionskapazitäten das größte Problem seien. Wie schnell lässt sich die weltweite Produktion umsetzen, wenn ein Impfstoff gefunden worden ist?

Die Produktionskapazitäten stellen eine große Herausforderung dar - wenn ein Impfstoff vorhanden ist. Das macht das Problem bei Covid-19 erst richtig deutlich: Wir haben noch keinen Impfstoff, müssten aber bereits jetzt in die Produktionskapazitäten und -anlagen investieren c – eindeutig eine Hochrisikoinvestition. Bei der aktuellen Dringlichkeit für einen Covid-19 Impfstoff können wir uns kein sequenzielles Vorgehen leisten – zuerst Erforschen einer Vakzine, dann Investition in eine Produktionsanlage – sondern müssen simultan vorgehen, um Zeit zu gewinnen. Da es hier um dreistellige Millionenbeträge geht, ist das keine leichte Entscheidung für einzelne Firmen. Ich sehe hier durchaus die Möglichkeit größerer Kooperationen: Sanofi arbeitet mit GSK zusammen, BioNTech mit Pfizer, andere werden folgen. Bei dem Ausmaß des möglichen weltweiten Bedarfs ist es ohnehin notwendig intensiv zusammenzuarbeiten, um rasch für viele Menschen weltweit und gleichzeitig einen Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Die aktuelle Initiative der EU hilft hier definitiv sehr.

In Deutschland müssen Pharmakonzerne mit restriktiven Forschungsvorgaben leben. Haben andere Länder hier einen Wettbewerbsvorteil?

Die private Pharmaforschung wird in vielen anderen Ländern tatsächlich besser gefördert, aber auch höher wertgeschätzt als in Deutschland. Beispiele sind großzügigere steuerliche Forschungsförderungen in vielen OECD-Ländern oder auch digitale Versorgungsgesetze, die auch den Zugang von privaten Forschungseinrichtungen zu anonymisierten Patientendaten erlauben. Wir sind hier auf dem richtigen Weg, den großen Schritt trauen wir uns aber (noch) nicht. Wichtig ist auch, die Reputation der privaten Pharmaforschung zu verbessern. Denn nur bei breiter gesellschaftlicher Akzeptanz haben wir die Chance, auch in Deutschland hochinnovative Ansätze auf den Weg zu bringen.

Wie könnten die Rahmenbedingungen für Forschung in Deutschland Ihrer Meinung noch weiter verbessert werden?

Durch eine noch bessere Kooperation aller an Forschung beteiligten Institutionen: Universitäten, außeruniversitäre akademische Einrichtungen, Start-Ups, Mittelstand und Big Pharma müssen noch besser verzahnt werden und noch intensiver zusammenarbeiten. Wir können die großen Probleme der Wissenschaft und der Medizin nur lösen, indem wir die besten Köpfe zusammenbringen. Völlig unabhängig davon, welchen Organisationen diese angehören. Wir brauchen mehr sogenannte Public-Privat-Partnerships, um am Ende nicht nur gute Ideen zu haben, sondern diese auch auf den Markt bzw. zum Patienten bringen. Eine Innovation ist nicht eine zündende Idee irgendwo in einem Labor. Man kann erst von einer Innovation sprechen, wenn sie in ein Produkt übersetzt und beim Patienten angekommen ist. Und dazu braucht es alle Spieler der Wertschöpfungskette, nicht nur einzelne.

Welchen Stellenwert hat – neben der Entwicklung eines Impfstoffes – die Entwicklung einer Smartphone-App?

Wir brauchen diese möglichst rasch, nur damit werden wir die Infektionsketten explizit nachvollziehen und unterbrechen können. Andere Länder haben es schon vorgemacht. Ich bin sehr überrascht darüber, wie lange das bei uns in Deutschland dauert, zu einem Konsens zu kommen. Auch Tests via Smartphone sollten mittelfristig eine Option sein. Sanofi sieht die Notwendigkeit und hat deshalb eine Kooperation zu einer Smartphone-basierten Selbsttest-Möglichkeit mit Luminostics abgeschlossen. Wir hoffen Ende des Jahres einen Test anbieten zu können.

Einige Experten rechnen damit, dass im Herbst eine 2. Infektionswelle auf uns zukommt. Wovor müssen wir uns fürchten und wie könnte sie vielleicht doch verhindert werden?

Fürchten müssen wir uns, weil wir im Gegensatz zum März nicht einzelne Hot Spots haben werden (Heinsberg, Ischgl), sondern weil eine potenzielle zweite Welle überall gleichzeitig losbrechen und unsere Intensivstations-Kapazitäten übersteigen könnte. Und verhindert werden kann sie durch jeden einzelnen mit den bekannten Sicherheitsmaßnahmen und der gebotenen Vorsicht. Hier kann ich nur an die Eigenverantwortung Aller appellieren.

Ein bedeutender Teil unserer Medikamente wird im Ausland produziert. Wäre es nicht sinnvoll, einige Produktionsketten wieder nach Deutschland zurück zu verlagern?

Das wird kommen, die ersten Firmen fangen damit bereits an. Sanofi ist nur ein Beispiel: Fünf europäische Produktionsstandorte sollen zusammen eine eigene Firma bilden und synthetische Moleküle und deren Vorstufen hier in Europa, darunter auch an einem Standort in Frankfurt, produzieren. Ich bin sicher, dass andere folgen werden. Man ist darauf in der Covid-19-Krise besonders aufmerksam geworden, das ist aber für viele Medikamente und deren Vorstufen wichtig. Es kann nicht sein, dass in Europa bestimmte Medikamente nicht mehr zur Verfügung stehen, weil Chinesen nicht liefern können, aus welchen Gründen auch immer.

Rückblickend: hat die Bundesregierung aus Ihrer Sicht als Mediziner die richtigen Maßnahmen ergriffen oder hätten diese noch härter und länger ausfallen sollen?

Die Maßnahmen waren richtig und kamen zum richtigen Zeitpunkt. Nicht umsonst beneidet uns die ganze Welt für unsere Zahlen und für unser Krisenmanagement. Wir müssen allerdings vorsichtig bleiben, trotz aller Sehnsucht, zum „normalen Leben“ zurückzukehren. Ich denke, wir können eine Menge Lehren aus dem ziehen, wie wir es bisher gemeistert haben und damit eventuell auch eine zweite Welle besser durchstehen.

Kürzlich sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, dass nicht alles dem Schutz des Lebens untergeordnet werden könne. Teilen Sie diese Meinung?

Unser Grundgesetz erlaubt eine Abwägung verschiedener Artikel, mit Ausnahme der unantastbaren Würde des Menschen. Insofern teile ich die Ansicht von Wolfgang Schäuble – aus einer breiten gesellschaftspolitischen Sichtweise. Ich kann aber auch sehr gut verstehen, dass einzelne von Covid-19 selbst oder in der Familie betroffene Bürger das anders sehen. Leben und Tod bekommen eine andere Wertigkeit, wenn sie nicht abstrakt sind, sondern ein persönliches Gesicht bekommen.

Wer kann, arbeitet im Homeoffice. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Ich war eigentlich immer vor Ort im Büro. Nur die klassischen Abendmeetings mit der Ost- und Westküste habe ich aus dem Home-Office bestritten. Da, wo es möglich ist, sind meine Mitarbeiter aber im Home Office oder unterstützen die Kollegen aus der Produktion.

Herzlichen Dank für das Interview und bleiben Sie gesund!

Das Gespräch führte Matthias Nieswandt

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